Suche Frieden und jage ihm nach! (Psalm 34,15)
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie einen Blick zurück werfen auf das vergangene Jahr. Ich kann viel Schönes entdecken, wunderbare Begegnungen und Gespräche mit Menschen, tatsächlich auch schöne Ausflüge und Urlaube, Oasen der Ruhe und Zufriedenheit, manches, was ich mir vorgenommen habe, ist auch gelungen – aber: ich bin auch müde am Ende diesen Jahres. Manches ist mir doch schwer geworden, manchmal habe ich mich nach breiteren Schultern und einer dickeren Haut gesehnt, manches war einfach viel, zu viel.
Mir ist also eher nach Anlehnen und Ausruhen, wenn ich an das neue Jahr denke, aber genau das wird von mir nicht erwartet. Erwartet wird, dass ich auf die Jagd gehe.
„Suche Frieden und jage ihm nach!“
So lautet die Jahreslosung für 2019. Waren Sie schon einmal auf der Jagd? Ich hatte dieses zweifelhafte Vergnügen in der Tat einmal in meinem Leben. Ein Bekannter von mir ging vor vielen Jahren, ob er das heute noch macht, weiß ich gar nicht, regelmäßig in der Eifel jagen. Ich wusste davon und dachte, wer Fleisch isst, muss sich so etwas auch einmal ansehen. Also habe ich gefragt, ob ich mitdarf.
„Kannst du wirklich ruhig sitzen?“ wurde ich gefragt, „ja“, habe ich brav geantwortet. „Bist du sicher?“ – „Ja, bin ich.“ – „Du darfst dich wirklich nicht bewegen.“ – „Weiß ich“, habe ich gesagt, „ich bin ganz still.“ – „Ja, das kommt noch dazu. Kannst du still sein?“ – „Ja. Auch das.“ – „Echt?“ – „Ja, warum nicht?“ Ich war schon fast ein wenig beleidigt. – „Kann ich mir gar nicht vorstellen!“ – „Ich war schon beim Schweigen“, habe ich etwas verärgert geantwortet. „Ich kann meine Klappe halten, bestimmt!“
Na, auf jeden Fall durfte ich mit. Und habe gemerkt: Jagen ist nicht schön! Wir haben da also auf diesem Hochsitz gehockt, ausgesprochen unbequem, ohne Rückenlehne, auf so einem Holzbrett, ich habe ganz still da gesessen und geguckt. Und wissen Sie was? Eigentlich habe ich die ganze Zeit gebetet, dass kein Tier auftaucht. Und dann kam doch eins. Ein Reh erschien direkt vor uns, starrte in den Abendhimmel und in unsere Richtung und war so wunderschön, dass ich sofort an den Film „Sissi“ denken musste, an die Stelle, bei der die junge Kaiserin mit ihren Armen wedelt, damit der Hirsch verschwindet und ihr Vater nicht schießen kann.
Jagen ist mal nichts für mich. Das Reh stand da also, ich konnte mich kaum beherrschen, hätte mich so gern bewegt, um es zu warnen, da sagt der Mensch neben mir: „Oh, wie schade! Das darf ich nicht schießen, das ist trächtig!“
Ich war so froh! Wahrscheinlich haben alle anderen Tiere im Wald gehört, welcher Felsbrocken mir da gerade von der Seele gepurzelt war, denn es kam auch kein weiteres Tier. An diesem Abend flogen keine Kugel und kein Schrot, mir war bloß ein bisschen kalt und monatelang habe ich kein Fleisch essen können, weil ich immer an das schöne Reh denken musste. Und wenn ich jetzt etwas von Jagd und jagen höre, dann denke ich daran und bekomme so viele ungute Gefühle, dass ich mich damit am liebsten nicht beschäftigen möchte.
Und auch andere Bilder von der Jagd, zum Beispiel einer Fuchsjagd, machen mich überhaupt nicht froh und wenn ich das Bild auf Menschen übertrage, auf Schnäppchenjäger etwa, oder neulich, viel schlimmer, diese Hetzjagd auf Menschen, nein, der Begriff des Jagens weckt alle möglichen Bilder in mir, aber zunächst keine friedlichen. Und nun schickt mich ausgerechnet die neue Jahreslosung auf die Jagd! Was soll ich davon halten? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Jagd und Frieden?
„Suche Frieden und jage ihm nach!“
Fange ich noch einmal an, fange ich einmal ganz vorne an:
„Suche Frieden…“
Auf der Suche nach irgendetwas sind wir alle, ständig, behaupte ich jetzt mal. Angefangen beim Haustürschlüssel, über Telefonnummern, Einkaufslisten, etwas zu essen… Und auf der Suche nach Frieden sind wir auch alle, auch das behaupte ich mal. Denn egal, mit wem ich spreche, die Sehnsucht nach Frieden schlummert in uns allen und diese Sehnsucht schlummert, eben weil wir keinen Frieden haben, im Grunde nirgendwo. „Können die nicht wenigstens über Weihnachten Frieden geben“, so hat Frank aufgestöhnt, als er am zweiten Weihnachtstag die Nachrichten hörte. Nein, können sie nicht. Weltweit gibt es ungefähr 20 Kriege im Moment, von den vielen anderen Konflikten will ich gar nicht reden.
Frieden scheint schwierig und wer ehrlich ist, der weiß auch, nicht nur im Großen ist das schwer, sondern auch im Kleinen. Es sind ja nicht nur die verschiedenen Länder, die miteinander im Krieg liegen, nein, auch Nachbarn kämpfen vor Gericht gegeneinander in manchen Familien sieht es nicht anders aus auch da bekriegt man sich bis aufs Blut, und auch unter Kollegen und Kolleginnen… wo man auch hinhört: fast überall brodelt es ein kleines bisschen oder auch mehr. 100prozentige Harmonie ist selten, wahrer Friede auch und von dem Slogan: „Frieden schaffen ohne Waffen“, wie es vor vielen Jahren hieß, können wir nur träumen.
„Suche Frieden…“
Diese Aufforderung dürfen wir uns alle sagen lassen Und nun – wenn auch mit Einschränkungen – kann ich auch den zweiten Teil der Jahreslosung hören:
„…und jage ihm nach!“
Jagen hat ja nicht nur etwas mit Waffen zu tun, sondern auch mit Konzentration, mit Hege und Pflege, wie ein Patient mir gegenüber anmerkte, mit fokussieren und ernst nehmen. Auch wenn mein Jagderlebnis für mich selbst nicht so schön war, etwas habe ich an diesem Abend doch gelernt: Ich muss mich ganz konzentrieren, wer auf einem Hochsitz sitzt, der muss ganz im Augenblick sein, der muss seine Aufmerksamkeit aufs Jagen richten, der hat keine oder fast keine Kapazitäten für etwas anderes frei und dem ist das, was er da gerade tut, ausgesprochen wichtig.
Und auch wenn ich etwas hinterher jage, – wohlgemerkt: keinem Menschen – dann bringe ich damit zum Ausdruck, dass mir dieses eine ganz wichtig ist, dass mein Herz daran hängt, dass es einen wichtigen Stellenwert in meinem Leben einnimmt, bzw. besitzt, dass ich es um jeden Preis haben möchte.
„Suche Frieden und jage ihm nach!“
Das kann für das neue Jahr also bedeuten, dass ich erst einmal suche, aufmerksam werde, auf friedliche Momente, und dann auch die unfriedlichen wahrnehme, weil ich hier etwas verändern könnte. Die erste, die verändert werden kann, bin immer ich selbst, wahrscheinlich auch die schwierigste, die verändert werden kann. Es ist bei anderen so viel leichter zu gucken und zu erkennen und zu lösen, als bei einem selbst, aber genau darauf könnte ich im neuen Jahr ja achten.
Und meine Jagd könnte so aussehen, dass ich Frieden übe, also bei mir selbst, aber mich auch schlichtend einmische, in der Warteschlange an der Kasse, wenn die Kassiererin beleidigt wird, wenn Verkäuferinnen angegangen werden, wenn… Und da schimpfe ich dann nicht mit, auch wenn ich selbst vielleicht ungeduldig bin, sondern ich wechsele für einen kurzen Moment die Perspektive und vielleicht fällt mir dann auch etwas Vermittelndes ein.
Überall und immer kann ich Möglichkeiten finden, mich für Frieden und ein friedliches Miteinander einzusetzen, überall und immer kann ich nach friedlichen Ansätzen suchen oder sie verstärken. Und die unter uns, die ganz im Reinen mit sich und den anderen leben, die könnten erzählen, wie das geht, wie man als friedliche Seele sein Leben lebt.
Und wenn dann viele kleine und große Menschen friedlich miteinander können und das immer mehr werden und das ausstrahlt, dann, ja dann können das irgendwann auch die Großen, die ganz Großen und dann macht keiner mehr mit bei all den Kriegen und Auseinandersetzungen und dann müssen wir den Frieden nicht mehr suchen, sondern dann hat er uns gefunden und das wäre nun wirklich wunderschön und käme meinem Wunsch für das neue Jahr sehr nahe.
„Suche Frieden und jage ihm nach!“
Friederike Seeliger
Ein wunderbarer Text, liebe Friederike!
Dankeschön!