Die Elenden sollen essen, dass sie satt werden und die nach dem Herrn fragen, werden ihn preisen; euer Herz soll ewiglich leben. (Psalm 22,27)
Der Karfreitag – er ist ein Tag zum Weinen: am Karfreitag wurde Jesus gekreuzigt. Pontius Pilatus ließ ihn hinrichten, aus mehreren Gründen. Zum einen fürchtete er den Aufrührer Jesus, der Unruhe in seine römische Provinz brachte. Zum anderen fürchteten die Geistlichen des Tempels einen Konkurrenten und bezichtigten ihn der Gotteslästerung. Und auch die Kaufleute, die ihr Geld am Tempel verdienten, wollten ihn loswerden, weil er ihr Geschäft verdarb. Pontius Pilatus ließ ihn kreuzigen und Jesus starb.
Seitdem begleitet uns als Christ*innen das Kreuz – als Erinnerung an das Sterben. Als Symbol für das, was in unserem Leben schmerzt, woran wir leiden – als Symbol für Trennungen. Der Blick auf das Kreuz macht uns sensibel für die Leidenden am Wegrand unseres Lebens. Zu diesen Leidenden gehören die Opfer des Syrienkrieges, die Toten im Mittelmeer genauso so wie die Opfer des Corona-Virus.
Ja – es ist zum Weinen. Es gibt diese Orte, an denen Menschen sich verzweifelt und zutiefst verlassen fühlen. Hier mitten im Ruhrgebiet in Essen: meine alte Nachbarin, die sich angesichts des momentanen Kontaktverbotes große Sorgen macht; die einsam ist und sich unsicher fühlt. Der Krankenpfleger im Krankenhaus, der selber Angst hat, infiziert zu werden… Die Ängste und Verlassenheiten wahrnehmen und gemeinsam aushalten – auch darum geht es am Karfreitag.
Genau deshalb feiern wir am Karfreitag Gottesdienst – wenn auch in diesem Jahr auf ungewöhnliche Weise, aber unsere Gebetsgemeinschaft ist ja nicht an den Kirchraum gebunden.
So schwer, wie wir uns im Alltag mit dem stillen Feiertag, dem Karfreitag, tun – so dankbar bin ich in diesen unruhigen Zeiten dafür, dass er mich mit seiner Stille unterbricht. Dass er mir Raum und Zeit schenkt für die ehrliche und wütende Klage. Und dass ich diese Wut und Klage nicht herunterschlucken muss, sondern sie laut herausschreien darf. Im Gebet in der Gestalt der ehrlichen und wütenden Klage: Warum dieses Leid? Warum diese Not?
Am Karfreitag hoffen wir darauf, dass Gott die Not sieht und sie wendet. Denn es geht um Hoffnung angesichts des Leidens und angesichts des Todes. Hoffnung, die sich niemand selbst verschaffen kann. Sie kommt tatsächlich von außen her, von Gott, der Jesus vom Tode auferweckt. So unglaublich und unglaubwürdig dies auch klingt – wenn unsere Macht endet, Leben zu halten und zu bewahren, dann endet noch nicht Gottes Macht.
Das Kreuz – es streckt sich mit seinen Koordinaten von der Erde zum Himmel – als trotzige Hoffnung darauf, dass Gott sich auch angesichts der Coronakrise den vielen Toten nochmals schöpferisch zuwendet. Denn mit der Auferweckung des Gekreuzigten hat er uns allen versprochen, dass wir nicht im Tod bleiben.
Das Kreuz – es streckt sich hin zu meinem linken und rechten Nachbarn. Wir schließen deshalb heute neben den Erkrankten auch die Menschen in unsere Gebete ein, die in diesen Ausnahmezeiten unter der sozialen Isolierung leiden. Möge Gottes Geist uns die Kraft geben, Mittel und Wege zu finden, diesem Leiden zu begegnen. Die Leidenden ermutige ich: Fasst euer Leid in Worte, ruft an und wendet euch an Menschen, die zuhören – in euren Familien, Freundeskreisen, Nachbarschaften. Wendet euch an die Seelsorger*innen vor Ort in den Gemeinden oder an die Mitarbeitenden der Telefonseelsorge.
Mit seinen letzten Worten am Kreuz zitiert Jesus ein Wort aus dem 22. Psalm: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Wenn ich in diesen jahrtausendealten Gebetspsalm hineingehe, entdecke ich auch, wie Trauer sich in Zuversicht wandeln kann. Wenige Verse weiter heißt es: „Die Elenden sollen essen, dass sie satt werden und die nach dem Herrn fragen, werden ihn preisen; euer Herz soll ewiglich leben“ (Psalm 22,27).
Dass Gott in unser Denken kommt und es weitet, das ist die Hoffnung derer, die beten. Wer betet, weiß den Himmel über sich. Er weiß, dass der Himmel größer ist als alle Gräber und Kreuze.
Wir beten:
Du, unser Gott,
so wie du deinen Sohn zum Leben auferweckt hast,
hoffen wir als Christ*innen verwegen und trotzig,
dass du auch uns in Zeiten der Not zugewandt bleibst.
Ein Virus schränkt unser Leben spürbar ein.
Viele haben Angst und sind einsam.
Viele bangen um ihre wirtschaftliche Existenz.
Aus der Tiefe rufen wir am Karfreitag zu dir
und hoffen, dass du unser Gebet hörst:
Wir denken an die Infizierten,
die in Quarantäne warten, was auf sie zukommt:
Lass sie den Beistand erhalten, den sie brauchen.
Wir bitten dich für die Erkrankten,
die um ihre Leben kämpfen müssen:
halte deine Hand schützend über sie
und bewahre denen, die sie behandeln und die sie pflegen
ihre Kraft und Menschlichkeit.
Gott,
stärke den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft,
weite unseren Blick für die,
die uns gerade jetzt brauchen,
und lass uns dabei nicht die vergessen,
die keine Hilfe erfahren,
die an den Grenzen Europas um ihr Überleben kämpfen.
Bring uns in dieser Krise zur Einsicht
für das, was im Leben wirklich zählt,
und weck in uns Kräfte zum Guten.
Amen.
Ich wünsche Ihnen Gottes Segen für die Kar- und Ostertage.
Kommen Sie gesund durch diese Zeit und bleiben Sie gut behütet!
Marion Greve