Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. (1. Mose 32,27)
Schon immer haben Menschen um den Segen Gottes gebeten, bevor sie sich auf einen neuen Weg im Leben gemacht haben. So ist das ja auch bis heute geblieben in unseren Gemeinden. Wir feiern besondere Gottesdienste, in denen wir die Menschen segnen, vor denen ein neuer, noch unbekannter Lebensabschnitt liegt. Zum Beispiel, wenn unsere Kinder vom Kindergarten in die Schule wechseln, bei der Einschulung, wenn der sogenannte „Ernst des Lebens“ beginnt.
Wir segnen sie auch dann wieder, wenn aus unseren Kindern schließlich Leute geworden sind. Wir segnen die jungen Menschen an der Schwelle zum Erwachsenenleben bei ihrer Konfirmation. Und der Segen Gottes soll sie auch dann begleiten, wenn sie sich dazu entschließen, ihren Lebensweg mit einem anderen Menschen zu teilen und gemeinsam fortzusetzen. Früher, so sagte man, mussten auch die Eltern ihren Segen geben, wenn die Kinder heiraten wollten.
In den Familien, nicht nur in der Kirche im Gottesdienst haben sich die Menschen früher selbstverständlich den Segen Gottes zugesprochen, wenn sie sich voneinander verabschiedet haben. Beim Abschied sagte man: „Gott segne dich!“
Den Segen Gottes dürfen wir alle weitergeben. Dazu braucht es keine besondere Ausbildung. Nicht nur Pfarrer oder Pfarrerinnen in der Kirche dürfen das. Das ist leider gar nicht mehr in unserem Bewusstsein. Dabei ist es doch etwas Schönes zu wissen, dass wir alle nicht bloße Empfänger des Segens, sondern eben auch von Gott dazu begabt sind, den Segen weiterzutragen. Wir brauchen uns nur umzuschauen und wir wissen, wie nötig unsere Welt den Segen Gottes hat, seine lebendige Kraft, die stärkt und ermutigt, die heilt und gut tut, die auch Klarheit und Orientierung schenken kann.
Segen geschieht mit Worten, aber auch mit Berührung.
So ist es auch logisch, dass man sich selbst den Segen Gottes nicht zusprechen kann. Das muss immer eine andere, ein anderer, ein Gegenüber für uns tun.
„Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ – Dieser Spruch ist ein Bibelvers aus einer spannenden Begegnung im Alten Testament. Er stammt aus dem Munde Jakobs, einem der Erzväter. Jakob hatte seinen Zwillingsbruder Esau um den Segen des Erstgeborenen betrogen und war vor dessen Zorn und Rache geflohen. Nun will er mit seiner Familie zurückkehren und sich mit seinem Bruder versöhnen.
Doch Jakob hat große Angst vor dieser Begegnung, zumal er erfahren hat, dass Esau ihm mit vierhundert Mann entgegen zieht. Als Jakob in der Nacht an einer flachen Stelle den Fluss Jabbok überqueren will, muss er erst einen Ringkampf mit einem Unbekannten überstehen. Nach diesem Kampf hinkt er, wegen einer Verletzung an der Hüfte. Diesen Unbekannten, der in der Auslegungsgeschichte oft als Engel Gottes oder gar als Gott selbst gesehen wird, bittet Jakob um den Segen: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“
Jakob will einen neuen Weg einschlagen. Er bereut was er getan hat, sieht die Schuld, die er auf sich geladen hat und will sich versöhnen. Das ist sicherlich kein leichter Schritt. Ein Schritt, zu dem er sich erst mühsam durchgerungen hat. Jakob fürchtet sich vor dem Unbekannten, das vor ihm liegt, aber mit dem Segen Gottes will er es wagen. Er hat Gott seinen Segen abgerungen und so konnte der neue Weg gelingen: Esau lief ihm entgegen und fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Jakob hat Vergebung erfahren und ist ein anderer geworden. Von da an trägt er auch einen anderen Namen. Er wird zu Israel, dem Vater der zwölf Stämme des Volkes Israel.
Ich finde, dass das eine wunderbare Erzählung über Gott ist, oder auch über einen Engel, den Gott geschickt hat. Gott lässt sich anrühren von dem, was uns Menschen quälen kann. Ja, wenn es sein muss, dann kämpft er auch unsere Kämpfe mit an den gefährlichen Übergängen unseres Lebens. Er lässt auch in der Nacht mit sich ringen, dann, wenn die schweren Gedanken uns am meisten quälen. Wichtig ist nur, dass wir Gott nicht einfach lassen. Dass wir nicht von Gott ablassen, sondern seinen Segen einfordern, gerade in den Ringkämpfen unseres Lebens. Mag sein – auch wir überstehen diese nicht immer ohne Blessuren. Aber immer dürfen wir zu Gott sagen: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“
Segen geschieht jedoch mit Worten und mit Berührungen. Es braucht also immer ein Gegenüber. Darum ist es auch gut, dass wir an den gefährlichen Übergängen im Leben, den sogenannten Knotenpunkten, nicht alleine sind, sondern dass wir diese Übergänge in einer Gemeinschaft feiern, in der wir getragen sind und in der wir den Segen Gottes empfangen können.
Jeder Gottesdienst endet schließlich mit dem Zuspruch des Segens Gottes. So dürfen wir auch dort unsere ganz persönlichen Ringkämpfe des Lebens mit der Bitte enden lassen: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“
Susanne Gutjahr-Maurer