Zweimal im Jahr fahre ich nach Köln zu einem „kleinen Klassentreffen“. Fünf ehemalige Schulkameraden treffen sich im Frühling und im Herbst, die, die in Nordrhein-Westfalen wohnen und noch beweglich sind. Von den Fünfen, die zusammenkommen, bin ich der einzige, der Kirchensteuern bezahlt. Die vier anderen waren nie in einer Kirche oder sind ausgetreten.
Im letzten Herbst war ich sehr frühzeitig am Treffpunkt, traf aber schon einen der Freunde. Wir kamen ins Gespräch und er erzählte, dass seine Enkel eine gute Entwicklung hätten. Und dann sagte er: „Dafür bin ich sehr dankbar.“ Ich fragte zurück, bei wem er sich bedanke, und er sagte, er bedanke sich bei Gott; er fügte hinzu: „Ich bin gottgläubig.“ – Hm.
Für mich war das ein Anlass darüber nachzudenken, woran ich glaube, oder auch: Woran wir glauben könnten. Da wäre zunächst das Glaubensbekenntnis. Die Schwierigkeit: Das eine und einzige Glaubensbekenntnis gibt es nicht. Beim Pfingstgottesdienst im vergangenen Jahr in meiner Oberhausener Christuskirche ließ der Pfarrer das Nizänische Glaubensbekenntnis beten. Das hat eine lange Geschichte und stammt aus dem 4. christlichen Jahrhundert. Innerhalb der Kirche gab es großen Streit über die Rolle Christi in der Heilsgeschichte. Eine Partei meinte, Christus sei eher der menschennahe Jesus und „Gott ähnlich“. Durchgesetzt hat sich die andere Partei, die in dem dann erstrittenen Glaubensbekenntnis formulierte, Jesus ist „aus dem Vater geboren vor aller Zeit“ und „wahrer Gott vom wahren Gott“.
Dieses Glaubensbekenntnis ist (auch?) ein kirchenpolitischer Kampftext. In diesem Glaubensbekenntnis wird Jesus dogmatisch geknebelt. Er kann mir nicht nahe sein. Anders ist es im Apostolischen Glaubensbekenntnis, das wir in der Apostelkirche beten. Und völlig anders ist es in vielen anderen Gottesdiensten, in denen eins von den sechs Glaubensbekenntnissen gebetet wird, die in unserem Gesangbuch ab der Nummer 813 abgedruckt sind. Zu einem Standard hat sich das Glaubensbekenntnis unter der Nummer 816 entwickelt. Das beten wir häufig im Gottesdienst in der Christuskirche in Oberhausen.
Man sieht, was unsere Kirche als zentrale Glaubensinhalte bereithält, hat sich historisch entwickelt und wird sich weiter entwickeln. Ein anderes Beispiel neben der Christologie ist auch das Gottesbild. In meinem Konfirmandenunterricht habe ich nur vom zornigen und strafenden Gott gehört, der alles sieht und Gericht hält. In den heutigen Predigten hören wir vom behütenden, schützenden und achtsamen Gott, dessen Kinder wir sein dürfen, eben „Gotteskinder“.
Und wie ist es mit dem eigenen Glauben? Auch der hat sich vermutlich entwickelt. Als Kinder konnten wir über die „Sternlein“ und die „Mücken in der Sonnenglut“ singen „Gott der Herr hat sie gezählet, daß ihm auch nicht eines fehlet an der ganzen großen Zahl“. So einfach ist es vermutlich mit dem Glauben jetzt, wo wir keine Kinder mehr sind, nicht mehr.
Zum Glauben gehören die Fragen danach, was wir glauben können oder wollen. Ein Glaubensbekenntnis ist kirchenkonstitutiv. Genauso gilt: Glaube ist etwas absolut Individuelles. Welches Glaubensbekenntnis auch immer wir für uns akzeptieren: Es kann nur ein allgemeiner Rahmen sein, den wir mit anderen zusammen haben. Das ist der Glaubenspark der Gemeinde, wir haben unseren eigenen Glaubensgarten.
Was jeder von uns glaubt, hängt entscheidend von den Lebenserfahrungen ab, die uns geprägt haben. Gemeinsam haben wir Eckpunkte mit allen anderen Gläubigen zusammen: Liebe, Hoffnung, Vertrauen, Erlösung, Schutz. Dies sind Begriffe, die sich durch unser Leben mit Erfahrung, aber auch mit Hoffnungen, aber auch mit bitteren Enttäuschungen gefüllt haben. Es sind Begriffe ohne feste Grenzen oder Konturen, ihre Inhalte formen sich ständig um. Wichtig und richtig scheint mir nur, dass wir sie mit Gott in Verbindung bringen und halten.
Und schließlich denke ich – vielleicht sollte ich besser sagen: glaube ich -, dass die Erfahrungen und Gefühle, die für jeden von uns verschieden mit diesen Begriffen verbunden sind, sich mit Gottes Erfahrungen und Gefühlen für uns treffen. Mein Glaube besteht auch darin, dass Gott an uns glaubt. Im großen Glaubenspark treffen wir uns, wir und er. Und er, glaube ich, sieht Jesus ziemlich ähnlich. Daran kann man ihn gut erkennen.
Hans Erlinger
Für mich ist im Gottesdienst das Sprechen des Glaubensbekenntnisses immer ein besonderer Moment. Ich stehe mit offen Augen, nicht nach innen gekehrt, mit offenen Händen, nicht gefaltet und aufrecht. Ich bekenne mit anderen der ganzen Welt das ich glaube. Das erleben und offenbaren des Gemeinsamen, das Öffentliche überwiegt bei mir dabei die Einzelfrage. Schön das es unterschiedliche Formulierungen gibt, bis jetzt war immer ein Aspekt dabei, der sehr gut eine Seite meines Glaubens meines Bekenntnisses wiedergibt.