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Glaubwürdigkeit ist das Schwerste – Zum 80. Todestag von Dietrich Bonhoeffer

1. „14.4.1943. Liebe Eltern! Vor allem müsst Ihr wissen und auch wirklich glauben, dass es mir gut geht. Leider kann ich es Euch erst heute schreiben, aber es war wirklich die ganzen zehn Tage so.“

So unspektakulär, so privat beginnt der erste Brief Dietrich Bonhoeffers aus der Militärabteilung des Gefängnisses Berlin-Tegel. Dorthin war er nach seiner Verhaftung am 5. April 1943 gebracht worden. Er wäre sicher überrascht gewesen, hätte ihm damals jemand gesagt, welche Wirkungen seine Briefe an seine Eltern und an seinen besten Freund Eberhard Bethge einmal haben würden. Dietrich Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 im Alter von 39 Jahren wegen seiner Beteiligung an der Vorbereitung des gescheiterten Attentats vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet. In diesem Jahr gedenken wir seines 80. Todestages.

Sein Freund Eberhard Bethge hat die Briefe, die aus Bonhoeffers Haftzeit erhalten werden konnten, in einem kleinen Buch 1951, also sechs Jahre nach Bonhoeffers Tod, herausgegeben. Sie bekamen den Titel „Widerstand und Ergebung“. Neben den Briefen sind auch Gedichte und Gebete, eine Traupredigt und Gedanken zum Tauftag seines Patenkindes, ein Haftbericht, kurze Gedankenskizzen und der Entwurf einer theologischen Arbeit unter den veröffentlichten Aufzeichnungen. In der Zwischenzeit ist das kleine Buch in mindestens 17 Sprachen übersetzt worden. Es hat entscheidend dazu beigetragen, dass Dietrich Bonhoeffer einer der einflussreichsten deutschen Theologen des 20. Jahrhunderts geworden ist.

2. Seine weitreichende Wirkungsgeschichte kann ich an meinem eigenen Lebensweg festmachen. Schon im Religionsunterricht haben wir uns in der Oberstufe an einem Wuppertaler Gymnasium mit der Theologie Dietrich Bonhoeffers auseinandergesetzt. So war es kein Wunder, dass ich als Theologiestudent der Rheinischen Landeskirche mich in meiner schriftlichen Begründung, warum ich denn Evangelische Theologie studieren will, auf ihn berufen habe. Er war sozusagen der Kronzeuge meines eigenen Studienwunsches, übrigens mit direkten Hinweisen auf das Buch „Widerstand und Ergebung“.

In der Hamburger Gemeinde, zu der ich am Ende meiner Studienzeit gehörte, zählte Bonhoeffer zu den Personen, die als christliche Vorbilder aus dem 20.Jahrhundert auf einem neuen Kirchenfenster zu sehen waren. Die Kirchengemeinden, in denen ich in Duisburg mein Vikariat und in Radevormwald meinen Hilfsdienst absolviert habe, hatten jeweils ein Gemeindehaus, das nach Dietrich Bonhoeffer benannt ist.

Ob durch Briefmarke, Straßenname, Schule oder sein Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, es dürfte kaum jemand in unserem Land geben, der Bonhoeffers Namen nicht schon einmal gehört hat. Der Einfluss Bonhoeffers ist dabei nicht auf Deutschland begrenzt. Wer schon einmal in London war, hat vielleicht Bonhoeffer an der Außenfassade der Kirche Westminster Abbey unter den dort dargestellten zehn Heiligen der Neuzeit aus aller Welt erkannt.

3. Was hat Dietrich Bonhoeffer solch eine Durchschlagskraft verliehen? Ich denke, dass es vor allem die Glaubwürdigkeit ist, die seine Lebensgeschichte seinen Worten gegeben hat. „Glaubwürdigkeit ist das Schwerste“ hat jemand einmal gesagt. Und genau solche Glaubwürdigkeit hat sich Dietrich Bonhoeffer erworben. Eine englische Ausgabe von „Widerstand und Ergebung“ trägt bezeichnenderweise den Titel: „Prisoner for God“ – Gefangener für Gott. Bonhoeffer ist als Märtyrer für seinen christlichen Glauben gestorben.

Dass ich das heute so schreibe und Sie mir als Lesende darin wahrscheinlich zustimmen, ist an sich schon wieder eine erstaunliche Entwicklung. Bonhoeffers Beteiligung am gescheiterten Hitlerattentat vom 20. Juli und seine daraufhin erfolgende Hinrichtung hat ihm seinen Eintrag in die Geschichtsbücher (auf jeden Fall der Kirchengeschichte) gesichert. Aber der Kirchengeschichtler Klaus Scholder stellte zurecht fest:

„Angesichts der Schwierigkeiten, auch nur den grundlegenden Widerspruch [gegen die immer offenkundigeren Verbrechen des Nationalsozialismus, Hinzufügung A.M.] gemeinsam zu formulieren, kann es nicht überraschen, dass die beiden Kirchen in Deutschland nirgends zum politischen Widerstand gegen das System des Unrechts und der Gewalt aufgerufen haben, geschweige denn selbst im Widerstand aktiv geworden sind. Verschwörer wie der evangelische Pfarrer Dietrich Bonhoeffer und der Jesuitenpater Alfred Delp […] waren und blieben in beiden Kirchen Außenseiter.“

Deshalb wurde Bonhoeffer noch nicht einmal in die Fürbittenliste der Bekennenden Kirche aufgenommen. Bis 1945 war die Evangelischen Kirche in Deutschland in ihrer überwiegenden Mehrzahl innerlich noch immer an Thron und Altar gebunden, lehnte Demokratie ab, war fest verwurzelt im Obrigkeitsdenken und nationalistisch gestimmt.

So war es auch für Bonhoeffer selbst ein weiter Weg, sich nicht nur innerkirchlich, sondern bewusst in seiner politischen Verantwortung zu verstehen. Sein Beweggrund:

„Wenn ein Betrunkener mit seinem Auto über den Kurfürstendamm rast und auf den Bürgersteig gerät, kann es nicht meine, des Pfarrers, erste oder gar einzige Aufgabe sein, die Opfer des Wahnsinnigen zu beerdigen und die Angehörigen zu trösten, sondern dem Betrunkenen das Steuer zu entreißen.“

Umso erstaunlicher ist es, dass aus dem Außenseiter der Vorzeigechrist geworden ist, der es an seinem 80. Todestag bis in die Schlagzeilen von Tagesschau und Heute gebracht hat. Diese Entwicklung zeugt von einer positiven Veränderung in der Evangelischen Kirche und unseres ganzen Landes hin zu einem deutlichen Eintreten für Menschenrechte und Demokratie.

Zurück zur Glaubwürdigkeit. Bonhoeffer selber spricht nicht von Glaubwürdigkeit. Aber er entdeckt in seiner Gefängniszelle, wie wichtig Vorbilder sind. Er schreibt: Unsere Kirche wird in der Zukunft…

„…die Bedeutung des menschlichen ‚Vorbildes‘ (das in der Menschheit Jesu seinen Ursprung hat und bei Paulus so wichtig ist!) nicht unterschätzen dürfen, nicht durch Begriffe, sondern durch ‚Vorbild‘ bekommt ihr Wort Nachdruck und Kraft. (Über das ‚Vorbild‘ im Neuen Testament schreibe ich noch besonders!)“.

Dazu ist es nicht mehr gekommen. Doch für die Wahrheit dieses prophetischen Wortes ist seine eigene Wirkungsgeschichte ein gutes Beispiel.

4. Glaubwürdigkeit. Dazu und speziell zur Wirkung von „Widerstand und Ergebung“ gehört die ehrliche, ja oft schonungslose, manchmal heitere Beobachtung und Schilderung des eigenen Weges und der Erfahrungen, die er dabei unter erdrückenden Haftbedingungen macht. Bonhoeffer beschreibt, wie er die Haft erlebt, wie sie ihn in Anfechtung bringt, wie Paul-Gerhardt-Lieder ihm besonders wichtig werden und das Füreinander-Einstehen in der Fürbitte.

Er gesteht seine Sehnsucht zu seiner Verlobten und freut sich über die enge Bindung an seine Familie und über die tiefe Freundschaft mit Eberhard Bethge. Er entdeckt, wie sehr er alttestamentlich denken lernt und wie Bibellese und Losungen ihm mal eine große und an anderen Tagen nur eine schwache Hilfe sind. Bis in die tiefsten Tiefen lebt und forscht er seinem Glauben nach. An seiner Frömmigkeit ist nichts gekünstelt oder aufgesetzt. Durch solche Offenheit und Transparenz gewinnt er ungemein an Glaubwürdigkeit.

5. Glaubwürdigkeit. Ein weiterer Aspekt ist die offene Auseinandersetzung mit den Bedingungen, unter denen in seiner Gegenwart Christen und Kirche leben. Immer wieder ist die Geschichte der Neuzeit als Niedergang des christlichen Abendlandes verstanden worden. Das ist heute noch eine geläufige Deutung. Auch Bonhoeffer hat das eine Zeitlang vertreten. In seiner Entwicklung kommt er zu einem anderen Ergebnis, das er an einer Stelle so formuliert:

„Ich will also darauf hinaus […], dass man die Mündigkeit der Welt und des Menschen einfach anerkennt, dass man den Menschen in seiner Weltlichkeit nicht ‚madig macht‘, sondern ihn an seiner stärksten Stelle mit Gott konfrontiert.“

Er stellt sich den Herausforderungen, die sich durch die gesellschaftliche Entwicklung ergeben. Und er will dabei intellektuell nicht klein beigeben, sondern redlich bleiben. Das ist nicht durch eine simple Fortschreibung des Bisherigen möglich. Dafür hat sich seiner Einschätzung nach die Welt zu sehr geändert, so sehr, dass er meint, „Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muss neugeboren werden“. Bonhoeffer versucht stattdessen, die „Religionslosigkeit des mündig gewordenen Menschen“, die Gott nur noch „als Arbeitshypothese, als Lückenbüßer für unsere Verlegenheiten“ braucht, ernst zu nehmen.

„Was mich unablässig bewegt, ist die Frage, was das Christentum oder auch wer Christus heute für uns eigentlich ist.“

Er hat darauf keine endgültige Antwort mehr geben können. Doch er tastet sich weiter vor, wagt ungeschützte Gedankenspiele, so dass in Fragmenten ein Umriss für die Zukunft sichtbar wird. Diese Fragmente haben Unzählige als Inspiration für ihr eigenes Weiterdenken empfunden, vielleicht gerade, weil sie unabgeschlossen und offengeblieben sind. Ein Leitmotiv wird dabei für Bonhoeffer die „Teilnahme an der Ohnmacht Gottes in der Welt“.

„Christsein heißt nicht in einer bestimmten Weise religiös sein, aufgrund irgendeiner Methodik etwas aus sich zu machen (einen Sünder, Büßer oder einen Heiligen), sondern es heißt Menschsein, nicht einen Menschentypus, sondern den Menschen schafft Christus in uns. Nicht der religiöse Akt macht den Christen, sondern das Teilnehmen am Leiden Gottes im weltlichen Leben.“

Wie immer, hat er versucht, daraus konkrete Schlüsse für die Zukunft der Kirche zu ziehen. Kirche kann nie Selbstzweck sein, sondern ist ganz im Sinne Jesu dazu da, „Kirche für die Welt“ zu sein. Wie kostspielig das sein kann, hat Bonhoeffer mit seinem eigenen Leben demonstriert.

6. Eberhard Bethge hat für seine Herausgabe der Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft den Titel „Widerstand und Ergebung“ gewählt. Beide Stichworte stammen aus einem Brief Bonhoeffers aus dem Februar 1944. Ich schließe mit Ausschnitten daraus, weil in ihnen für mich sehr schön sichtbar wird, wie die selbstbewusste verantwortliche Tat und das Handeln Gottes miteinander verwoben sind und wie man als Christ auch heute Glaubwürdigkeit gewinnt:

„Ich habe mir hier oft Gedanken darüber gemacht, wo die Grenzen zwischen dem notwendigen Widerstand gegen das ‚Schicksal‘ und der ebenso notwendigen Ergebung liegen. Der Don Quijote ist das Symbol für die Fortsetzung des Widerstandes bis zu Widersinn, ja zum Wahnsinn […]; der Sancho Pansa ist der Repräsentant des satten und schlauen sich Abfindens mit dem Gegebenen. Ich glaube, wir müssen das Große und Eigene wirklich unternehmen und doch zugleich das Selbstverständlich- und Allgemein-Notwendige tun, wir müssen dem ‚Schicksal‘ […] ebenso entschlossen entgegentreten wie uns ihm zu gegebener Zeit unterwerfen. […] in meiner Frage geht es darum […] wie aus dem ‚Schicksal‘ wirklich ‚Führung‘ wird. Die Grenzen zwischen Widerstand und Ergebung sind also prinzipiell nicht zu bestimmen; aber es muß beides da sein und beides mit Entschlossenheit ergriffen werden. Der Glaube fordert dieses bewegliche, lebendige Handeln.“

Andreas Müller

Ein Gedanke zu „Glaubwürdigkeit ist das Schwerste – Zum 80. Todestag von Dietrich Bonhoeffer

  1. Ich bin sehr angetan von diesem „Himmelrauschen“.
    Wir Christen können vor allem in der Hinwendung zur diesseitigen Weltlichkeit auch zu unseren Glauben finden,eher als in in einem Leben jenseitiger Sehnsucht schon hier im Diesseits.

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