Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele. (Psalm 139,14)
In meiner Wahrnehmung geht die Dankbarkeit in den letzten Monaten unter. Doch als ich weiter darüber nachdachte, fand ich, dass nicht erst in der Krise, sondern auch schon zuvor die Dankbarkeit nicht den Stellenwert bekam, den sie verdiente.
Ich nehme mich selbst dabei nicht aus. Auch in meinem Alltag übergehe ich oft die vielen Momente und Dinge, für die ich dankbar sein könnte. Vieles Gute erscheint mir selbstverständlich. Und meine Beobachtungen legen mir nahe, dass es auch bei vielen anderen Menschen so ist.
Da ist der 139. Psalm für mich ein heilsamer Anstoß, über Dankbarkeit Gott und den Menschen gegenüber nachzudenken. Im 139. Psalm ist die positive Grundstimmung auffällig. David, dem dieser Psalm zugeschrieben wird, ist eine vielschichtige Person und die Bibel weiß viele Geschichten von ihm zu erzählen. David, der vom Hirten zum König wurde; der Goliath erschlug; der auf der Flucht war; der mit Batseba fremdging und ihren Mann in den sicheren Tod schickte; der Streit, Intrige, Totschlag in der eigenen Familie erlebte – er, der so viel zu klagen, aber auch so viel zu danken hat; er, der so viel Gutes und zugleich auch so viel Böses tat – er dankt Gott aus ganzem Herzen.
Er betet: „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.“ David hat eine positive Grundeinstellung zu sich und zum Leben, er bejaht sich selbst und weiß sich von Gott bejaht. Wahrscheinlich schafft er es auch nur mit einer solchen Grundeinstellung, durch die vielen Herausforderungen zu kommen, die sein Leben ihm stellt.
Zudem hat David eine nüchterne Perspektive auf die Stellung des Menschen in der Schöpfung – auch der Mensch ist Geschöpf und nicht Schöpfer. Der Mensch hält sein Leben nicht selbst in der Hand, sondern es liegt in Gottes Hand.
Natürlich trifft ein Mensch Entscheidungen und muss mit ihren Konsequenzen umgehen – zugleich aber kann kein Mensch wissen, was auf seine Entscheidungen folgen wird. Es gibt zwar Erfahrungswissen, aber das kann durch neue, andere Erfahrungen umgeschrieben werden. Und die großen Dinge, wie Geburt und Tod, die hat der Mensch eh nicht in der Hand – auch wenn uns der Fortschrittsglaube und menschlicher Größenwahn anderes einreden wollen. Letztlich bleibt das Leben souverän, letztlich bleibt Gott souverän.
Meine Erfahrung ist, allzu oft fügt Gott zum Guten, was verloren schien. Ich merke bei der Niederschrift dieser Gedanken: es gibt unheimlich viel, für dass ich Gott dankbar sein kann. Und das ist zunächst einmal, dass ich lebe. Jede Sekunde ist ein Wunder und ein Geschenk. Und ich denke, am besten nutze ich dieses Geschenk, indem ich lebe und liebe – mich des Guten freue und das Schwere anpacke.
Das gelingt immer wieder nicht, immer wieder gibt es Dinge, die mich beschweren, die ich zur Seite schiebe oder aufschiebe – doch die Erfahrung lehrt: falls es sich nicht um ein sinnvolles strategisches Abwarten handelt (manchmal erledigen sich Dinge ja auch von selbst – oder wenn man sie zu ernst nimmt, werden sie erst ernst), wird das Schwere nur schwerer.
Dabei kann ich darauf vertrauen, dass Gott in den Lasten, die mir auferlegt sind, an meiner Seite ist und hilft, sie zu tragen – genauso wie er das Frohe und Helle mit mir teilt: ich kann dankbar durchs Leben gehen, mit Dankbarkeit lässt sich auch das Schwere besser tragen – so wie ich auch einen Streit im Familien- und Freundeskreis besser wieder für mich in geordnete Bahnen bringen kann, wenn ich mir bewusst mache, was ich diesen Menschen verdanke.
Es ist die Einstellung, die entscheidet: Wenn ich ja zu mir selbst, zu Gott und den andern sage, dann ist das Leben leichter, dann fällt es mir leichter zu sagen: „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.“ Von daher bitte ich Gott, dass er mich und uns alle stets mit dieser Dankbarkeit segnet, dass wir frohen Mutes unser Leben anpacken.
Martin Keßler