In diesem Beitrag möchte ich Sie ein wenig an meinem Leben teilhaben lassen. Als bewusste Christin lebe ich schon seit vielen Jahren mit Jesus Christus. Ich nehme ernst, was in der Bibel steht, beziehe Gott in meinem Leben in meine Entscheidungen mit ein, versuche, mit seiner Hilfe so zu leben, wie es gut ist und seinem Willen entspricht – und ich bete. Ohne Gebet ist eine Beziehung zwischen Gott und Mensch nicht möglich, denn Gebet ist das verbindende Kommunikationsmittel.
Die Bibel ist darum auch voll von Geschichten über betende Menschen, Gedanken und Hinweisen, mit welcher Haltung man vor Gott treten kann und soll und von Gebeten selbst, die Menschen in verschiedenen Situationen gebetet haben, z.B. den Psalmen. So wie Gott in biblischen Zeiten mit den Menschen in Verbindung getreten ist, so möchte er es auch heute tun. Das glaube ich und davon bin ich überzeugt.
Ich habe in den vielen Jahren meines Christseins schon viele gute Erfahrungen mit dem Gebet gemacht. Ich habe erlebt, wie sich Dinge auf einmal gefügt haben oder sich Türen öffneten, die vorher verschlossen erschienen. Gebete wurden erhört und ich fühlte mich auf der Siegerseite des Lebens. Ich habe aber auch schmerzhafte Erfahrungen mit nicht erhörten Gebeten gemacht.
So erkrankte mein Vater vor einigen Jahren an Demenz, die langsam, aber unheilbar voranschritt und während derer ich ihn als Gegenüber nach und nach verlor. Auch traten in meinen Leben weitere Ereignisse ein, die mich aus meinen gewohnten Bahnen warfen. Ich betete für meinen Vater und endete mit den Worten „Dein Wille geschehe“. Mein Gebet kam mir dabei manchmal so vor, als würde ich es mit diesem Satz „Dein Wille geschehe“ wieder entkräften, weil es mich dadurch vor Enttäuschungen schützte. Mit der Zeit konnte ich das Leiden meines Vaters annehmen und sogar ein Stück von Gott darin entdecken. Auch meine persönliche Situation konnte ich nach und nach verstehen und annehmen. Es ergaben sich gute Lösungen und vieles wurde leichter.
Aber obwohl ich die Krankheit meines Vaters auf die beschriebene Weise annehmen konnte und sich meine persönliche Situation spürbar verbessert hatte, merkte ich, dass mein Vertrauen in Gott tief erschüttert war. Ich spürte nicht mehr viel von seiner Gegenwart. Was sollte ich überhaupt noch beten? Ich war im wahrsten Sinn des Wortes enttäuscht. Enttäuschung bedeutet ja, dass man eine Täuschung als Täuschung erkennt. Das ist im Grunde genommen etwas Positives, denn wer unterliegt schon gerne einer Täuschung?
Während eines stillen Wochenendes, an dem ich die Gelegenheit hatte, ganz bei mir selbst zu sein, hatte ich den Impuls, in das „Haus meiner Gefühle“ zu gehen und den Raum der Enttäuschung zu betreten. Auf diese Art hatte ich schon einmal Zugang zu meinen Gefühlen erhalten, sie wahrgenommen und Heilung erfahren. Ich stellte mir also vor, mein „Haus der Gefühle“ zu betreten. Ich ging den Gang entlang, bis ich vor der Tür mit der Aufschrift „Enttäuschung“ stand. In meinen Gedanken betrat ich diesen Raum.
Der Raum war zunächst einmal völlig schwarz. Ich konnte nichts sehen, so dunkel war es dort. So ist Enttäuschung erst einmal: dunkel und schwarz. Als ich in meinen Gedanken näher hinschaute, erkannte ich plötzlich: Das war gar keine schwarze Wand, das war ein schwarzer Vorhang. Den konnte ich aufziehen! Mutig ging ich darauf zu und zog den Vorhang auf. Dahinter zeigte sich mir folgendes Bild: Ich sah eine helle, lichtdurchflutete Landschaft, durch die ein Bach floss. Ein gelber Schmetterling flatterte fröhlich über dem Bach auf und ab.
Dieses Bild tröstete mich nicht nur, es gab mir auch neue innere Kraft und ich war sehr dankbar dafür. Zwei Dinge wurden mir damit wichtig:
Erstens: Hinter der Enttäuschung und dem Schmerz liegt das, was echt ist. Hier kommt mir die Wahrheit Gottes entgegen. Hier kann ich sein, wie ich bin. Hier werde ich heil. Man muss allerdings den Mut haben, hinter die Dunkelheit zu blicken und der Enttäuschung ins Auge zu sehen. Wer vorher stehen bleibt, kommt nie dort an.
Zweitens: Jesus selbst hat die Dunkelheit des Schmerzes und der Enttäuschung ertragen. Im Garten Gethsemane drückte er seine ganze Angst und den Wunsch vor Gott aus, dass das Leiden, das vor ihm lag, an ihm vorübergehen sollte. Er sagte Gott ALLES, was ihn bedrückte, ALLES; was er sich wünschte. Und dann verband er sich mit Gottes Herz und sagte: „Aber nicht mein Wille, sondern dein Wille soll geschehen.“ Er gab sich ganz in Gottes Hand. Und dann ging er den Weg ans Kreuz und starb dort für uns.
Jesus hat diesen allertiefsten Punkt der Gottesferne durchlitten, in der wir Menschen aufgrund der selbstgewählten Trennung von Gott stehen. Er nahm all das auf sich, was an Trennung und Schmerz da war. Er nahm die Enttäuschung Gottes am Menschen auf sich. Dieser Weg ging durch die Nacht. Am Kreuz war für ihn der Vorhang geschlossen. Da war nur noch alles schwarz. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, schrie er und durchlitt die Nacht bis zum bitteren Ende.
So schien es zu sein…
Am dritten Tag aber wurde der Vorhang aufgezogen und dahinter kamen die Gnade, die Klarheit und die uneingeschränkte Liebe Gottes zum Vorschein, die uns erlöst hat und die wir bis heute in diese Welt bringen können. Das feiern wir zu Ostern, wenn wir an die Auferstehung Jesu denken.
Ich habe wieder Vertrauen gefasst. Die Person Jesu kam mir an dieser Stelle so unmittelbar entgegen wie schon lange nicht mehr. Er gab sich uneingeschränkt für uns hin. Und deshalb lohnt es sich, sich ihm ebenfalls hinzugeben, sein Herz zu suchen und sich an seine Liebe anzudocken.
Damit ist nicht die Frage beantwortet, warum manche Gebete erhört, andere aber nicht erhört werden. Diese Frage kann niemand beantworten. Sie bleibt im Raum stehen. Sie bleibt vor Gott stehen. In seinem Namen beten, Erhörung erhoffen und scheinbare Nicht-Erhörung hinzunehmen, ist eine Herausforderung, der wir täglich gegenüberstehen, wenn wir beten.
Ich vertraue darauf, dass unsere Gebete nicht ungehört verhallen.
Vielleicht ist gerade Ihr Herz enttäuscht und wund und Sie fragen sich, wo Gott gerade ist oder war, als das Schlimme geschah. Jesus will sich Ihnen zuwenden und Ihr Herz heilen. Vielleicht fragen Sie sich, ob es hinter dem schwarzen Vorhang tatsächlich etwas gibt? Ob Glauben sich lohnt?
Dann haben Sie Mut und schauen Sie dahinter. Schieben Sie den schwarzen Vorhang weg und fangen Sie heute an. Entscheiden Sie sich dafür, ein Leben mit Jesus Christus zu führen und als Kind Gottes im Vertrauen zu ihm zu leben. Sagen Sie Gott, was auf Ihrem Herzen ist.
Und wenn Sie gerade keinen Glauben haben, sagen Sie es auch. Gott braucht keine frommen Worte. Gebet geht von Herz zu Herz. Es ist echt. Ich wünsche Ihnen viele erhörte Gebete und in den scheinbar unerhörten die Gewissheit: Gott sieht mich!
Urte Heuss-Rumler