Meine Töchter wurden oft von der Tagesmutter aus dem Kindergarten abgeholt.
Ich habe mich vor den Basteleien gedrückt, wo ich nur konnte: Die Martinslaternen und Schultüten habe ich nicht selbst bemalt, geklebt und gefaltet, sondern gekauft. Meine beiden Kinder waren die einzigen, die auf den obligatorischen Erinnerungsfotos keine selbstgemachten Kunstwerke filigraner Papierkunst im Arm halten.
Einmal habe ich mich überwunden, einen Kochnachmittag mit Müttern und Kindern nicht zu schwänzen. Mein Kompott musste entsorgt werden – zuviel von dem Zeugs, das ich vorher hätte entfernen müssen, war mitgekocht worden. Und meine Kuchenspenden zum Kinderfest entstanden stets aus Backmischungen, die ich aus dem Supermarkt mitgebracht hatte.
Kurz: Meine Töchter hatten es nicht leicht mit mir.
Immer war mir meine Arbeit wichtiger als die bunten Kindervergnügungen in Kindertagesstätte und Grundschule. Deshalb begleitete mich ein schlechtes Gewissen durch die Kindertage meiner Töchter wie ein Schatten – allgegenwärtig und schaurig. Noch schlimmer ist aber sicher, dass ich auch nicht gerne koche – Mikrowellenkost und Fertigessen sind meiner Familie wohl bekannt. Natürlich wusste ich, dass meine Kinder etwas Gesünderes verdient hätten – natürlich schämte ich mich…
Natürlich waren alle Mütter um mich herum perfekt: Biokost und Kleidung, „ökologisch unbedenklich“ mit Zertifikat – nichts anderes kam auch nur in die Nähe der anderen Kids, geschweige denn in sie hinein! Mülltrennen war selbstverständlich – aus Interesse für die nachhaltige Förderung der Entwicklung des Nachwuchses, Sport und Bewegung aller Art für den gesunden Körper – in Hoffnung auf den gesunden Geist: Kein Weg war da zu weit, keine Wartezeit zu langweilig. Dasselbe noch einmal für die musikalische Frühförderung. Auch da scheiterte ich an meiner Ungeduld, mein eigenes Leben nicht zu verpassen.
Fürwahr: Meine Kinder hatten alles andere als eine perfekte Mutter.
Und ich bereitete mich innerlich darauf vor, dass mir meine Kinder meinen Egoismus und mein mütterliches Versagen, meine Unlust auf Verzicht und meine mangelnde Bereitschaft, mich aufzuopfern, irgendwann sicher um die Ohren schlagen würden.
Ich sah meine Töchter auf der Therapeutencoach, dem mitleidigen Blick der verständnisvollen Psychologinnen ausgesetzt, die ihnen versicherten, dass all ihre Unfähigkeit zum Leben Schuld ihrer selbstsüchtigen Mutter sei.
Und vorgestern sagte meine Tochter dann jenen Satz, der mich erlöste!
Ganz beiläufig, ganz undramatisch.
Meine jüngere Tochter erzählte vom Schicksal einer Freundin, die an Magersucht erkrankt in die Klinik gekommen war. Wie kann so etwas passieren – fragten wir.
„Die Psychologin in der Klinik hat herausgefunden, dass die Katja sich nicht traut, ihre Mama allein zu lassen. Nun fühlt sie sich verantwortlich für ihre Mama und will nicht erwachsen werden.“ Sie ahnen es vielleicht schon: Katjas Mama war eine von den perfekten Müttern gewesen – eben eine derjenigen, die ich immer als lebendige, stille Anklage meiner Rücksichtslosigkeit gefürchtet hatte.
„Ach Mama, was bin ich froh, dass du alleine klar kommst. Was bin ich froh, dass ich mich nie für dich verantwortlich fühlen muss“ – und dann aß meine Tochter genüsslich ihren Teller leer.
Vielleicht habe ich doch nicht alles falsch gemacht – der Satz schoss mir voll Dankbarkeit durch den Kopf. Denn genauso wollte ich meinen Töchter das Leben schenken: frei und unbelastet!
Wenn ich einmal ins Seniorenheim gehe – freiwillig und ohne meinen Töchtern ein schlechtes Gewissen gemacht zu haben – dann sollen sie immer dann zu Besuch kommen, wenn sie sich auf mich freuen. Und nur dann! Keinesfalls aber zum Basteln mit stumpfen Scheren oder zum Kochen in der Therapieküche.
Es grüßt herzlich
Anke Augustin
Ach,Anke,eine ,die dich dann ganz sicher besuchen kommt,bin ich,wenn ich dann selber noch kann,aber ich seh dich noch lange nicht da im Altenheim,ich freu mich noch auf ganz spannende Jahre mit dir in der Gemeinde,du hast soviel für mein Leben bewirkt,mein Gottesbild hab ich korrigiert,aus der Bibel hab ich viel gelernt
von dir und du hast mir Chancen zur weiterbildung ermöglicht,dafür will ichmich an dieser Stelle mal ganz herzlich bedanken,du hast es mir ermöglicht,dass ich meinen Platz in der Gemeinde ganz neu gefunden hab,als ich Schwierigkeiten hatte.
Und ich meine ,der schwarze Talar steht dir wahrscheinlich wirklich besser als so ein weisser aber nicht weil er der weisse zu dick macht,sondern weil der schwarze Talar zu dir passt,weil du wie eine Professorin rüberkommst,von der ich viel lernen kann und die Dinge endlich mal kapier mit dem Glauben und so…..ausserdem hat sich durch dich nicht nur mein Gottesbild verändert sondern auch meine Pfarrer(innen)bild….Gott sei Dank
Wir sehn uns …..Marina
Liebe Frau Augustin,
ich kann Ihre Erleichterung (Erlösung) vollkommen nachvollziehen. Ich habe auch zwei Kinder im Erwachsenwerdenalter, und da ist Zeit, Bilanz zu ziehen. Und wenn diese dann so ausfallen darf wie von Ihnen beschrieben, ist die Freude und Dankbarkeit unermesslich – auch bei mir.
Allerdings mache ich die Erfahrung und Beobachtung, dass sich gelungenes bzw. gelingendes Ablösen/Loslassen nicht an den äußeren Umständen der Familienorganisation festmachen lässt.
Wichtig ist doch, dass Frau/Mutter sich eben nicht in fremdbestimmte Muster pressen lässt, die sie dann lebt, und zwar unabhängig davon, welches Muster es ist – ob das der perfekten Ganztagsmutti oder das der engagiert berufstätigen „Nebenberufsmutter“ ist.
Da liegt glaube ich der Hase im Pfeffer und das Problem von uns Frauen.
Vielen Dank noch mal für den – und nicht nur für diesen! – Beitrag. Ich lese Ihre Gedanken hier auf Himmelrauschen immer mit großem Interesse.