Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das der HERR euch zu essen gegeben hat. (2. Mose 16,15)
Irgendwann ist es genug. Da gibt es Ereignisse, Erfahrungen, Erkenntnisse, Schicksalsschläge – wie wir es nennen, und nichts ist mehr so, wie es war. Veränderungen sind notwendig oder gar ein Aufbruch. Der Aufbruch aus den Umständen, die mich gefangen halten, die mir die Luft zum Atmen nehmen, mir das Leben schwer machen, und: der Aufbruch aus mir selbst. Die Erkenntnis: du musst ein anderer werden, so geht es nicht mehr weiter. Es sieht aus wie Flucht, aber es ist Veränderung, Aufbruch, ein Aufbruch „ins gelobte Land“. Endlich wieder atmen können. Endlich wieder ich selbst sein.
Doch der Weg ist lang und mühsam. Das „gelobte Land“ grenzt eben nicht direkt an das „Land der Knechtschaft“, aus dem ich aufgebrochen bin. Zwischen dem „Land der Knechtschaft“ und dem Land, in dem „Milch und Honig fließen“, liegt die Wüste. Da muss man erst einmal durch – geographisch und seelisch. Aber der Weg in ein anderes Leben, in ein Leben, das sich lohnt, ist weit, und wenn man noch nicht einmal weiß, wie weit, dann kann unterwegs die Frage schon mal aufkommen, ob wir nicht besser geblieben wären, wo wir hergekommen sind. Vor allem dann, wenn der erste Rausch des Neuen verfliegt und der Alltag sich einstellt. Ja, auch der Aufbruch hat seinen Alltag. Das verändert die Sicht der Dinge. Plötzlich vergoldet sich die Vergangenheit. Geradezu sprichwörtlich sind die „Fleischtöpfe Ägyptens“ geworden, zu denen man zurück will.
Der Aufbruch in das Neue führt aber erst einmal in die Wüste, in der es zu überleben gilt. Doch nicht jeder muss in seinem Leben den totalen Bruch mit seiner Vergangenheit bewerkstelligen – glücklicherweise. Aber auch „kleinere“ Aufbrüche, das Begehen neuer Wege von einer Lebensphase in die andere, das wird jeder Mensch bewältigen müssen. Auch diese Veränderungen und Aufbrüche sind mühselig und beschwerlich, auch diese Wege müssen erst einmal gegangen werden. Da ist es gut zu wissen, dass Gott mit unterwegs ist. Das Volk Israel hat diese Erfahrung machen dürfen auf dem Weg aus dem Sklavenhaus Ägyptens durch die Wüste ins gelobte Land. Trotz Murren und Klagen gegen Mose und Gott: Gott wendet sich nicht ab.
Die Menschen, die diese Geschichte von der Bewahrung auf ihrem Weg durch die Wüste überliefert haben, wussten wohl, dass es solche Tiefpunkte auf dem langen Weg in das neue Leben gibt. Nachzulesen im 2. Buch Mose, Kapitel 16. Und sie erfahren: Gott öffnet ihnen die Augen für das, was sie rettet, ja, was vor ihren Füßen liegt, sie in ihrer Verzweiflung und Not aber gar nicht haben sehen können: das Manna. Das gibt es heute noch im Inneren der Sinaihalbinsel. Der Saft eines Strauches in der Wüste, von Insekten eingesogen und ausgeschieden, wird zu süßen, essbaren Kugeln, die an den Ästen kleben. In der Kälte der Nacht werden sie hart, frühmorgens kann man sie gut auflesen und essen. Doch wenn es warm wird, schmelzen diese Kugeln, sind ungenießbar und stinken zum Himmel.
Gott öffnet seinem Volk die Augen für die Hilfen zum Überleben, die es tatsächlich auch in der Wüste gibt. Man hu, fragen die Israeliten, Was ist das? „Es ist das Brot, das der HERR euch zu essen gegeben hat.“ Zur rechten Zeit nimmt die Not eine unerwartete und befreiende Wende. Das Wunder? Die Erfahrung, dass Gott sein Volk nicht loslässt. Ist das nicht wunderbar, dass mitten in der Welt, mitten in unseren Lebenskrisen Mittel und Wege, Oasen und Kraftquellen zu finden sind, sozusagen vor unseren Füßen liegen – gerade auch dann, wenn wir selbst in einer Wüstenzeit leben?
Manna – es liegt am Weg, das Himmelsbrot, und das kann vieles sein: denn Brot ist all das, was wir unbedingt zum Leben brauchen. Es können auch Menschen sein, die begleiten, stützen und stärken. Ich muss sie nur wahrnehmen, erkennen und begreifen, dass Gott es ist, der sie mir an die Seite gestellt hat. Das gelobte Land haben wir noch nicht erreicht. Doch wir werden erfahren: Das Notwendige wird uns von Tag zu Tag geschenkt. Bevorraten und für die schwierige Zeit im Voraus sammeln und Sicherheiten anhäufen, das geht nicht. Das Manna ist dafür ein gutes Bild: es hilft nur im Hier und Jetzt. Doch durch die Erfahrung, dass uns das Notwendige von Tag zu Tag geschenkt wird, wird sich unsere Verunsicherung und Angst auf dem Weg durch die Wüste nach und nach in Vertrauen wandeln. Vertrauen in das Leben, das wir suchen und das uns von Gott verheißen ist. Aufbrüche sind möglich, auch wenn der Weg durch die Wüste gegangen werden muss, denn Gott ist mit unterwegs.
Christoph Ecker