Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. (Jesaja 66,13)
Bei den Worten „trösten wie einen seine Mutter tröstet“ fallen mir sofort Szenen aus meiner Kindheit ein. Ich bin in einem kleinen Dorf groß geworden mit vielen Wiesen, Feldern, Obstbäumen, Bauernhöfen. Einer meiner Freunde kam von einem Bauerhof. Wir beiden waren immer gerne draußen und unternahmen viel zusammen, kletterten auf Bäume, ließen uns an Ästen kopfüber runter hängen, fuhren Roller um die Wette, tobten im Stroh und halfen bei der Ernte. Dabei kam es natürlich vor, dass ich mit dem Roller stürzte, im Zaun hängen blieb, ungünstig fiel und mir aufgeschlagene Knie, Schürfwunden, Schnittwunden, Verstauchungen zuzog. Was dann folgte, lief immer in ähnlicher Weise ab. Ich ging nach Hause, mit Tränen in den Augen. Meine Mutter war in der Regel da, schaute sich meine Wunde an, fragte, was geschehen war und sagte dann oft: Da hast du dir aber wehgetan, sie pustete, versorgte mich mit einem Pflaster, drückte mich liebevoll an sich, sprach ein paar tröstende Worte; und dann war in der Regel wieder alles gut. Ich konnte weiter spielen. Es tat zwar noch weh. Aber der Schmerz war nur noch halb so schlimm. Vermutlich fallen Ihnen ganz ähnliche Ereignisse ein.
Trösten, getröstet werden, wie eine Mutter tröstet, ist ein Urbild für Trost, das sich vielen von uns eingeprägt hat. Vielleicht war es statt der Mutter auch die Großmutter, der Vater oder Großvater, je nachdem welche Bezugsperson da war und trösten konnte.
Trost tut gut! Nicht nur als Kinder brauchen wir Trost, auch als Erwachsene. Es gibt immer wieder Lebenssituationen – Enttäuschungen, Verlust, Angst, Trennung, Krankheit, – in denen es gut tut, getröstet zu werden, getröstet von Menschen, getröstet von Gott.
Was macht Trost aus?
Trost ist ein Gefühl. Er kann sehr unterschiedlich empfunden und wahrgenommen werden. Es gibt kein Patentrezept, das besagt: so und so funktioniert das Trösten. Was den einen tröstet ist für den anderen kein Trost.
Und doch gibt es Verhaltensweisen, die helfen können, einen anderen Menschen zu trösten. Dazu gehört: für einen Menschen da zu sein, ihn ernst zu nehmen, sein Leid mit ihm auszuhalten, nicht auszuweichen, zuzuhören oder auch mit ihm zu schweigen. Es gibt Leidsituationen, die sprachlos machen. Es fehlen im wahrsten Sinne des Wortes die Worte. Mit-Schweigen und eine Situation auszuhalten ist nicht einfach. Es klingt nach wenig und ist doch oft schon so viel.
Trost schafft das Belastende nicht aus der Welt. Äußerlich gesehen, ändert Trost nichts. Doch er ändert natürlich auf eine andere Weise etwas: Trost kann helfen, dass Unveränderliche auszuhalten und damit das Schwere zu lindern. Die bloße Nähe eines Trösters, einer Trösterin zu einem Trostbedürftigen kann unendlich gut tun. Vielleicht auch die Berührung auf der Hand oder Schulter, vielleicht auch eine Umarmung. Trost hat oft eine körperliche Dimension.
Beim Trösten können Worte helfen, aufbauende und wertschätzende. Sie können gut tun. Doch es bedarf des rechten Wortes zur rechten Zeit. Sie müssen aus der Situation heraus erwachsen, im Hören auf den Trostbedürftigen und auf Gott. Wo ich beide im Blick habe, wachsen mir Worte zu. Gottes Heiliger Geist, der Tröster, wirkt unter uns. Darauf kann ich mich verlassen.
Was unterscheidet Trost von Vertröstung?
Erinnern Sie sich an die Geschichte von Hiob und seinen Freunden? Als sie von Hiobs Not hören, gehen sie zu ihm. Sie weichen seiner Not nicht aus, setzen sich zu ihm, fühlen sich ein und schweigen. Das haben die Freunde Hiobs gut verstanden. Als sie versuchen, sein Leid zu erklären und seinem Leid einen Sinn zu geben, reagiert Hiob abweisend und teilweise aggressiv. Sie kommen mit ihren Ratschlägen bei ihm nicht an. Im Gegenteil: sie machen sein Leid noch größer.
Trost kann schnell zur Vertröstung werden. Der Grad ist manchmal ganz schmal. Das gilt auch für Redewendungen wie „Kopf hoch“, „das wird schon wieder“, „das Leben geht weiter“. Mit diesen Redewendungen muss ich als Tröster sehr vorsichtig sein. Oft werden sie schnell daher gesagt und gehen über die Situation hinweg. Sie nehmen den Trostbedürftigen nicht richtig ernst. Dann sind sie kein Trost, sondern Vertröstung.
Wie tröstet Gott?
Gottes Trost ist noch einmal von ganz eigener Art. Zum einen handelt er durch uns, unser Dasein, Schweigen und Reden, aber auch darüber hinaus: „Ich will euch trösten wie eine Mutter tröstet“ ist Gottes Zusage an uns. Gott weiß, dass wir trostbedürftig sind und auch sein dürfen. Wir müssen uns dessen nicht schämen. Gott sagt nicht: Reißt euch zusammen, seid stark! Nein: „Ich will euch trösten.“ Diese Zusage galt den Menschen zur Zeit des Propheten Jesajas und zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Gottesvolkes bis heute.
Die Menschen zur Zeit Jesajas kamen aus dem babylonischen Exil zurück in ihre Heimat und hofften, dass Gott Jerusalem und den Tempel neu aufrichten und selbst dort wohnen wird und alle Völker nach Jerusalem kommen, wie es für das Ende der Zeit vorhergesagt war. Doch ihre Hoffnung wurde enttäuscht. Sie mussten sich selbst an die Arbeit machen. Gott hat nicht den Tempel und Jerusalem aufgebaut, aber er hat ihre Herzen aufgebaut, ihnen neues Vertrauen und neue Hoffnung gegeben. Das tat Gott!
In der Bibel erfahren wir immer wieder von Menschen, die Gott ganz nah erfahren haben und sich dadurch getröstet fühlten. Denken Sie doch an die Worte des Psalmbeters aus dem 139. Psalm: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“ Und darüber erstaunt, sagt der Beter weiter: „Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.“ Dieser Psalm ist ein Zeugnis der Erfahrung: Gott ist da in unserer Welt. Gottes Trost ist spürbar.
Oder denken Sie an Paulus. Wie oft wurde er auf seinen Reisen angegriffen, verfolgt, geschlagen, ins Gefängnis gesperrt und musste um sein Leben bangen. Im 2. Brief an die Korinther schreibt er der Gemeinde: Wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus.“ (2. Korinther 1,5)
Die Erfahrung der Nähe Gottes, die Erfahrung seines Trostes lässt sich kaum in Worte fassen und ist doch real und spürbar. Gott tröstet auf so vielfältige Weise.
Es gibt Menschen, die finden Trost in der Natur, kommen dort zur Ruhe und fühlen sich getröstet. Andere finden Trost in der Musik. Die Klänge der Musik können unsere Seele auf wundersame Weise berühren, trösten und stärken.
Johannes Brahms, ein Komponist des 19. Jahrhunderts, hat nach dem Tod seiner Mutter ein Requiem geschrieben und nimmt dort unsere Jahreslosung „Ich will euch trösten, wie eine Mutter tröstet“ wortwörtlich auf. Der Trost, der er selbst einst bei seiner Mutter erfahren hat, wird für ihn zum Gleichnis für die Erfahrung des Trostes Gottes. Musik umfasst uns auf geheimnisvolle Weise und taucht uns ein in eine nicht lokalisierbare Sphäre.
Wieder andere finden Trost im Gebet oder in der Meditation. Wie und wo auch immer: Der Trost Gottes ist die Erfahrung seiner Nähe. Er ist unverfügbar. Und wenn wir ihn erfahren, hat er etwas Erfüllendes und Beglückendes. „Ich will euch trösten wie einen seine Mutter tröstet“ – Gottes Zusage steht. Darauf dürfen wir uns verlassen. Und Gott will uns als seine Gemeinde mit in sein Trostwerk hinein nehmen.
Heiner Mausehund
Ein schöner Text. Ich erlebe das seit einiger Zeit auch so, den vielfältigen und unterschiedlichen Trost, den ich erfahren darf. Dafür offen zu sein macht das Leben reich und schön, trotz aller Ängste und Sorgen.
HE’s got the whole world in HIS hands. Und mich auch!