Unser Leben währet siebzig Jahre – und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon. (Psalm 90,10)
Es gibt Sätze und Verse, die bleiben und hinterlassen einen tiefen Eindruck. Als ich über den wertvollen Dienst der Begleitung Sterbender im Hospiz nachdachte, kamen mir solche bleibenden Verse in den Sinn. Es sind die Worte eines Beters, einer Beterin aus dem alten Israel. Worte aus Psalm 90, die an meine eigene Erfahrung als Pfarrerin anknüpfen: an wie vielen Gräbern wurde Psalm 90 schon gesprochen.
Der Psalmbeter malt die Vergänglichkeit des Lebens mit Bildern aus der Natur: „Das Leben ist wie Gras, das am Morgen noch blüht und sprosst und des Abends welkt und verdorrt“ (Psalm 90,5-6). Ein Bild, dem beim ersten Hören ein gewisser abgeklärter Realismus innewohnt. Wenn ich jedoch an konkrete Momente des Lebens und Sterbens denke, wird dieser abgeklärte Realismus des Psalms plötzlich ganz nah, persönlich und emotional.
Die ehren- und hauptamtlich Mitarbeitenden im Hospiz begleiten diese letzten Stunden des Lebens, von denen der Psalmbeter erzählt – und sie wissen auch, wie schwer es oft ist. Sie fühlen mit – und sind mitfühlend. Sie begleiten und müssen in diesen Situationen aus einer inneren Stärke schöpfen, die ihnen in den jeweiligen Momenten zuwächst. Gottvertrauen kann ich nicht in einer Schreibtischschublade oder einem Regal ansammeln.
Und wenn ich dann den Blick auf den gesamten Psalm 90 werfe, ist von seinem Ende her auf einmal noch eine ganz andere Tonart zu hören: „Und der Herr, unser Gott, sei uns freundlich und fördere das Werk unsrer Hände bei uns. Ja, das Werk unsrer Hände wollest du fördern!“ (Psalm 90,17).
Das Ende des Psalms nimmt somit unserer Hände Arbeit in den Blick.
Hospizbegleiter wissen, wie wertvoll und kostbar es ist, im letzten Moment die Hand zu halten. Das Ende des Psalms bleibt nicht bei der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens stehen, sondern nimmt unser Tun in den Blick. Möge das Tun der Ehren- und Hauptamtlichen im Hospiz Essen-Steele weiter zum Segen gereichen – im Angesicht der Vergänglichkeit. Dass Menschen hier die Gnade Gottes leben und erleben, das gebe Gott.
Marion Greve