„Was sind schon die vielen kleinen Landabenteuer der Liebe gegen die große Schifffahrt der Ehe?“, so fragte einst der Philosoph Ernst Bloch. Aus diesen Worten spricht die Erfahrung einer Liebe, die Bestand hat – wie ein Schiff, das die Stürme des Lebens nicht nur übersteht, sondern vielleicht sogar gestärkt daraus hervor geht – eine Liebe, die nicht nur bleibt, sondern sich vertiefen und wachsen kann. Ich bin mir sicher, dass die allermeisten Hochzeitspaare sich genau dies wünschen, wenn sie beschließen, eine Ehe einzugehen: eine Liebe, die bleibt und die ein tragfähiges Fundament bildet für viele Jahre und für eine eventuell wachsende Familie.
In unserem Land macht inzwischen fast jedes zweite Ehepaar die bittere Erfahrung, dass dieser Wunsch sich nicht erfüllt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Sicher ist eins: Eine Scheidung geht an niemandem spurlos vorbei. Sie hinterlässt Trauer, Enttäuschung und Wut in den Betroffenen. Sind Kinder beteiligt, wird dies noch verstärkt.
Für die Kirche stellt die wachsende Zahl von Scheidungen eine seelsorgliche Herausforderung dar. Zum einen ist die Kirche gefordert, die Paare und Familien durch Angebote zu unterstützen, die darauf ausgerichtet sind, Konflikte frühzeitig zu bearbeiten und Trennungen zu vermeiden – etwa in Form von Erziehungs- und Paarberatung. Zum anderen gibt es inzwischen die Möglichkeit, eine Trennung mit seelsorglicher Unterstützung zu vollziehen: In einer liturgischen Handlung wird die Trennung begleitet und vor Gott gebracht.
Es geht dabei nicht darum, sozusagen in letzter Minute die Beziehung doch noch zu retten – so verführerisch dieser Gedanke auch sein mag. Vielmehr soll ein solches Ritual den Eheleuten einen wirklichen Neubeginn ermöglichen und gegebenenfalls ihre gemeinsame Verantwortung für die Kinder stärken.
Das Paar hat sich einst vor Gott gegenseitige Treue versprochen – nun ist es wichtig, vor Gott das Scheitern dieses Versprechens festzustellen. Dazu gehört das Eingeständnis: „Wir haben es nicht vermocht, unser Versprechen zu halten. Das tut uns leid. Wir legen unser Unvermögen und das, was wir uns schuldig geblieben sind, in deine Hand, Gott.“ Das gegenseitige Versprechen sollte zurückgegeben werden: „Ich gebe dir das Versprechen zurück, das du mir gegeben hast. Du bist frei. Geh deinen Weg in Frieden!“ Der Partner bzw. die Partnerin sollte darauf entsprechend reagieren: „Ich nehme mein Versprechen zurück.“ Sind Kinder da, sollte festgestellt werden, dass das Paar zwar die Liebesbeziehung beendet, aber ein Elternpaar bleibt und die gemeinsame Verantwortung für die Kinder weiter trägt.
Ich bin der festen Überzeugung, dass ein solches Ritual für viele Paare und Familien entlastend und hilfreich sein kann und habe dies bisher auch so erlebt. Wo sonst in unserer Gesellschaft gibt es einen Raum und die Möglichkeit, eine gescheiterte Beziehung vor Gott zu bringen, die Schuld und die Trauer zu benennen und sich gegenseitig zu vergeben? Und vor allem: Sich gegenseitig in Frieden ziehen zu lassen? Auch im Hinblick auf eine Wiederverheiratung halte ich insbesondere die Rückgabe des Eheversprechens für wichtig, um seine Ernsthaftigkeit zu erhalten.
Viele Menschen wissen gar nicht, dass diese Möglichkeit besteht. Sie erwarten gerade von der Kirche eher eine Verurteilung als eine Hilfestellung bei der Trennung oder Scheidung. Natürlich ist es nicht das Ziel der Kirche, Menschen zur Trennung zu ermutigen oder die Ehescheidung zu fördern. Aber wenn es einmal so weit gekommen ist, gilt: Gerade im Umgang mit dem, was uns im Leben nicht gelingt, zeigt sich die Stärke des Glaubens.
Manchmal geht es auch um ganz praktische Fragen. Ein Paar erzählte mir im Traugespräch, dass sie beide schon einmal verheiratet gewesen waren. Zufällig hatten sie auch alle Trauringe aus diesen früheren Ehen, insgesamt also vier Ringe. Sie fragten mich, was sie damit machen sollten. Nach längerem Überlegen entschieden sie sich, die Ringe einem Juwelier zu verkaufen und den Erlös für einen guten Zweck zu spenden. Dies war gleichzeitig der Anlass, das mit den Ringen verbundene Versprechen zurück in Gottes Hände zu legen und um einen neuen, gemeinsamen Anfang zu bitten.
Der Anlass für diesen Beitrag waren einige Gespräche in den letzten Monaten. Die Menschen sagten zu mir: „Sie müssen das unbedingt einmal öffentlich mitteilen. Niemand weiß, dass es diese Möglichkeit gibt, und es würde bestimmt manchen helfen.“
Elisabeth Müller