Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! (Lukas 6,36)
Neulich musste ich richtig herzhaft lachen und dann auch den Kopf über mich selbst schütteln. Ich war bei meiner Schwester und zusammen schauten wir eine Folge „Pumuckl“ – Sie wissen schon, dieser kleiner rothaarige Kobold, der bei Schreinermeister Eder bleiben muss, weil er an dessen Leimtopf kleben blieb und seitdem für Herrn Eder sichtbar ist. Normalerweise hat der kleine Wicht ja nur Blödsinn im Kopf, lässt mal das eine, mal das andere verschwinden, zupft hier mal an etwas, rückt dort etwas weg, aber dieses Mal, dieses Mal war alles anders.
Meister Eder hatte Besuch von seiner Schwester, die irgendwen mit einem neuen Schrank überraschen wollte. Wie das unter Geschwistern so ist, man geht immer davon aus, dass die anderen schon springen, schnell springen, wenn man etwas möchte. Erst war die Planung des Schranks kompliziert – wie viele Fächer sind wo günstig – dann hatte Eder nur wenig Zeit zur Fertigstellung.
Meister Eder, der sonst immer ganz gelassen in seiner Werkstatt hockt und im eigenen Rhythmus arbeitet, geriet unter Druck. Kein Bier zwischendurch, nur konsequente Arbeit. Das stresste ihn. Pumuckl schaukelt währenddessen in seiner kleinen Schiffsschaukel und tut das, was er gut kann und gern tut, er dichtet und singt. Das nervt, also mich nicht, aber den Herrn Eder, der bei so viel Gesinge und Gerede nicht klar denken kann und sich abgelenkt fühlt. Es wird gemeckert. Pumuckl wird angeschnauzt, er möge den Mund halten, still sein. Aber so ein Kobold…
Und dann passiert das, was natürlich passieren muss: Die Säge streikt, der herbeigerufene Handwerker hilft nicht, die Zeit drängt, Meister Eder wird unkonzentriert, Dinge werden verlegt, der Hausmeister kommt, hilft, Herr Eder schaltet die Hauptsicherung aus, vergisst, dass er das selbst getan hat, verzweifelt, als die Säge wieder nicht geht, entdeckt den ausgeschalteten Schalter und schimpft. Schreit Pumuckl zusammen, der, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit nichts, aber auch gar nichts getan hat. Geschaukelt hat er. Geglaubt wird ihm nicht. Eder schimpft, der Pumuckl schimpft zurück und packt seine sieben Sachen, bzw. sein ganzes ‚Kapitol‘, wie er es nennt und will die Werkstatt für immer verlassen…
Ich habe gelacht und dann den Kopf geschüttelt, weil ich das doch so gut kenne. Wenn ich im Stress bin, dann bin ich auch leicht reizbar, dann ist meine Zündschnur recht kurz, dann schimpfe ich auch mal laut, mal leise vor mich hin und beschuldige vielleicht auch mal die Falschen. Ich erkannte mich wieder in dem Herrn Eder, weshalb zum Lachen auch das Kopfschütteln kam. Die eigenen Fehler so fröhlich vorgeführt zu bekommen ist, um ehrlich zu sein, nicht nur vergnüglich.
Pumuckl ist also auf dem Weg. Er müht sich mit seinem kleinen Holzpferd auf Rädern, das einen Anhänger zieht, in dem sich sein ‚Kapitol‘, sein Hab und Gut befindet, und Meister Eder? Der steht in seiner Werkstatt, hält inne und überlegt. Überlegt, ob nicht vielleicht doch er selbst den Hauptschalter… Und dann macht er etwas ganz Großartiges: Meister Eder geht in die Knie, ja er geht auf den Boden, damit er seinem Pumuckl nahe ist und will ihn an seiner Ausreise hindern.
Und Pumuckl? Pumuckl ist tief verletzt. Er ist unschuldig, ihm wird etwas vorgeworfen, was er wirklich nicht getan hat, und er ist stolz. Koboldsehre, wenn Sie so wollen. „Herr Pumuckl“ möchte er genannt werden, so viel Zeit muss sein und Eder siezt, siezt seinen Pumuckl und entschuldigt sich. Sie wissen oder ahnen, wie die Geschichte ausgeht. Große Versöhnung, und Pumuckl fragt ganz vorsichtig, ob man sich nach der Versöhnung wohl auch wieder duzen könne, und dann marschieren sie ab, gehen in die obere Wohnung, um Brotzeit miteinander zu halten.
Die zwei in dieser Geschichte von Ellis Kaut bilden ja immer wieder das ganz normale Leben ab und manchmal ist neben der Fröhlichkeit, die sie bereiten, auch etwas Lehrhaftes dabei. So auch in dieser Folge, wie ich fand.
Herr Eder und sein Pumuckl haben sich richtig gern, das spürt man immer wieder. Sie haben es allerdings auch gar nicht leicht miteinander, weil die Gesetze und Lebensweise von Kobolden für Menschen manchmal schwierig sind, ja geradezu nerven können. Und weil auf der anderen Seite menschliches Leben manchmal so akkurat ist, dass Kobolde keinen Spaß haben und den brauchen sie wohl, damit sie das Leben genießen können. Es ist also nicht leicht. Und kommt Stress hinzu, dann wird es richtig schwer.
Doch Meister Eder und sein Pumuckl – je länger sie beieinander sind, desto mehr versuchen sie einander zu verstehen. Und in der beschriebenen Folge zeigen sie etwas, was mich rührt und wo ich hoffe, dass ich auch einmal so dahin komme: die beiden leben Barmherzigkeit. Pumuckl, so sehr er auch gekränkt und zu Unrecht angegriffen wurde, er ist nicht nur zur Vergebung bereit, sondern er ist auch bereit, sein Herz weit zu machen, Verständnis zu haben für die schwierige und angespannte Lage von Meister Eder, und umgekehrt ist Meister Eder nicht so besserwisserisch und böse, dass er nicht auch ganz verständnisvoll wahrnimmt, wie der kleine Pumuckl durch das Siezen seine Ehre wieder aufbügeln möchte.
Ganz barmherzig gehen sie miteinander um. Können ihren Ärger auf beiden Seiten stehen lassen, können ausgesprochene und unausgesprochene Entschuldigungen annehmen, legen nicht mehr jedes Wort auf die Goldwaage, sondern üben Barmherzigkeit.
Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! (Lukas 6,36)
So lautet die Jahreslosung für 2021. Eine Jahreslosung, die wie für mich, aber vielleicht auch für Sie, wie gemacht ist. Denn wenn ich im letzten Jahr etwas gelernt habe, dann dies: ich bin nicht pandemieerprobt. Mich hat es gestresst, mich stresst es, immer und überall aufzupassen, nicht alles anfassen zu dürfen ohne mir anschließend die Hände zu waschen, immer auf den nötigen Abstand zu achten, den Mundnasenschutz nicht zu vergessen.
Das alles hat mich so gestresst, wie Meister Eder die Anfertigung des Schranks. Und ich war im letzten Jahr auch nicht nur verständnisvoll, geschweige denn barmherzig.
Was haben mich die Demonstranten geärgert, die ohne Mund-Nase-Schutz demonstrierten, die vielen Menschen, die riesige Familienfeier veranstalteten und ganze Städte lahm legten, die unbedingt in den Urlaub fahren mussten, sich nicht an die Regeln hielten, Chaos verbreiteten. Genervt haben sie mich und ich hatte nur wenig Verständnis, geschweige denn, dass ich Ihnen gegenüber barmherzig sein wollte.
Und ich glaube, das ist tatsächlich das Entscheidende. Will ich barmherzig sein? Meister Eder und sein Pumuckl wollen. Beide gehen aufeinander zu, beide wollen Frieden, nicht um jeden Preis, keiner soll sein Gesicht verlieren oder Kobolds Ehre, sie wollen sich auf einer Ebene begegnen, wollen Verständnis für einander haben, aber sie wollen, wollen den Frieden und wollen somit auch barmherzig miteinander umgehen.
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! So heißt es. Gott überlegt gar nicht, ob er mit mir störrischem und doch oft auch ungehorsamen Menschenkind – das so oft alles besser weiß und sich nicht immer vertrauensvoll in seine Hände begibt, das so oft gestresst ist und ungeduldig, dass nicht immer hilft, wenn es müsste – barmherzig umgehen soll oder nicht – Gott ist barmherzig.
Und ich glaube, wenn wir alle nur ein kleines bisschen mehr Barmherzigkeit zeigten, wenn wir alle nur ein kleines bisschen mehr Liebe zeigten, bereit wären, so aufeinander zuzugehen wie Herr Eder und sein Pumuckl in dieser Geschichte, oder wie meine Mutter sagte, einander mit Barmherzigkeit zu begegnen und damit Verständnis für Unterschiede zu zeigen, wenn wir darüber hinaus einander ohne jedes Wenn und Aber Hilfe leisteten, so wie der barmherzige Samariter – dann, ja dann sähe auch unsere Welt so aus, dass wir versuchten, einander zu verstehen, dass Verständnis wüchse, dass wir nach einem Streit miteinander Brotzeit halten und uns aufeinander verlassen könnten.
Ein guter Vorsatz – zumindest für mich. Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Amen.
Friederike Seeliger