Er beschirmt dich mit seinen Flügeln, unter seinen Schwingen findest du Zuflucht. Schild und Schutz ist dir seine Treue. (Psalm 91,4)
Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht – Hunger, Verfolgung und Gewalt bedrücken sie. Mit Sorge sehen wir, dass die guten Gaben Gottes, Nahrung, Auskommen und Wohnung, Millionen von Menschen verwehrt sind.
Die Bibel ist voll von Geschichten der Flucht und der Migration: Jakob, der aus familiären Gründen flieht; oder Josef und Maria, die nach Jesu Geburt Schutz in Ägypten suchen. Die Geschichten weisen uns darauf hin, dass Flucht – und Migrationserfahrungen immer eine Herausforderung für den Glauben bedeuten.
Auch viele der älteren Menschen hier im Ruhrgebiet haben eine bewegende Fluchtgeschichte hinter sich. Die Vertreibung aus der Heimat, die Gefahren auf dem Fluchtweg und die schweren Anfänge in der neuen Umgebung sind für sie prägend geworden.
In all diese Erfahrungen hinein hören wir heute Morgen Psalm 91 – so voller Vertrauen, wie es kaum andere Psalmen gibt. Als ob Vertrauen in Gott ein Allheilmittel wäre. Wie also ist dieser Psalm zu begreifen? Damit er seine ursprüngliche Kraft nicht verliert gegen heute übermächtig erscheinende konträre Lebenserfahrungen? Ich möchte den Vertrauenspsalm auf ein tragfähiges Fundament stellen: Wo erfahren Menschen heute diese im Psalm beschriebene individuelle Zuwendung Gottes?
Zum Beispiel da, wo wir uns für diejenigen einsetzen, die auf der Flucht sind und neu Heimat suchen. Diese Grundhaltung ist für uns Christen eine Folge des Respekts und Gehorsams unserem Gott gegenüber! Das biblische Zeugnis hält uns in Kirche und Gesellschaft dazu an, uns einzusetzen für „die Freundlichkeit und Menschenliebe unseres Gottes“ (Titus 3,4). Wie kann das konkret funktionieren?
Mit unseren Gebeten verbinden wir uns über die Landesgrenzen hinweg mit denen, die unter Gewalt und Verfolgung leiden – und stärken gemeinsam unsere Hoffnung auf Frieden und Versöhnung.
Mit Spenden unterstützen wir über unsere Organisationen z. B. der Diakonie und der Caritas Menschen in Not.
Mit unserem konkreten Einsatz für Flüchtlinge an unseren jeweiligen Orten. Als Kirchen tun wir das mit professioneller hauptamtlicher und ehrenamtlicher Begleitung – in der Flüchtlingsberatung ebenso wie in vielen Vor-Ort Gemeinden durch konkrete Hilfe von Ehrenamtlichen.
Immer steht im Mittelpunkt, den Dialog zwischen den Religionen und Kulturen zu fördern, wie er hier in Essen, durch das gemeinsame Projekt der Arche Noah auf dem Kennedyplatz in der Mitte der Stadt sichtbar wird. Alle Bürgerinnen und Bürger sind Ende September eingeladen, rund um eine riesige selbstgebaute Arche ein buntes Fest zu feiern – als unübersehbares Zeichen für ein friedliches Zusammenleben.
Um Rechtsprechung und Recht geht es derzeit beim 71. Deutschen Juristentag, hier in Essen. Bundesminister Heiko Maas formuliert in seinem Grußwort: “Nicht nur über Gesetze, auch über Werte sollten wir bei diesem Juristentag diskutieren.“
Wir Christinnen und Christen beziehen uns dabei auf alte biblische Traditionen, die sich für eine menschlich gerechte Welt einsetzen. Zuhause ist diese Gerechtigkeit bei Gott. Auch wenn wir immer nur ganz punktuell erleben, bleibt sie für uns doch eine große Hoffnung. Weil wir wissen, dass dieser einundneunzigste Psalm aus der alten Weisheitstradition des Volkes Israel stammt, das das lange Exil in Babylon endlich überwunden hatte. Ein Psalm vor dem Hintergrund einer Freiheitserfahrung. Ein Psalm, der im Tempel dem Volk vorgebetet wurde, den man in den Schulen und auch im häuslichen Beten vollzog.
Ein Psalm, der – über viele Generationen bis zu uns heute – die Hoffnung wach hält: Wir dürfen uns in all unserem Tun und Lassen der Treue Gottes gewiss sein. Gott erfüllt nicht unsere Erwartungen – aber alle seine Verheißungen – darin liegt seine Treue.
Auch wenn uns sein Handeln unverständlich erscheint und Klagen über Klagen herausfordern – sein Schild und Schutz ist da. Erfahrbar da, wo wir uns anderen zuwenden und uns für andere einsetzen.
„ER beschirmt dich mit seinen Flügeln, unter seinen Schwingen findest du Zuflucht. Schild und Schutz ist dir seine Treue“ – darauf baue ich und deshalb ist Psalm 91 auch für mich ein Psalm des Vertrauens.
Marion Greve
Morgenandacht für den 71. Deutschen Juristentag, Messe Essen.