Der Trauerredner ist ein freundlicher Mann, kleidet sich wie ein Pastor, redet wie ein Pastor… nur: er ist kein Pastor. Die Auftraggeber haben es genau so bestellt. Der Pastorenimitator wurde ausdrücklich gewünscht.
Das Bestattungsinstitut bietet Angehörigen verschiedene Profile an. Zum Beispiel den „freundlichen Pastor“. Es ist zufällig ein Freund von mir, ein religiöser Mensch, kein sogenannter Scharlatan. Er erzählt mir von den anderen Varianten. Da gibt es die weltliche: bitte ohne Gott, dafür mit philosophischen Zitaten und poetischem Verve. Über den Tod nachgedacht wurde ja schon vielfach im Laufe der Geschichte – da lässt sich viel Tiefgründiges finden. Mein Freund, der Trauerredner, hat das humanistische Gymnasium besucht. Er kennt sich aus in der Literatur.
Schließlich gibt es die Alternative für Pragmatiker und Eilige: da wird sich nicht mit Reden aufgehalten. Hier ist der Trauerredner ein stattlicher Mann, der die Urne langsam und feierlich ins Erdreich versenkt.
Der Trauerredner hat Ritualkompetenz. Zu seiner Ausbildung gehört auch Schauspielunterricht. Das Geschäft geht gut. Der Trauerredner hat genügend Aufträge. Es werden immer mehr, die einen wie ihn einem Pfarrer vorziehen, erzählt er mir.
Was mich erstaunt: Am häufigsten wird das Format „Angebot mit spirituellen Inhalt“ nachgefragt. Ich frage meinen Freund, ob er aus seinen Gesprächen mit den Angehörigen weiß, warum das so ist. Die Hinterbliebenen könnten doch ihren zuständigen Pfarrer fragen, warum kaufen sie sich einen Pastorenersatz ein?
Und die Antwort erschreckt mich zutiefst: Mein Freund berichtet von sehr vielen Menschen, die ihm von ihren schlechten Erfahrungen mit Pfarrerinnen und Pfarrer erzählt haben. Einer zeigte ihm die Narbe an seinem Kopf. Das Schlüsselbund des Pfarrers traf ihn da einst als Kind. Ein anderer will sich nie mehr falsch fühlen müssen, weil er lebt, wie er leben will. Er betritt nie mehr eine Kirche, das hat er sich geschworen. Der dritte hat sich geärgert, weil der Pfarrer einmal keine Zeit für ihn hatte, als er ihn gebraucht hätte in seinem Leben. Nun braucht er die Kirche nicht mehr, hat er gesagt.
Ich bin Pfarrerin – es sind oder es waren einmal meine Gemeindemitglieder, die den Trauerredner buchen. Sie trauen mir nicht zu, sie trösten zu können. Sie erhoffen sich nicht mehr, in unserer Kirche vertrauenswürdige Menschen zu finden. Sie fragen nicht mehr nach, was wir zu sagen haben: Sie fragen den einzigen Trost nicht mehr nach, der im Leben und im Sterben bestehen kann.
Ich will, dass das wieder anders wird! Ich will mich anstrengen, die Herzen der Menschen zu erreichen. Ich will zeigen, dass es sich lohnt, zu unserer Kirche zu gehören. Denn ich weiß, dass das, was wir zu sagen haben, wahr ist – und weniger als die Wahrheit sollte niemand hören, wenn er am Grab eines geliebten Menschen steht. Ich habe viel gelernt von meinem Freund, dem Trauerredner.
Anke Augustin
Was ein Pfarrer alles bewirken kann, wenn er mit Leib und Seele sein Amt ausübt, ist z.B. nachzulesen in meinem sehr persönlichen Bericht vom 16.6. hier in Himmelrauschen. Und das ist bestimmt nicht nur im Hinblick auf eine Beerdigung zu sehen, wo aber natürlich gerade die Menschen sich sehnen nach den richtigen Worten und Zuspruch.
Wenn Menschen dann in ihrem Leben nicht die erhoffte Hilfe durch die Kirche bzw. Pfarrer erfahren haben, kann diese Enttäuschung für´s ganze Leben prägen. Ich sehe es als eine große Verantwortung, weiß aber, daß es viele Pfarrer/innen gibt, die trotz Zeitmangel und Überlastung für Menschen in ihrer Not da sind und ihr Amt als Berufung sehen und dafür bin ich persönlich sehr dankbar.
Liebe Anke Augustin,
solche Geschichten habe ich auch schon oft gehört. Das Schlimmste war mal eine Frau, die zu mir sagte: „Wissen Sie, mein Schwiegervater wurde neulich beerdigt. Der Pfarrer hätte auch das Telefonbuch vorlesen können.“
Ich habe mich so geschämt für diesen Kollegen!
Mein Eindruck ist, dass gerade die Menschen, die keine 08/15-Beerdigung wollen, sich an Nicht-PfarrerInnen wenden. Wahrscheinlich, weil sie uns gar nichts anderes als die üblichen Floskeln mehr zutrauen und auch keine seelsorgliche Kompetenz mehr erwarten. Da geht es mir wie Ihnen, liebe Kollegin: Ich lege mich gern ins Zeug, um diesen katastrophalen Eindruck zumindest stellenweise zu verändern!
Liebe Anke,
Dein Beitrag hat mich sehr betroffen gemacht. Viele Menschen wenden sich von der Kirche ab und meistens damit auch von Gott. Sie bedenken nicht, dass Kirche nicht Gott ist, sondern in den Kirchen Menschen wirken, die Fehler machen. Es ist doch aber verständlich wenn Menschen sich abwenden, nach den Missbrauchsberichten aus der kath. Kirche oder wenn sie sehen, bei allem Leid auf der Welt, in welchem Prunk da die Kirchenoberen leben. Das kann doch nicht christlich sein und macht die Kirchen unglaubwürdig. Aber auch in unserer evang. Kirche gibt es Enttäuschungen, auch von Pfarrern in den Gemeinden, die vielleicht auch durch Überlastung, keine Zeit mehr für die Seelsorge einzelner Menschen haben, oder durch Pfarrer die ganz einfach nicht nah an „allen“ Menschen ihrer Gemeinde sind. Nicht jeder Pfarrer hat auch die nötige Sensibilität um Menschen zu berühren und zu begeistern von Gottes Wort. Dir liebe Anke nehme ich es ab, dass Du es zutiefst möchtest und alles dafür tun wirst, um die Herzen der Menschen zu erreichen. Ich kenne Dich erst kurz, aber ich weiß, Du hast Zeit und ein offenes Ohr für Menschen und Du bist sensibel genug um die Menschen zu erreichen. Ich freue mich, Dich kennengelernt zu haben. Mach bitte weiter so!
Liebe Anke Augustin,
ich weiß wovon Du sprichst. Dein Text hat mich zu Tränen gerührt.
Als 53-jährige Frau, die gerade neu zum Glauben gefunden hat, habe ich das alles auch schon er- und durchlebt. Doch… Es gibt viele Engagierte und Lebendige wie Dich. Und bei ihnen fühle ich mich aufgehoben, sie halfen und helfen mir, meinen Weg zu Gott, Jesus Christus und dem Heiligen Geist zu finden. Du und die Männer und Frauen, die mir meinen Weg zu finden helfen, fühlt Euch zutiefst gewertschätzt für die wunderbare Arbeit, die Ihr tut. Ihr macht die Welt zu einer Besseren. Und das ist keine Phrase, sondern Wirklichkeit.