So mach dich nun auf und zieh über den Jordan, du und dies ganze Volk, in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, gebe… Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt. (Josua 1,2-3.5-6a)
Das Thema „Heimat“ hat zurzeit Hochkonjunktur. Es ist so wichtig, dass es inzwischen sogar ein Heimatministerium gibt. Aber was macht Heimat eigentlich aus? Die Landschaft, in der ich geboren und aufgewachsen bin, die vertrauten Straßenzüge des Stadtteils, in dem ich wohne, die Menschen, die mir wohlgesonnen sind und mit denen ich mein Leben teile?
Jeder und jede von uns könnte auf die Frage, was Heimat ausmacht, sicher eine gute Antwort geben. Trotzdem bleibt die Frage: Ist Heimat wirklich ein Ort oder ein Raum, oder ist Heimat nicht eher ein sehr starkes Gefühl, das wir alle in uns tragen? Eins ist klar: Wir Menschen brauchen eine Heimat, einen Raum, der uns wohlgesonnen ist, einen Ort, an dem wir selbst uns nicht erklären müssen und wo man uns auch nichts erklären muss, weil wir uns dort auskennen. Das Gefühl, beheimatet zu sein, gibt uns die nötige Kraft, damit wir uns den Herausforderungen des Lebens stellen können.
Ich glaube aber, dass wir Heimat nicht als etwas Festes haben können, das ein für alle Mal für uns da ist. Mit der Heimat ist es eher wie mit dem Glück, das wir immer wieder einmal erleben und erfahren können, das aber auch flüchtig ist und uns deshalb dazu bringt, dass wir wieder hinter ihm herjagen und erneut nach ihm suchen. So hält auch das Gefühl, glücklich und geborgen in der Heimat zu sein, immer nur kurz an, bevor wir uns neu auf den Weg machen müssen, um uns zu beheimaten.
Unser eigentliches Heimatgefühl ist also wohl eher das Heimweh. Wenn wir uns das bewusst machen, kann uns das bewahren vor fragwürdigen Heimatvorstellungen, wie sie aktuell ja auch kursieren. Heimat ist viel mehr als die romantische Vorstellung von einem geschützten Raum, in den ich mich zurückziehen kann vor der bösen Welt mit all ihren Verwerfungen und Problemen. Heimat ist mehr als ein Ort, den ich für mich habe und wo die anderen draußen bleiben müssen. Heimat ist viel mehr als der Ort, den ich verteidigen muss vor denen, die ihre Heimat verloren oder aufgegeben haben.
Die Bibel enthält unzählige Geschichten von verlorener Heimat und von den Versuchen, neue Heimat zu finden. Ein Beispiel ist die Geschichte des Josua. Er steht nach dem Tod des Mose als neuer Anführer des Volkes Israel da und bekommt von Gott die Aufgabe, das Gelobte Land in Besitz zu nehmen. Jahrzehnte vorher waren die Israeliten in Ägypten aufgebrochen mit wenig mehr im Gepäck als einer grandiosen Verheißung: „Ich will dich hinführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen.“ So hatte Gott dem Mose versprochen.
Die Sache hat allerdings einen Haken, denn das versprochene Gelobte Land ist bereits bewohnt von anderen Stämmen. Und so lesen wir in der Bibel auch immer wieder von oft blutigen und grausamen Konflikten, wenn es um Wasserstellen und Weideland geht. Nicht mit allen Stämmen können sich die Israeliten friedlich einigen, immer wieder kommt es auch zu massiven Kämpfen.
Als Josua mit den Israeliten am Jordan steht, ahnt er sicher schon, dass das Land jenseits des Flusses nicht so leicht zur neuen Heimat werden kann. Deshalb bekommt er von Gott Ermutigungsworte mit auf den Weg in eine unsichere Zukunft: „Sei getrost und unverzagt.“
„Du hast uns zu dir hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir.“ Mit diesen Worten hat der Kirchenvater Augustin in seinen Bekenntnissen die menschliche Befindlichkeit umschrieben. Mit unserer Geburt sind wir hineingeworfen in diese Welt und müssen uns unser Leben lang immer wieder neu beheimaten. Aber als glaubende Menschen haben wir dabei eine große Gewissheit, die uns Halt gibt: Bei Gott haben wir schon immer eine Heimat, denn bei ihm haben wir gewissermaßen eine doppelte Staatsbürgerschaft. Wir leben hier in dieser Welt, damit wir uns hier beheimaten und da, wo wir gehen und stehen, nach Gottes guten Geboten handeln. Und wir haben eine zweite Heimat bei Gott selbst, zu der wir uns bereits auf den Weg gemacht haben. Beide Heimaten gehören für uns zusammen, wir können die eine nicht von der anderen trennen.
Unsere Aufgabe bleibt also, uns hier auf dieser Erde zu beheimaten, weil wir diese Heimat brauchen, um Kraft für unser Leben zu gewinnen. Aber darüber sollten wir niemals die heilsame Unruhe verdrängen, die wir immer wieder in uns spüren, weil wir auch wissen: Wir sind noch unterwegs und noch nicht am Ziel angekommen. Aber der Weg, den wir hier gehen, ist nicht das Ende, sondern soll uns dahin führen, wo wir einst die endgültige Heimat finden, dort, wo wir eins sein werden mit Gott.
Und bis dahin mögen uns solche Ermutigungsworte, wie sie Gott dem Josua sagt, Stärkung, Kraftquelle und Beheimatung sein. „Gott spricht: Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt.“
Dagmar Kunellis