Dieser Beitrag wurde 2.697 mal aufgerufen

Zum selben Thema: Kirche und Werbung

Hat die Kirche es wirklich nötig, Werbung zu machen, wo sie doch schon seit mehr als eineinhalb Jahrtausenden besteht? Und ist nicht Werbung etwas eher Anrüchiges, ein Angriff auf das Unbewusste von uns Menschen mit der Absicht, uns zu verführen, zu etwas zu veranlassen, das wir eigentlich gar nicht wollten?

Werbung hat mit Glück zu tun. Und dieses „Glück“ enthält viele Glücksaspekte. Dieses „Glück“ umschließt die Verheißungen auf Genuss, Zugehörigkeit, Ansehen, Freiheit, Sicherheit und vieles mehr. Wer einen Porsche fährt, genießt die Beschleunigung, gehört zu einer Gruppe Gleichgesinnter, hat Ansehen (welches auch immer) in der Nachbarschaft, steigt ein in das Freiheitsversprechen der rapid schnellen Kilometerbewältigung und verlässt sich auf die werbliche Versicherung einer bergenden Karosse.

Werbung versucht eine Brücke zwischen einer Ware oder einer Dienstleistung und unserer Psyche zu schlagen. Und sie ist deshalb erfolgreich, auch bei jedem von uns, weil wir psychische Mängel haben. Ich denke, jeder hat sie, und jeder ist auf seine Art ein Werbe-Opfer. Von Robert Schumann gibt es ein Klavierstück „Glückes genug“. Das kann man spielen, aber lebt man das auch?

„Werbung“ ist für die Kirche ein befremdliches Thema. Braucht die Kirche dieses Verführungsmittel überhaupt? Passt es in ihr Selbstverständnis und zu ihrem Auftrag, das Evangelium zu verkünden? Wenn man sich unser Image in der Öffentlichkeit anschaut und sich ein paar Zahlen vergegenwärtigt, kann man schon auf die Idee kommen, wir brauchten sie. Aber wie sollte sie aussehen?

Zahlen: Nach den Statistiken des Presbyteriums meiner Gemeinde in Oberhausen waren in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts 741 Personen im Gottesdienst, und zwar durchschnittlich an jedem Sonntag. Und an jedem Sonntag waren ca. 150 Kinder im Kindergottesdienst. Und heute?

Image: Das Image der Kirchen ist miserabel. Die Menge der Gesellschaft hält die Kirchen für „Kirchensteuer-satt“ und ihre Botschaft für „alt“, „staubig“, gar für „überflüssig“. Unsere Botschaft erscheint nicht „cool“ oder „angesagt“. Wenige Junge kommen noch zu uns. Taufe, Konfirmation oder Trauung sind für viele Menschen, wenn sie sie überhaupt noch feiern, Events, von denen man schöne, stimmige Bilder für das digitale Album machen kann.

Warum ist das so? Was kann man tun? Ich sehe einen Grund darin, dass vielen gar nicht klar ist, was alles zur Kirche gehört: Kindergärten, Jugendhäuser, Telefonseelsorge, Diakonie-Stationen, Krankenhäuser, Suchtberatung, Altenheime und Altenpflege und vieles mehr. Ein zweiter Grund, den ich für wichtiger halte, ist, dass sich „Kirche“ mit ihrem Auftrag zur Verkündigung fast nur intern, innen abspielt. Gottesdienste, Bibelstunden, alle möglichen Kreise haben ein Stammpublikum im geschlossenen Raum. Selbst beim Kirchencafé nach dem Gottesdienst gibt es feste Gruppen mit Stammplätzen, bei denen ein Fremder nur stört und unbeachtet bleibt. Dahinter steht das Bewusstsein der Insider, das alles so weitergeht wie bisher. Nur das ist ein fataler Irrtum.

Was kann man tun? Dietrich Bonhoeffer hatte als Credo seines Lebens: „Wer fromm ist, muss politisch sein.“ Das ist eine großartige Interpretation des Glaubensbekenntnisses, das wir in jedem Gottesdienst sprechen. Diese Lesart des Glaubensbekenntnisses nimmt nämlich ernst, was Gott mit seiner Schöpfung gemeint hat. Die Bibel, die Psalmen, die Evangelien und die Briefe des Paulus sind voll von Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit. Unsere Welt ist extrem unfriedlich und ungerecht. Wieso ist dann die Botschaft von Gottes Schöpfung so, wie sie gemeint ist, nämlich uns Geschöpfe in Geborgenheit, Gerechtigkeit und Frieden leben zu lassen, alt und staubig? Ich denke, wir, die Insider, müssten mehr Öffentlichkeit wagen, mehr zeigen, was wir zu bieten haben, unsere Botschaft mehr ans Licht bringen und unter dem Scheffel der kirchlichen Geborgenheit wegziehen.

Wie? Lassen sie uns nachdenken, jeder für sich, was für ihn das politisch interpretierte Evangelium bedeuten mag. Ich mache das auch.

Hans Erlinger