Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. (Matthäus 6, 26)
Ja, Sie haben die Überschrift richtig gelesen: Gott ist ein Verschwender. Mit vollen Händen teilt er aus. Schwindel erregend großzügig. Jesus sagt im Zusammenhang mit dem guten Hirten: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und volle Genüge“ (Johannes 10,10).
Da steht er in einer Linie mit dem guten Hirten aus Psalm 23, „und schenkst mir voll ein“. Da kann ich gut sein. Auch der alte Weinbauer fällt mir ein, der andächtig eine pralle dunkle Traube in der Hand wiegt. Seine Augen strahlen. So lässt sich freilich wunderbar Erntedank feiern. Frucht in Hülle und Fülle!
So ist Gott. Und so hat ihn Jesus unter uns verkörpert, hat die göttliche Liebe ausgeteilt: an die Menschen aus seinem Volk und vor allem auch an Fremde. Außerdem hat er die göttliche Großzügigkeit ausgedehnt bis hinter die Grenze des Todes. Gottes „Verschwendung“ will Menschen einladen. Wir sind eingeladen. So wie wir sind, sogar mit unseren Macken. Wir mögen das Leben feiern in der Begegnung miteinander und mit Gott.
Eben nicht nur im Sichtbaren ist Gott verschwenderisch, sondern auch in dem, womit er uns unsichtbar reich macht. Zusammen mit der Fülle der Schöpfung preist Jesus die Fülle der Liebe und der nicht zu verdienenden Gnade. „Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch“ (Matthäus 6,26). Das ist gegen alle Lebensangst gesagt. Das will uns befreien von der Furcht, zu kurz zu kommen. Diese unsägliche Furcht, die uns so oft den Blick trübt und unsere Beziehungen vergiftet.
An der Stelle denke ich auch an Flüchtlinge und Hungernde in aller Welt, die ebenso Gottes Kinder und Hausgenossen sind. Jesus scheint immun gegen diese Furcht, zu kurz zu kommen. Er lebt zutiefst aus Gottes Fülle. Er öffnet uns die Augen für Gottes Großzügigkeit, damit auch wir unsere Herzen und Hände öffnen. Wir als die Beschenkten können unserer Dankbarkeit Ausdruck verleihen. Wir können aufeinander Acht haben – im Kleinen wie auch in der großen Welt.
Jesus lädt uns ein, jenen Überfluss an Gnade schon jetzt und hier zu entdecken, zu ahnen, zu glauben. Und da können wir die Macken anderer und sogar die eigenen gütiger anschauen. Wir sind beschenkt mit einer Liebe, die dem anderen die Treue hält.
Die Liebe ist die „Verschwenderin“ überhaupt. Der Überfluss will geteilt werden, nicht nur mit Geld. Da kann manches Lachen geteilt werden und vor allem auch manches Weinen, und so gedeihen Achtsamkeit und gegenseitige Wertschätzung. Da wird das Leben größer, bunter, lebendiger durch die Menschen, denen ich begegne, die mir an die Seite gestellt sind.
Und in jener Dankbarkeit hat niemand mehr Lust, sich über den andern zu ärgern oder ihm die Sache von vorgestern nachzutragen.
Ullrich Müller