„Es ist ein Weinen in der Welt, / als ob der liebe Gott gestorben wär. / Und der bleierne Schatten, der niederfällt, / lastet grabesschwer. (Else Lasker-Schüler)
Diese Worte aus einem Gedicht der jüdischen Dichterin Else Lasker-Schüler nehmen Erfahrungen von Menschen auf, Erfahrungen von Leid und Krankheit und Tod, Erfahrungen von Angst und Hoffnungslosigkeit, von Trauer und Schuld. Ja, „es ist ein Weinen in der Welt, als ob der liebe Gott gestorben wär“. Erfahrungen, die auch wir in diesen Tagen machen müssen: Tausende Tote weltweit sind zu beklagen, so viel Trauer, so viele Abschiede, die nicht mehr möglich waren, so viel Leid, so viel Not und Hilflosigkeit.
Die Corona-Pandemie hat unser Leben von Grund auf verändert. Es geht um Leben und Tod. Die ganze Welt – ein Risikogebiet. So ist jeder und jede von uns plötzlich konfrontiert mit der Frage, um was es eigentlich geht im Leben: was ist wichtig, wirklich wichtig? Was ist entscheidend und was hat Bedeutung für uns? Das, was bisher für uns immer selbstverständlich war, ist plötzlich nicht mehr selbstverständlich. Wir begreifen, wir können nur leben und überleben, wenn wir den anderen in den Blick nehmen, füreinander da sind, einander helfen und stärken – wenn auch in der derzeitigen Situation nur auf Distanz.
So müssen wir in diesem Jahr einen ungewöhnlichen Karfreitag begehen, einen Karfreitag ohne Gottesdienst. Doch auch ohne Gottesdienst gedenken wir der Kreuzigung Jesu. An Karfreitag geht es um die Solidarität Gottes mit uns Menschen. An Karfreitag geht es um uns, um unser Leiden und Scheitern, um unsere Ängste, es geht um Leben und Tod. Am Kreuz Jesu wird deutlich, wo Gottes wahre Solidarität liegt. Gott ist immer da, wo der Mensch leidet, wo der Mensch ein Opfer des Menschen wird, wo die Umstände und Verhältnisse den Menschen in Angst und Not stürzen. Auch in diesen Tagen, wo das Corona-Virus unser ganzes Leben und unser Miteinander bestimmt.
Gott ist da, auch heute. Gott lässt das Kreuz predigen und das Kreuz predigt: Gott ist hier. Er ist noch nie woanders gewesen. Er will begleiten und nahe sein, stärken und Mut machen füreinander einzustehen gegen Leid und Tod. Das Kreuz Jesu macht ein- für allemal deutlich: Nicht Gott opfert hier blutig einen Menschen, sondern Gott identifiziert sich mit diesem von Menschen gekreuzigten Jesus. So deuten die ersten Christen den Tod Jesu. Damit wendet sich die Gemeinde schon damals gegen eine Jahrhunderte alte Vorstellung, dass das Leiden eine Strafe Gottes für das eigene Fehlverhalten sei, eine Vorstellung, die sich bis heute durchzieht: Womit habe ich das verdient? Warum straft mich Gott so?
Doch Karfreitag macht deutlich: Gottes wahre Solidarität gilt dem Leidenden, Gott steht immer an der Seite der Opfer. So ist das Kreuz auch ein Spiegel Gottes, in dem ich die Welt sehe, wie sie sein kann, und ich sehe mich, wie ich sein könnte, denn ich erblicke in ihm die Parteinahme, die Solidarität Gottes für die Leidenden. Etwas davon sehen und erleben wir in diesen Tagen in dem aufopfernden Einsatz von Ärzten, Schwestern und Pflegern, bei all denen, die unsere Grundversorgung und Sicherheit aufrecht erhalten, bei all denen, die Hilfe gewähren und Not lindern, eine Mitmenschlichkeit, die sich in dieser weltweiten Katastrophe Bahn bricht, damit das Weinen in der Welt weniger wird.
Und doch werden Leid und Tod uns weiterhin begleiten, auch nach Corona. Beides gehört zu unserem Leben. Wir sehen die Karfreitage der Menschen in aller Welt und bei uns und tun uns unendlich schwer damit, trotzdem an Gottes Menschennähe und Menschenliebe zu glauben. Dass Menschen darüber verzweifeln oder ihren Glauben verlieren, das ist nachvollziehbar. Wir möchten fortlaufen von den Golgathas dieser Welt und wissen doch, dass das nicht geht. Wir erleben es in diesen Tagen in besonderer und dramatischer Weise. Doch in alledem ist Gott mittendrin. Er befähigt Menschen, dem Leid und dem Tod entgegen zu treten. Und doch: an Karfreitag ist Ostern weit.
Christoph Ecker