In welchen unfriedlichen Zeiten müssen wir leben? Wer hätte das gedacht! „Antisemitismus und Islamophobie nehmen zu. Aber sie führen in die Irre, weil sie Hass schüren und potenziell in Gewalt münden. Der einzig zukunftsfähige Weg für ein friedliches Zusammenleben ist der Wert der Toleranz und des Dialogs. Das ist kein Verwischen der Unterschiede der Religionen, sondern es ist der Umgang mit diesen Unterschieden, der von Respekt und Wertschätzung geprägt ist“ (Landesbischof Prof. Dr. Bedford-Strohm, früherer Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland).
Zwei Friedensprojekte in Berlin und im fernen Abu Dhabi bemühen sich in dieser angezeigten Richtung. Ein prominenter afrobritischer Architekt baut das Abrahamic Family House, ein Berliner Architektenbüro das House of One. Die Initiative für das Projekt in Abu Dhabi geht auf Papst Franziskus zurück, die Berliner auf den evangelischen Pfarrer Gregor Hohberg. Wir wünschen ihnen sicher alle einen guten Erfolg. Wie schaut´s im Einzelnen aus?
Der prominente afrobritische Architekt ist Sir David Adjaye, geb. 1966 in Daressalam, Tansania: „Als Architekt möchte ich ein Gebäude schaffen, das den Begriff der hierarchischen Differenz auflöst. Es sollte Universalität und Totalität repräsentieren – etwas Höheres, das das menschliche Leben bereichert.“ Mit dem Abrahamic Family Hause beweist sich Adjaye als Visionär der besonderen Art. Er setzt nicht in erster Linie auf Nachhaltigkeit, sondern auf ein nicht weniger wichtiger Ziel – so wie Hans Küng auf das Weltethos – auf den Weltfrieden. Er ist ein Visionär besonderer Art, angeregt durch den Visionär Papst Franziskus. Dieser sagte jüngst: „Mögen die Waffen schweigen, damit diejenigen, die die Macht haben, den Krieg zu stoppen, den Schrei der gesamten Menschheit nach Frieden hören.“
Im Februar 2019 besuchte Papst Franziskus Abu Dhabi. Franziskus und der Großimam Ahmed Al -Tayyeb unterzeichneten ein historisches Dokument. Das gemeinsame Ziel dieses Dokuments: die Förderung der Brüderlichkeit, des Verständnisses und gegenseitigen Respekts zwischen allen Nationalitäten und Glaubensrichtungen.
Ist das nur etwas für die Ewigkeit? frage ich ganz naiv. Nein! Schon Martin Luther hat nicht nur für die Ewigkeit, sondern für die Zeit geschrieben: „Vater unser im Himmelreich, der du uns alle heißest gleich, Brüder sein und dich rufen an…“ (vgl. dazu meinen Beitrag zu Martin Luthers Vater unser-Lied vom 29. Januar 2022). Auch beim Reformator ist der Respekt die alles entscheidende Haltung. Das ist zu aller Zeit das entscheidende Wort! Wir wollen in einer kurzen Gegenüberstellung untersuchen, wie man hier mit diesem Grundwort umgeht. Wir blicken zuerst nach Berlin.
House of One, Berlin
Schon 2009 fand eine Gemeindeversammlung der Evangelischen Kirchengemeinde von St. Petri-St. Marien statt, in welcher der Pfarrer der Gemeinde, Gregor Hohberg, den folgenreichen Vorschlag äußerte, „etwas mit mehreren Religionen gemeinsam zu machen“. So einfach schien das damals; doch so war es nicht. Es sollten die Religionen sein, die in Geschichte und Gegenwart Berlins präsent waren und sind: Judentum, Christentum und Islam, die drei Buchreligionen. Sie verehren einen Gott (daher House of „One“).
Der Berliner Senat stimmte der Idee durch einen Beschluss zu und befürwortete einen kirchlichen Neubau auf dem Areal der früheren Petrikirche, deren Kriegsreste 1964 durch den Ost-Berliner Magistrat entfernt worden waren. Am 8. September 2016 wurde eine Trägerstiftung für die Projekt gegründet. Und es musste weitergehen.
Den ausgelobten Architektenwettbewerb gewann das Berliner Architekturbüro Kuehn-Malvezzi. Im Reformationsjahr 2017 wurde der Informations-Pavillon für das Projekt erstmalig in Wittenberg aufgestellt. Das Projekt ist, wie zu erwarten, nicht billig: es wird auf rund 44 Millionen Euro Baukosten geschätzt. Das Geld kommt vom Bund, Land und Spenden, Stiftungen usw. Doch hören wir, was die drei „Religionsvertreter“ bei der Grundsteinlegung 2019 zu sagen hatten:
Pfarrer Gregor Hohberg für die Christen: (Wir sind…) „drei Gemeinden, die sich auf den Weg machen. Wir repräsentieren nicht das Ganze. Aber wir verpflichten uns, andere, die mitmachen wollen, einzubinden und nicht auszugrenzen.“ – Rabbiner Andreas Nachama für die Juden: „Wir werden ganz sicher keine Esperanto-Religion schaffen, wir sind einfach beieinander, jeder in seiner Tradition.“ – Imam Osman Örs für die Muslime: „Natürlich wollen wir unsere Unterschiede nicht wegdiskutieren. Aber auch verbindende Elemente zu entdecken, ist etwas Schönes.“
Besonders von muslimischer Seite sind kritische Fragen zum Projekt gestellt worden, ja die relevanten Moschee-Vereine und muslimischen Dachverbände haben es abgelehnt. Allein ein Verein muslimischer Träger, dessen Vertreter der Gülen-Bewegung angehören, gehört zu den Befürwortern.
Aber auch das Gespräch im „Forum Dialog“ wird praktiziert. Pfarrer Gregor Hohberg nennt den Imam Kadir Sanci konservativ. Dieser wehrt sich mit dem Hinweis, dass sie sowohl Frauen haben, die Kopftuch tragen, wie auch Frauen ohne. Wir sind bunt, nicht einheitlich, kontert er. Hier wird Offenheit gelebt, eine Weltoffenheit gegenüber anderen Religionen und Kulturen in der Arbeit und im Gebet.
„Aufklärung auf Augenhöhe“ ist die Richtung, in die der Rabbiner Andreas Nachama schaut. Als Sohn jüdischer Holocaust-Überlebender wurde er 1951 in Berlin geboren. Die Auseinandersetzung mit dieser schwierigsten Geschichte ist unumgänglich. Lange ist er Direktor der Ausstellung „Topographie des Terrors“ in Berlin gewesen. Jetzt ist er Rabbiner in Berlin.
Die Offenheit für andere Religionen und Konfessionen ist für Pfarrer Gregor Hohberg, dem evangelischen Initiator des Ganzen, unabdingbar. Die Römisch-Katholische Kirche allerdings hält sich fern.
Abrahamic Family House, Abu Dhabi
Das ist im anderen Projekt, dem „Abrahamic Family House“ in Abu Dhabi, ganz anders. Ein internationales „Higher Committee of Human Fraternity“, bestehend aus Vertretern des katholischen, jüdischen und muslimischen Glaubens, bemüht sich um den Frieden zwischen Nationalitäten und Glaubensrichtungen. Der Auftrag zum Neubau in Abu Dhabi ist eines seiner ersten Aktivitäten. Wem würde hier nicht schon die Assoziation von Hans Küngs „Weltethos-Projekt“ kommen, das ich weiter oben bereits genannt habe.
Der Plan zu diesem „Abrahamic Family House“ stammt, wie schon erwähnt, von dem Star-Architekten Sir David Adjaye. Auf Grund seiner Leistungen ist der schwarze Architekt, in Daressalam/Tansania geboren, vom englischen Königshaus geadelt worden. Er arbeitete u.a. mit David Chipperfield zusammen, der uns auch in Essen, als Architekt des Museums Folkwang, gut bekannt ist.
Das von ihm gestaltete neue Zentrum wird eine Synagoge, eine Kirche, eine Moschee und einen weltlichen Besucherbereich enthalten – ein architektonisch faszinierendes Bauwerk (man schaue sich im Internet die Abbildungen an). Es soll ein Raum für zukünftige Generationen im liberalen Emirat Abu Dhabi werden. Drei Würfel sollen auf einem Sockel ruhen. „Wir wurden zu diesen kraftvollen plutonischen Formen mit klarer Geometrie hingeführt. Obwohl nicht ausgerichtet, sind sie unterschiedlich orientiert“, sagt der Architekt. „Ich glaube, Architektur sollte daran arbeiten, die Welt zu schaffen, in der wir leben wollen: eine Welt der Toleranz, Offenheit und ständigen Weiterentwicklung.“
Ein kurzer Blick ins Innere des Glaubens
Was ist zum Inneren, zum gemeinsamen und unterschiedlichen Glauben, den die Projekte verfolgen, in aller Kürze zu sagen?
Der aus Ur in Chaldäa stammende Abraham ist die Integrationsfigur der „Abrahamic Family“: Vater der Juden, der Christen und der Muslime. Hebron, im Süden des Heiligen Landes, mit dem Grab von Abraham und Sara, ist der zentrale Ort ihrer Verehrung. In 1. Mose 25,8ff. lesen wir: „Abraham verschied und starb im guten Alter, als er alt und lebenssatt war und wurde zu seinen Vätern versammelt. Seine Söhne Isaak und Ismael begruben ihn in der Höhle von Machpela [in Hebron, E.S.] … mit Sara, seiner Frau.“ In 1. Mose 25,12f. heißt es: „Dies ist das Geschlecht Ismaels, des Sohnes Abrahams, den ihm Hagar gebar, die Magd Saras aus Ägypten.“
Vgl. dazu die Sure 2,125 im Koran: Wir, das sind Abraham und Ismael, bauen das Haus (die Kaba in Mekka) und machen es zu einem Versammlungsort für die Menschen als Bethaus.
Für den Apostel Paulus, der sich als Israelit vom Geschlecht Abrahams versteht (vgl. 2. Korinther 11,22), ist Abraham der Vater des Glaubens (vgl. Römer 4). So können wir also die „Abraham-Familie“ voll verstehen.
Jetzt begeben wir uns nach Jerusalem, der Heiligen Gottesstadt für alle drei Buchreligionen: Für die Juden ist Jerusalem die Stadt Davids. Für die Christen ist Jerusalem die Stadt Jesu Christi. Für die Muslime ist Jerusalem die Stadt der Himmelfahrt Mohammeds. Die Stadt Gottes gehört weder den Juden noch den Christen noch den Muslimen. Doch sie war und ist immer umkämpft. Für die Juden und die Christen ist Jerusalem das Herz. Für die Muslime ist das Herz Mekka, nicht Jerusalem.
Der Eine, Einzige Gott
Das Kernproblem aller Weltreligionen sind der Respekt und die Anerkennung. Dazu hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 2015 einen wichtigen Text veröffentlicht: Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive (Gütersloh 2015). Daraus zitiere ich:
„Religiösen Pluralismus gibt es nur, solange mehrere Religionen und alternative Grundüberzeugungen nebeneinander bestehen. Versucht man, religiöse Vielfalt der Religionen in eine Grundbeziehung zu einer letzten, allen Religionen gleichermaßen transzendenten Wirklichkeit zu integrieren, stiftet man eine neue religiöse Überzeugung [siehe die Bahá’í-Religion, E.S.] und schafft mit ihr den Pluralismus wieder ab“ (S.31).
Das werden wir im Folgenden sehen. Die Behauptung: wir haben doch „alle denselben Gott“ führt zu einer unzulässigen Verharmlosung. Die zentrale, trinitarische Differenz des christlichen Glaubens zum Judentum und Islam ist seit jeher die Soteriologie, d.h. die Erlösungslehre, das Kreuz.
In den Fünfzigerjahren Jahren des 1. Jahrhunderts ärgert sich der Apostel Paulus über die Juden, die das Kreuz Jesu Christi als das „Anstößige“ (skándalon) bezeichnen und noch mehr über die nichtjüdischen Heiden, Griechen und Römer zuvorderst, welche das Kreuz des Herrn „Dummheit“ (moría) nennen (vgl. 1. Korinther 1,23; zum Ganzen siehe die Kapitel 1 und 2).
In den Anfangsjahren des 21. Jahrhunderts ärgerte der liberale Muslim Navid Kermani, der mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden ist, die Christen mit seiner Glaubensaussage – viele haben sie überlesen: „Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie [bes. Martin Luthers, E.S.] drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie“ (in: Ungläubiges Staunen. Über das Christentum, Verlag C.H.Beck 2015, S. 50). Ich denke, das ist deutlich.
Im Jahr vor dem Reformationsjubiläum 2016 unternahmen die Bischöfinnen und Bischöfe der EKD und die Bischöfe der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz eine gemeinsame Pilgerreise in das Heilige Land. Das hatte es noch nie gegeben. Was dort geschah, hatte es auch noch nie gegeben. In Jerusalem an der Klagemauer und am Felsendom legten alle gemeinsam ihre Bischofskreuze ab. Beim gottesdienstlichen Treffen zu Neujahr 2017 im Berliner Dom sprach ich den Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm darauf an. Das war ihm sichtlich unangenehm und er bekannte sich zu diesem Fehler. Weiter habe ich in der Öffentlichkeit kaum Erklärendes dazu gehört.
Ist das der Respekt, von dem anfangs die Rede war? In dem im Internet zu besichtigendem Plan des Architekten David Adjaye von der Synagoge, der Kirche und der Moschee des „Abrahamic Family House“ in Abu Dhabi ist in der Kirche, groß und deutlich, das Kreuz zu sehen.
Unsere Abschluss-Frage lautet: Wo liegen die Symmetrien und wo die Asymmetrien in diesen drei Religionen? In der Kosmologie, der Schöpfungs- und Urgeschichte: sowohl Symmetrie als auch Asymmetrien. In der Soteriologie, der Erlösungslehre: totale Asymmetrie. In der Eschatologie, der Lehre von den „Letzten Dingen“: sowohl Symmetrie als auch Asymmetrien. Diese „Letzten Dinge“, ein weites Feld (Fontane), behandeln wir hier nicht. Ich ziehe auch kein Resümee, will aber zum Nachdenken anregen.
Eckhard Schendel