Einige Fragen stehen heute im Raum: Wie verständlich agiert Kirche mit ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit? Wird sie von Menschen in einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft noch wahrgenommen und verstanden? Oder spricht sie mit ihren Riten und ihrer normierten Sprache nur noch ihre Binnen-Milieus an? Ist Kirche noch Kirche für das Volk, also Volkskirche? Oder zieht sich Kirche auf ihre vertrauten und verschlossenen Rückzugs-Räume zurück?
Angesichts der globalen Veränderungen im digitalen Zeitalter ist die Kirche gefragt, ihre Botschaft von der verändernden Kraft des Evangeliums zu bezeugen. Sie braucht dazu Mut über sich selbst hinaus zu sehen und zu reflektieren. Sie muss wieder auf des „Volkes Maul“ (Martin Luther) schauen und zuhören. Und sie braucht dazu ein Handwerkszeug für ihre Antworten auf die gestellten Fragen und Herausforderungen.
Werbung kann Handwerkszeug und Mittel sein. Denn Werbung will bei anderen Menschen Interesse anregen und erzeugen. Werbung spricht bewusst Bedürfnisse an und erzeugt neue Bedürfnisse. Sie zeigt das entsprechende Angebot an Bedürfnissen in Bildern und Texten. Die modernen Medien wie Radio, TV, Film, Print und Internet spielen heute eine große Rolle. Ziel von Werbung ist letztendlich der „Verkauf eines Produktes“ oder einer Lebenshaltung.
Bezogen auf Kirche, „verkauft“ Kirche ein Lebensgefühl als eine Lebenseinstellung. Ihr Markenname ist die Ausrichtung und Verlebendigung des Evangeliums. Für uns als evangelische Kirche heißt diese „Marke“: „Evangelisch sein“. Und mit Worten von Dietrich Bonhoeffer gesprochen bedeutet dieses „Evangelisch sein“, eine „Kirche für andere“ zu sein!
Um diese „Kirchenmarke“ an den Mann und die Frau zu bringen, sagen Werbefachleute, hat Kirche Werbung nötig. Denn längst sind die Kirchen keine Institutionen mehr, denen man selbstverständlich angehört. Sie sind nicht mehr die alleinigen Anbieter spiritueller und sinnstiftenden Angebote. Viele Kirchenmitglieder sind nicht mehr aktiv. Wie ein Stadtführer in Lübeck mir sagte, sei er ein sogenannter „U-Boot-Christ“, der nur zu Weihnachten in der Kirche auftaucht. Das heißt, die Kirche spielt im Leben vieler Menschen schlicht keine Rolle mehr. Jedes vierte Kirchenmitglied denkt hin und wieder über einen Austritt nach. Für diese Gruppen, die keine Bindung mehr an ihre Gemeinden haben, wäre Werbung in deren bevorzugten Medien durchaus ein geeignetes Kommunikationsmittel.
Schaut man auf das Ganze der Kirchen, müsste Werbung neben anderen Dingen einen wichtigen Teil in einem kommunikativen Gesamtkonzept haben. Zum Beispiel könnte man fragen: Was ist mit den ganzen erwerbstätigen Männern und Frauen, die wir nicht mehr erreichen?
Menschen unserer Zeit suchen zum Teil Kirche als spirituelle Heimat. Sie kann ihnen Halt und ein positives Lebensgefühl geben. Öffnen wir unsere Türen und schaffen Raum für Begegnung, Gespräche und begleiten wir sie an Wendenpunkten ihres Lebens.
Doch Skepsis bleibt angesichts des tiefgreifenden Wandels in unseren Kirchen und in unserer Gesellschaft. Dietrich Bonhoeffer könnte recht behalten mit seiner Aussage: „Wir gehen einer religionslosen Zeit entgegen“ (Brief an Eberhard Bethge). Der Kabarettist Philip Simon hat in seiner Live-Show „Ende der Schonzeit“ im Dezember letzten Jahres seinem Publikum einen Spiegel unserer Zeit vorgehalten:
„Ich warte auf den Tag, an dem die neue E-Church (Elektronische-Kirche) eröffnet wird. Dann stehen wir da alle gemeinsam und beten:
Apple unser im Himmel.
Geheiligt werde dein I-Phone.
Dein Design komme.
Deine Handyordnung geschehe.
Wie in der I-Cloud, so auch auf Erden.
Unser tägliches WIFI gibt uns heute.
Und vergib uns unsere Fettfinger,
wie auch wir vergeben der schlechten Akkulaufleistung.
Und führe uns nicht ins Funkloch,
sondern erlöse uns von Microsoft.
Denn dein ist das MacBook,
das I-Pad und der I-Pod
in Ewigkeit.
Update“
Die parodierenden Worte des „Vater unsers“ zeigen den Zeitgeist, in dem viele von uns leben. Was würde Jesus dazu sagen? Auch in einer virtuellen Welt braucht es unter uns Menschen die Erfahrung von GLAUBE – HOFFNUNG – LIEBE.
Werner Sonnenberg