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Bereitet dem Herrn den Weg

Bereitet dem Herrn den Weg… Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden… (Jesaja 40,3-5)

Ein Kirchenjubiläum wie dieses ist immer ein guter Grund, dankbar zurückzublicken, heute zu feiern und mit Hoffnung und Glaube den Blick in die Zukunft zu wagen.

Dankbar zurückblicken: Am 3. Advent 1894 wurde die Gnadenkirche eingeweiht, 35 Jahre später – am 3. Advent 1929 – ihr Turm und die erweiterte Kirche. Seit 125 Jahre haben Christinnen und Christen hier Gottesdienste gefeiert, gesungen und das Abendmahl geteilt. Immer standen die Worte der biblischen Schrift im Mittelpunkt. Denn sie sind für uns Protestanten entscheidend. Auch heute, wenn wir ein Kirchenjubiläum wie dieses feiern – entscheidend ist für uns herauszuhören, wie Gott uns heute durch das biblische Wort anspricht – egal wo, an welchem Ort.

Erst dadurch, dass wir hier die biblischen Geschichten mit ihren tiefen Lebenserfahrungen weitererzählen – erst dadurch wird diese Gnadenkirche zu einem besonderen Ort der Gegenwart Gottes. Nicht die Steine der Kirche feiern wir – sondern Gottes Wort, das Menschen an diesem Ort auf ganz unterschiedliche Weise seit 125 Jahren anspricht.

Da ist der Dank für die Bewahrung der Gemeinde. Da sind die Freude und der Jubel. Und da sind die Erwartungen, Hoffnungen und Sehnsüchte auf die Zukunft hin…  Eine grundlegende Spannung, die tatsächlich jedem Advent zu eigen ist. Im Advent sind wir Menschen, die warten, die sich sehnen, die versuchen, auf der Basis ihrer bisherigen Erfahrungen die Zeichen der Zeit zu lesen – und sie nicht immer verstehen. Menschen, die lachen und weinen, geduldig und ungeduldig sind. Menschen, die Niederlagen einstecken müssen und nicht daran glauben, dass sie endgültig sind. Menschen, die sich nach Glück sehnen und sich oft als glücklos erleben…

An uns Adventsmenschen wird deutlich: Dass Gott kommt, steht noch aus. Genau das aber soll unsere Sehnsucht nicht dämpfen, sondern sie gerade lebendig halten.  Sowohl der Prophet Jesaja und als auch der Evangelist Lukas halten in uns die Sehnsucht nach Frieden, nach Glück und der Fülle des Lebens wach: Bereitet dem Herrn den Weg, denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden!

Aber gilt das heute überhaupt? Bereitet dem Herrn den Weg – angesichts von drängenden sozialen Problemen in unserer Stadt und unserem Land? Angesichts von Millionen Menschen, die sich abgehängt, unverstanden und vor allem ungehört fühlen? Der gerade veröffentlichte Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes beschreibt eine immer größere Kluft zwischen armen und reichen Regionen in Deutschland. Das Ruhrgebiet bleibt mit einer Armutsquote von 21,1 Prozent – bei 5,8 Millionen Einwohnern – Problemregion Nummer eins.

Die Verheißung des Jesaja – gilt sie wirklich auch heute? Angesichts von Konflikten und Streit unter uns Christen, die hart aneinandergeraten, wenn wir in konzeptionellen Prozessen die Zukunft unserer Gemeinden, eben auch unserer kirchlichen Gebäude vor Ort diskutieren?

Nein, die Worte des Propheten sind keine Vertröstung. Vielmehr spricht Jesaja seine Worte mitten hinein in genau diese Realitäten: „Bereitet dem Herrn den Weg… Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden.“

Wenn ich die Worte des Propheten höre, spüre ich meine eigene adventliche Sehnsucht nach Verwandlung – danach, dass es Hoffnung gibt für unsere Kirche und unsere Stadt. Klar – die täglichen Aufgaben, das Stolpern und Steckenbleiben werden nicht verschwinden. Aber:

ER WIRD KOMMEN!

Wie wir ihm den Weg bereiten? Indem wir uns in diesen Adventstagen nicht verlieren, sondern immer wieder den Raum weiten und uns daran erinnern, wie Gott uns gewollt hat. Der Sehnsucht Raum geben. Sie streckt sich zur Zukunft hin aus – auf Gott hin. Und genau deshalb gehört die Sehnsucht so eng zum Advent und zum Weihnachtsfest. Zu Weihnachten wollen wir Antworten von Gott auf unsere Sehnsucht. Und was verblüffend und tröstend an Weihnachten ist: Gott gibt uns eine Antwort – auf seine fürsorgliche, zärtliche, liebende Art –  er beruft eine Mutter, die ihren Säugling behütend im Arm hält.

Aber so weit sind wir noch nicht. Noch sind wir im Advent. Noch geht es darum, diese Sehnsucht nach Gott erst einmal wahrzunehmen. Im Bild von Heimat kommen diese Sehnsüchte zusammen. Nicht von ungefähr endet Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“ mit dem Wort „Heimat“. Im Advent verleihen wir der drängenden Sehnsucht nach Heimat, nach einem Zuhause, nach Gott, eine Stimme. Alle Adventslieder sprechen von der Sehnsucht und der Erwartung, dass Gott sich uns zeigen möchte.

Bereitet dem Herrn den Weg – heute, an diesem besonderen Jubiläumstag der Gnadenkirche, heißt das:  „Verliert euch nicht! Seid euch der vergangenen 125 Jahre bewusst, seid dankbar dafür – und streckt euch aus in die Zukunft! Bleibt offen für Gottes Wort und haltet die Sehnsucht wach. So bereitet ihr dem Herrn den Weg!“

Vor 125 Jahren, am 16. Dezember 1894, predigten hier Generalsuperintendent Baur und der Präses der Provinzialsynode, Umbeck, über den Frieden an genau diesem Ort in dieser Gemeinde – und über den Frieden in ganz Judäa, Galiläa und Samarien.

Wie bereiten wir heute dem Herrn den Weg? Indem wir, jede und jeder Einzelne, zu diesem Frieden beitragen. Indem wir uns nicht von Feindbildern irre machen lassen, sondern unbeirrt für Frieden und Versöhnung eintreten. In Dellwig-Frintrop-Gerschede, in unserer Stadt Essen – und weit darüber hinaus. Indem wir als Christinnen und Christen heute die Hoffnung wachhalten, dass Frieden möglich ist auf dem Planeten Erde.

Gegen alle Finsternis zünden wir heute ein weiteres Licht am Adventskranz an, erzählen die Geschichten weiter von der Zukunft Gottes, in der Krieg und Geschrei ein Ende haben werden. Denn das feiern wir heute, am 3. Advent und am 125-jährigen Jubiläum dieser Kirche: dass es Hoffnung gibt in dieser Welt. „Verliert euch nicht! Gebt nicht auf, lasst euch nicht entmutigen! Behaltet die Vision im Auge, dass etwas verändert werden kann!“ Genau so bereiten wir dem Herrn den Weg.

Marion Greve
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Predigt, gehalten am Sonntag 3. Advent, 15. Dezember 2019, zum 125jährigen Bestehen der Gnadenkirche der Evangelischen Kirchengemeinde Dellwig-Frintrop-Gerschede.