Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe! (Johannes 15,9)
Die Liebe gehört zu den großen Rätseln des menschlichen Lebens. Solange es Menschen gibt, wird über die Liebe nachgedacht. Solange es Menschen gibt, hat die Liebe Freud und Leid in die Welt gebracht. Wo die Liebe zum Zuge kommt, gibt es Freude und Frieden. Wo sie aber vermisst wird, gewinnt Traurigkeit die Oberhand. Gerade heute fragen sich viele: Leben wir in einer lieblosen Welt? In der Arbeitswelt scheint sie gleich gar keine Rolle zu spielen. Allenfalls in der Familie, der Partnerschaft kann man noch dergleichen erwarten.
Im Neuen Testament kommt das Wort „Liebe“ unzählige Male vor. Bei dem, was Jesus zu sagen hatte, spielt die Liebe eine entscheidende Rolle.
Das Wort „Liebe“ ist in aller Munde. Und doch wird es sehr verschieden übersetzt. Wir leiden gerade da offenbar an einer babylonischen Sprachverwirrung. Denn die Heilige Schrift meint eine ganz bestimmte Art von Liebe. Jesus spricht zuerst von seiner Beziehung zu Gott, seinem Vater. Er weiß, dass sein Vater im Himmel ihn lieb hat. Das ist von entscheidender Bedeutung für sein Leben. Er weiß, dass jemand ganz und gar hinter ihm steht. Die Liebe, die er erfährt, stärkt ihm den Rücken. Sie macht es möglich, dass er sein Leben gleichsam an andere weitergibt. Die Liebe des Vaters macht ihn zu einem heilen Menschen. Wer Liebe erfährt, ist ein glücklicher Mensch.
Jesus hat seinen Jüngerinnen und Jüngern beigebracht, Gott ihren Vater zu nennen. Und darum beten ja auch wir: Unser Vater im Himmel. Das heißt: Gott weiß, was wir zum Leben, was wir an Liebe brauchen. Er weiß es, schon bevor wir ihn darum bitten. Überall, wo geliebt wird, ist er mit im Spiel. Er ist die vollkommene Liebe, die uns niemals loslässt. Nicht einmal der Tod kann uns von dieser Quelle der Liebe wegreißen.
Wer Liebe erfährt, der kann sie auch an andere weitergeben. Jesus macht eine solche Gleichung auf: Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch. Und wir sollen es gleichermaßen tun: Die Liebe untereinander weitergeben. Wir wissen, dass wir dabei enttäuscht werden. Viele Versuche, Liebe in die Welt zu bringen, schlagen fehl. Ernüchterung gibt es jede Menge. Wenn da nicht die Bitterkeit an die Stelle der Liebe treten soll, müssen wir uns auf die ursprüngliche Quelle besinnen.
Wir wissen, dass diese Liebe immer wieder gestört wird. Durch menschliche Schuld scheitern immer wieder Liebesversuche. Traurig ist es dann, wenn nur noch Scherben aufzulesen sind. Wie anders müsste die Welt aussehen, wenn sie durch und durch von der Liebe geprägt wäre! Kriege und Ungerechtigkeit wären dann Fremdwörter. Beziehungen auch unter uns müssten nicht so oft zu Bruch gehen. Aber der Anfang ist gemacht, weil uns gezeigt ist, wo die Liebe eigentlich herkommt. Jesus gibt seine Liebe an uns weiter. „Bleibt in meiner Liebe!“ Das ist die Kraftquelle für unseren Glauben.
Und: Liebe kann man nicht für sich behalten. Liebe braucht immer ein Gegenüber. Wir können nicht sagen: Ich liebe. Dazu gehört immer jemand oder etwas, worauf sich die Liebe richtet. Die Verbindung mit Gott ist wie ein wärmender Ofen. Wenn unsere Hände kalt geworden sind, können wir uns dort aufwärmen. Und wenn wir von dieser Wärme nachgetankt haben, können wir auch andere kalt gewordene Hände fassen und wärmen. Ich freue mich darauf, mit Ihnen und euch in der Osternacht diese Wärme ganz sicht- und fühlbar zu feiern, wenn in den dunklen Kirchenraum das wärmende Licht der Osterkerze als Symbol für die Auferstehung Jesu, die ja ein Zeichen der Liebe Gottes zu uns ist, einzieht.
Uwe Paulukat | nach einer Predigt von Dr. theol. Uwe Czubatynski