Erschöpft! Ganz viele Lehrerinnen und Lehrer in NRW kennen den Zustand vor den Sommerferien. Einfach erschöpft! Schnell noch eine Klassenarbeit schreiben, habe ich alle Noten beisammen, stimmen Endnote und Teilleistungen zusammen? Die Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern, ob die Zensuren gerecht sind. Die Zeugniskonferenzen, Planungen für das kommende Schuljahr.
Am Ende ist man einfach durch und freut sich auf die Sommerferien. Endlich, freie Zeit, die Akkus wieder aufladen, durchatmen, Kraft schöpfen. Das Schöne am Lehrerberuf ist, die Möglichkeit zu haben, sich über einen längeren Zeitraum zu erholen. Manche bleiben aber trotz der Ferien erschöpft. Man spricht dann vom „Burn-out-Syndrom“, dem Zustand der totalen körperlichen und geistigen Erschöpfung.
Nach Angaben der AOK hat sich die Krankheitslast aufgrund von Burn-out-Diagnosen von 2004 bis 2022 fast verzwanzigfacht!!! Vor allem Berufsgruppen mit hoher sozialer Interaktion sind von Burn-out-Erkrankungen betroffen. Trotz einer zunehmenden gesellschaftlichen Bereitschaft, das Problem ernst zu nehmen, muss nach wie vor von einer hohen Dunkelziffer an Betroffenen ausgegangen werden. „Die Bevölkerung ist erschöpft“. Pandemie, Kriegsnachrichten, Klimakrise: Eine ganze Gesellschaft zeigt Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung.
Mit Sprache kann man experimentieren und dabei zu erstaunlichen Erkenntnissen kommen: Wenn man etwa die Vorsilbe -er streicht, landet man beim Wort Schöpfung.
Was ist damit gemeint? Schöpfung ist kein Widerspruch zur Wissenschaft. Es geht nicht um die Frage, wie die Welt entstanden ist. Es geht um eine Erfahrung, die Erfahrung von Fülle, sinnlich erfahrbarer Fülle, aus der wir schöpfen können. Geschöpf Gottes zu sein, heißt, teilhaben zu dürfen an der Vielfalt der Formen sinnlichen Lebens.
Wer den Mitmenschen und vor allem sich selbst als Geschöpf wahrnimmt, steht weniger in Gefahr, das Maximum aus sich und anderen bis zur Erschöpfung zu pressen.
Die Pointe ist: In einer Gesellschaft, die auf Leistung und Selbstoptimierung getrimmt ist, heißt Erschöpfung „Ich kann einfach nicht mehr“. Wenn man die Vorstellung übernimmt, Geschöpf zu sein, ist Er-Schöpfung die andere Seite der Schöpfung. Das, was uns an Kraft mitgegeben ist, erschöpft sich eben irgendwann. Dann heißt es, zur Ruhe zu kommen, um wieder schöpfen zu können aus der Fülle des Lebens. Eine humane Gesellschaft gibt dafür Raum.
Wolfram Jehle
Kurz und knapp auf den Punkt gebracht: Den Zusammenhang von Schöpfung und Erschöpfung habe ich noch nie so gesehen. Einleuchtend und erleuchtend.
Danke Wolfram