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Lebendiges Feuer statt kalter Asche

Und auf einmal erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten, und auf jede und jeden von ihnen ließ sich eine nieder. (Apostelgeschichte 2,3)

In den letzten Wochen und Monaten gibt es ein Thema, das sich durch viele Gespräche zieht: Wie kann es nur sein, dass Religion in der Öffentlichkeit fast nur noch in Zusammenhang mit Gewalt vorkommt? Und wie stehen wir als evangelische Christinnen und Christen dazu?

Wir hören von Religion im Zusammenhang mit Terroranschlägen. Religion rechtfertigt an vielen Orten dieser Welt Gewalt gegen Frauen, Missachtung der Menschenrechte, Hass gegen homosexuelle Menschen. Wir erleben Religion als eine Sammlung von abstrusen Vorurteilen. Wir hören von Peitschenhieben und Steinigungen, die dem Willen Gottes entsprechen sollen. Wir erfahren, dass der IS in Syrien unsere christlichen Schwestern und Brüdern kreuzigt – im Namen von Religion. Wir hören von Christen in den USA, die gegen Abtreibung sind und die deshalb Ärztinnen erschießen, die Abtreibungen durchführen. Wir erleben, dass die russisch-orthodoxe Kirche die Verhaftung der Punkband Pussy Riots bis heute befürwortet und es ausdrücklich begrüßt, wenn die Mitglieder für Jahre in Arbeitslagern verschwinden – weil sie unerlaubt in einer Kathedrale gesungen haben.

Wir sehen in manchen Ländern brennende Kirchen, in anderen brennende Tempel. In Syrien wiederum werden uralte Moscheen gesprengt und durch Betonbauten saudiarabischer Machart ersetzt.

Wir hören von Religion auf eine Weise, die unerträglich ist.

Und dann diese Worte aus der Apostelgeschichte: „Und als der fünfzigste Tag gekommen war, der Tag des Wochenfestes, da waren sie alle beisammen. Und plötzlich kam vom Himmel her ein Brausen wie von einem starken Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie zusammen saßen. Und auf einmal erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten, und auf jede und jeden von ihnen ließ sich eine nieder.“

Glaube ist Feuer. Offene Flamme. Glaube lebt von Begeisterung, Überzeugung, vom Überschäumen. Ja, es ist unsere Aufgabe, die Flamme am Leben zu erhalten. Wir sollen nicht über der kalten Asche zusammen sitzen und davon erzählen, wie es war, als die Flamme brannte.

Nein: Die Flamme soll brennen. Das Feuer muss genährt werden.

Wer hält das Feuer lebendig? Gott – und wir, die wir glauben.

Gott ist der Ursprung des Feuers. Nicht nur in der Kirche, sondern überall. In jedem Leben: Gott ist das Feuer, der Antrieb – in Ihrem Leben, in meinem. In jedem Leben. Wir, in der Kirche, sind nur ein Teil von diesem großen Ganzen. Denn Gott ist viel größer als alles, was wir uns vorstellen können: Gott ist Mighty Wind. Fire and Smoke. Heiliges Feuer. Gott verlöscht nicht. Bestimmt nicht.

Aber die Frage ist: Wie tun wir unseren Teil dazu, wie halten wir als christliche Gemeinschaft das Feuer am Brennen? Und vor allem: Geht das heute überhaupt noch? Wie passt das Feuer des Glaubens mit dem zusammen, was wir hören und sehen an religiös begründeten Exzessen? Ist nicht Religion allzu oft ein Ausdruck schlimmster Finsternis?

Ja, das ist sie. Aber: Religion ist beides. Religion kann beides: Schlimmste Finsternis und wahres Licht. Unterste Schublade und Leuchtturm.

Die Geschichte aller Religionen zeigt uns zwei Seiten, die sich entfalten können. Auch der Islam, der uns heute so oft als ein Hort der Finsternis begegnet – auch der Islam hat helles, wunderbares Licht hervor gebracht – und tut es noch. Und das Christentum hat in seiner Geschichte finsterste Zeiten erlebt, Gewaltexzesse schlimmsten Ausmaßes.

Jede Religion kann beides: Tiefste Finsternis und wahres Licht. Das Feuer des Glaubens steht immer in der Gefahr, zerstörerisch zu werden, und dann erzeugt das Feuer des Glaubens – eben Finsternis. Es verkehrt sich in sein Gegenteil.

Das geschieht, wenn das Feuer seinen Bezug verliert. Denn das Feuer des Glaubens ist ja kein Selbstzweck, es ist Ausdruck einer Beziehung. Es entsteht im Kontakt zwischen Gott und Mensch: Weil Gott mir begegnet, weil Gott mir zugewandt ist, weil Gott mich liebt – deshalb entsteht in mir Vertrauen, entsteht Glaube. Aus der Beziehung zwischen Mensch und Gott entsteht Begeisterung, Überzeugung. So entsteht religiöse Gemeinschaft, so entsteht Gemeinde: Ich möchte anderen mitteilen, was mich überzeugt und begeistert. Ich möchte mich darüber austauschen. Ich möchte davon sprechen, was mir in meinem Leben den Rücken stärkt, was mir hilft, was mich hält. Ich möchte von dem sprechen, was ich als wahr erkenne, was ich lerne durch den Glauben. Ich möchte mit anderen das teilen, was Gott mir schenkt.

Schwierig aber wird es, wenn ich der Überzeugung bin, dass nur meine Erfahrung allein etwas gilt. Dass es überhaupt nur einen Weg zu Gott gibt, nämlich meinen – und dass folglich alle auf dem falschen Weg sind, die eine andere Richtung einschlagen. Wenn ich also nicht mehr FÜR meinen Glauben brenne – sondern GEGEN den der anderen.

Ich finde, dass das ein Merkmal von Fundamentalisten jeglicher Herkunft ist: Sie sind nicht bei sich, sie sind immer nur mit Anderen beschäftigt und was sie tun. Und so machen sie im Grunde Gott ganz klein. Sie machen Gott zu einer jämmerlichen Figur, die beleidigt ist, wenn jemand bestimmte Speisen isst. Ein Kleingeist, der sich vorwiegend als Buchhalter betätigt und den lieben langen Tag nichts anderes zu tun hat, als quengelig aufzupassen, was die Menschen schon wieder alles an Vorschriften brechen.

Und überhaupt: Die Vorschriften. Fundamentalistische Gruppen sind besessen von ihnen. Immer neue kommen dazu: Du darfst dies nicht und das nicht, das ist Sünde und jenes auch. Die Welt wird gerastert in Rein und Unrein.

Natürlich brauchen wir Regeln. Es geht nicht ohne. Selbstverständlich brauchen wir zum Beispiel eine Kirchenordnung. Wir Menschen sind so, dass es ohne Regeln nicht geht. Die Frage ist aber: Wie weit machen wir uns zu Sklavinnen und Sklaven dieser Regeln?

Nach evangelischem Verständnis ist jede Vorschrift, jede Regel, jede Ordnung unter einem bestimmten Gesichtspunkt zu sehen – nämlich: Ist der Mensch für den Sabbat da oder der Sabbat für den Menschen? Sind wir da, um Regeln und Vorschriften zu befolgen, oder sind die Gesetze und Vorschriften da, um unser Leben gut zu regeln?

Die Reformation hat mit Phantasie und Entschiedenheit gegen den Regelterror der damaligen Kirche protestiert. Das Sinnbild dieser Haltung ist für mich ein Ereignis aus der Reformation in Zürich: Dort fand zu Beginn der Fastenzeit des Jahres 1522 ein demonstratives, öffentliches Wurstessen statt. Ja, sie haben richtig gehört: Ein Wurstessen. Demonstrativ, frech und herausfordernd. Dieses Ereignis war der Startschuss für die Reformation in Zürich. Es war ein Happening, eine symbolische Protestaktion, ein öffentlicher Tabubruch. Wurstessen in der Fastenzeit. Die Aktion hat die Leute so beeindruckt, dass einige Tage später – noch immer in der Fastenzeit – in Basel öffentlich ein Spanferkel verzehrt wurde.

Man kann von Wurst und Schweinefleisch halten, was man will – es geht um die symbolische Bedeutung. Denn es ging ja nicht darum, das Fasten als solches abzulehnen. Es ging um gefühlte tausend Regeln für das Fasten, um öffentliche Kontrolle ihrer Einhaltung – und Bestrafung bei Verstößen – es ging um Bevormundung und Regelwut bis ins Kleinste. Die Leute hatten die Nase voll von alldem. Sie hatten keine Lust mehr auf Gängelei und sie hatten es satt, mit immer neuen Vorschriften und Regeln traktiert zu werden. Das Zürcher Wurstessen klingt ein bisschen wie die Veranstaltung einer Studentengruppe aus dem Jahr 1968.

Aber es war 1522 und der Hintergrund war der nicht mehr zu unterdrückende Protest – gegen eine Form von Religion, die nur noch aus Asche bestand.

Denn solcherart Vorschriften, solche Unterteilung der Welt in rein und unrein, sündhaft und erlöst – das alles ist aus Asche gemacht, nicht aus lebendigem Glauben.

Asche kann einfach fad und langweilig sein, wenn eben nur noch darüber gesprochen wird, wie toll doch früher einmal das Feuer brannte.

Asche kann aber auch Hand in Hand gehen mit Finsternis – und dann: Dann wird aus der Asche des Glaubens ein religiöses Regelwerk geschaffen, das Menschen mit sozialer Ausgrenzung und mit Strafen bedroht, wenn sie diese Regeln nicht einhalten. Und wenn es noch schlimmer kommt, dann glauben die Hüter der Asche gar, sie hätten das Recht, Gewalt anzuwenden, um die Menschen zum Einhalten ihrer grauen Regeln zu zwingen.

Aber ich kann für mich sagen, und ich denke es geht Vielen in unserer Kirche so: Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Gott – in welcher Gestalt, unter welchem Namen auch immer – dass Gott Menschen befiehlt, gegen andere Menschen Gewalt anzuwenden. Ich glaube es nicht. Und wenn Gott so wäre, dann müssten wir diesen Gott bekämpfen. Dann wäre es auch richtig, dass man alle Religionen am besten mit Stumpf und Stiel ausmerzt, weil sie nur Irre hervorbringen und eine Gefahr für die Menschheit sind. Das ist ja zurzeit – mehr oder weniger unverblümt – in manchem Kommentar zu lesen.

Aber so ist es nicht. So ist Gott nicht. Und deshalb ist das Ende der Religion keine Lösung. Aber wir müssen darüber sprechen, wofür wir als Glaubensgemeinschaften jeweils stehen.

Wir müssen eine wirkliche, eine theologische Auseinandersetzung mit dem Fundamentalismus führen. Wir müssen deutlich sagen: Wir als Evangelische Kirche, wir stehen für einen weltoffenen, menschenfreundlichen Glauben. Wir stehen für die Freiheit des Gewissens. Wir glauben, dass Gott jedem Menschen zutraut, die wichtigen Entscheidungen des Lebens selbst zu treffen.

Ich hoffe, dass wir als Evangelische Kirche in diesem Sinn das Licht unseres Glaubens leuchten lassen. Ich hoffe, dass wir den Mut haben, die Flamme zu nähren – und dass wir nicht aus falsch verstandener Rücksichtnahme schweigen, wo wir reden müssten – von Gott! Und davon, wie Gott nach unserem Verständnis ganz bestimmt NICHT ist.

Und ich fühle mich in dieser Hoffnung verbunden mit all den Millionen auf dieser Welt, die in ihrer Kirche, in ihrer Synagoge, in ihrer Moschee, in ihrem Tempel, an ihrem Heiligtum – beten. Die tagtäglich versuchen, ein anständiges Leben zu leben, ihren Mitmenschen fair zu begegnen, ihre Kinder ordentlich groß zu ziehen und ihren Alltag zu bewältigen – mit Hilfe ihres Glaubens – und die ihre Religion gewaltfrei leben.

Es sind noch immer viele, und sie alle sind unsere Verbündeten gegen die Fundamentalisten weltweit.

Denn es ist meines Erachtens an der Zeit, dass wir, die wir Licht sein wollen in dieser Welt, uns zusammentun. Und dass wir laut und deutlich sagen, was uns in der Fratze der religiösen Gewalt begegnet: Nicht das lebendige Feuer des Glaubens, sondern die kalte Asche.

Deshalb: Lasst uns die Flamme des Glaubens nähren! Lassen Sie uns tapfer sein und nicht schweigen angesichts der Schande im Namen Gottes! Lassen Sie uns nicht weichen vor der Finsternis!

Elisabeth Müller

2 Gedanken zu „Lebendiges Feuer statt kalter Asche

  1. Das ist für mich ein hervorragender Beitrag. Leider werden die unter „verschlagwortet“ angegebenen Stichworte von der Kirche und in den Gemeinden viel zu wenig diskutiert. Es fehlen Anregungen und Informationen.

    • Hallo, Frau Perlebach! Herzlichen Dank für Ihren positiven Kommentar und für Ihren Hinweis auf die Bedeutung der Themen, die wir als Schlagwörter für diesen Beitrag angegeben haben. Ein Blick in den wöchentlichen Pressedienst unseres Kirchenkreises zeigt, dass gerade diese Themen vielfach in den Gruppen der Frauen-, Männer- und Seniorenarbeit, in der Erwachsenenbildung, in Gesprächsforen der Gemeinden und auch in unseren Gemeindeübergreifenden Diensten (Schulreferat, Bildungswerk usw.) angesprochen werden. Vielleicht haben Sie Lust, Ihren Hinweis noch ein wenig zu konkretisieren, was fehlt Ihnen genau? Ihnen einen schönen Pfingstmontag weiterhin und viele Grüße! Stefan Koppelmann, für die Redaktion von HIMMELrauschen.de.

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