Und Gott wird bei ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein. (Offenbarung 21,3)
Grauer Beton, undurchsichtiges Glas, schwarze Stahlbänke mit grauen Polstern. Der Blick geht nach vorne an die weiße Wand, auf das Kreuz aus schimmerndem Metall. 1965 wurde meine Heimatkirche in Hervest-Dorsten vollendet. Viel Grau, viel Beton und Glas, das war damals modern. Der graue Glockenturm ist weithin sichtbar. Den Falken gefällt‘s. Sie nisten dort oben.
Doch viele Menschen würden meine Heimatkirche wohl als kalt und nicht besonders hübsch bezeichnen. Ich aber bin in ihr groß geworden, kenne den muffigen Geruch der Sakristei, habe zigmal den Altar als Kind umrundet und sogar meine allererste Predigt habe ich in dieser Kirche gehalten. Auch zum Heiraten bin ich zurückgekehrt. Lange ist das alles her, aber diese Betonkirche ist mir damals zur Heimat geworden.
Im Vikariat habe ich einen anderen Kirchenraum lieb gewonnen. Habe mich in ihm eingelebt. Habe Erlebnisse in diesem Kirchraum mit anderen Menschen geteilt. Habe dort gefeiert, gelacht und geweint. Eine zweite Heimatkirche, so ganz anders als die meiner Kindheit. Diesmal ein Backsteinbau. Ein Gemeindezentrum aus dem Jahr 1983. Viel Holz, warme Farben und mit beweglichem Mobiliar.
Und jetzt freunde ich mich langsam mit einem dritten, vierten und fünften Kirchengebäude an. Mit der Apostel-, der Markus- und der Apostel-Notkirche. Es braucht Zeit, bis ich mich in diesen drei unterschiedlichen Kirchen heimisch fühle. Ich muss den Ort kennenlernen. Ich muss Erlebnisse mit ihm verbinden. Ich muss mich und andere Menschen in diesem Raum wahrnehmen. Muss vertraut werden mit Gerüchen, Formen, Farben, Geräuschen und vielem mehr. Ich muss den Raum nicht unbedingt in allem schön finden, aber mich gewöhnen. Wo ich mich auskenne, da ist auch ein Stück Heimat. Wo ich Menschen treffe, mit denen ich gerne zusammen bin. Wo ich freundlich empfangen werde, wo ich hingehen kann, wenn es mir gut oder auch schlecht geht. Wo sich ein Teil meiner Lebensgeschichte ereignet, da ist Heimat. Und die Menschen, die diesen Ort mit mir gemeinsam haben, sie gehören dazu.
Heimat, das Wort kommt in der Bibel nicht so oft vor. Auch die verwandten Worte wie heimbringen, heimgehen, heimkommen sind spärlich gesät. Unsere Glaubensgeschwister waren sehr viel unterwegs. Wichtige Elemente ihrer Heimat, die hatten sie stets dabei: Familie, Freundinnen und Freunde, Tiere, ihre Zelte, vertraute Gegenstände und ihren Gott, der immer und überallhin mitgeht. In die Fremde, ins Unbekannte, in einen kleinen Stall, durch die Wüste oder ins sturmgepeitschte Wasser. Und mancher, der kehrt wieder zurück, weil er in der Fremde keine Heimat gefunden hat. Weil dort niemand ihn freundlich empfangen hat und ihm niemand in schlechten Zeiten beigestanden hat, weil er es nicht geschafft hat, neu Fuß zu fassen. Heimat ist dort, wo liebe Menschen um dich sind. Wo du „du selbst“ sein kannst! Wo dir vieles vertraut ist.
In der Bibel gibt es einen, dem ist nichts fremd. Seine Heimat ist fast überall – Gott! Unzählige Male wird vom Wohnen Gottes unter den Menschen gesprochen. Gott wohnt als Sohn unter den Menschen. Gottes Geist wohnt in den Herzen der Glaubenden. „Der Allerhöchste wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind“ (Apostelgeschichte 7,48). „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1. Korinther 3,16).
Die ersten Gemeinden, die trafen sich in Privathäusern. Was zählte, das war das Wort Gottes, die Botschaft von Gottes Liebe zu den Menschen, die Gemeinschaft, das Teilen von Brot und Wein, das Sorgen für die, die nur wenig haben.
Unsere Kirchen und Gemeindehäuser sind wichtig. Sie sind ein Stück Heimat. Sie sind Orte der Spiritualität, Räume für Gemeinschaft, für das Leben in ganz unterschiedlichen Situationen, über Generationen hinweg, Räume des Segens und des Willkommenseins. Aber sie sind auch nicht alles. Manche Kirche wird jemandem nur schwer zur Heimat. Mancher Muff verbindet sich nicht mit Erlebnissen der Kindheit, manche Tür bleibt verschlossen, mancher Raum atmet immer weniger Leben und Segen. Und manchmal zieht man auch persönlich weiter und erschließt sich eine neue Heimat Kirche. Das ist eine sehr emotionale und persönliche Sache. Was wirklich zählt, das sind die Menschen um mich herum. Was wirklich zählt ist Gott, der mitgeht. Ich glaube, Gott ist da viel beweglicher als wir.
Nele Winkel