So, und nun urteilen Sie über mein Leben: ist es schlecht, so stark zu sein?
Urteilen? Über ein Leben?
Es war ein Geburtstagsbesuch, bei dem mir eine Frau ihre Lebensgeschichte erzählte und auch und vor allem davon sprach, wie sie sich durchkämpfen musste, wie oft sie allein war, als Kind und Jugendliche keine Mutter in der Nähe hatte. Sie sehnte sich nach ihr, aber es half nichts, sie musste sich in den Kriegsjahren und am Ende des Krieges durchkämpfen, wie so viele, bis sie endlich wieder zuhause war.
„Das hat mich stark gemacht – aber manchmal bin ich dann auch sehr ungeduldig, sehr hart, nicht nur mit mir.”
„Und: ich habe nie gebetet, dass Gott mir hilft. Ich wusste: ich bin allein und muss es allein schaffen.” War das jetzt alles falsch?
Urteilen – über ein Leben? Nein, das kann ich nicht und das darf und will ich nicht.
Aber auf ein Leben zurückschauen, noch mal genau hinsehen, sicher vielleicht auch Fehler ansprechen – das kann schon sein.
Und ich denke es ist gut, das nicht allein zu tun, wenn ich sonst schon das Gefühl hatte, eigentlich alles allein durchgekämpft zu haben.
Bei diesem Rückblick, da scheint dann auch manches auf, was ich in der aktuellen Situation nicht gesehen habe. Ja, ich war allein, aber – da war eine Kraft, die mich gehalten hat, die mir geschenkt wurde, da tauchten Menschen auf, die einen Teil des Weges mitgingen, dafür sorgten, dass ich wieder nach Essen zurückkam, da gab es einzelne, die mich aufnahmen, ihr Essen mit mir teilten. Und: ich bin stark geworden dabei, nicht zerbrochen. Die Stärke, die habe ich noch gebraucht, auch später.
Urteilen – über ein Leben? Nein, das kann ich nicht und das darf und will ich nicht.
Nicht über das Leben anderer – und auch nicht über mein eigenes.
Aber: noch mal hinschauen – das kann ich, vielleicht einen neuen Blickwinkel einnehmen – das kann ich auch, vor allem aber kann ich Spuren entdecken von den Momenten, in denen ich doch nicht allein war, in denen ich, vielleicht mit nur kleinen Dingen, Hilfe erfuhr. Die Spuren Gottes in einem Leben, die sind leicht zu übersehen, im Rückblick können sie aufscheinen. Und dann kann auch sichtbar werden, welche Gaben und Fähigkeiten ich für dieses Leben mitbekommen habe und ob es mir gelungen ist, daraus etwas zu machen.
Ich, als Pfarrerin, bin dankbar, wenn Menschen mich manchmal so mit in ihr Leben nehmen.
Und was ich zu dieser Reise zurück gern beisteuern möchte, das ist der Blick Gottes auf ein solches Leben. Nein, wie dieser Blick genau aussieht, das weiß ich nicht. Ich glaube aber, dass es ein klarer und unbestechlicher Blick ist. Ich glaube, dass es ein fragender Blick ist: hast du etwas gemacht aus dem, was ich dir gegeben habe, bist du anderen mit Liebe begegnet, hast du meine Liebe spüren können? Und ich glaube, dass es ein sehr, sehr liebevoller Blick ist, mit dem Gott auf Menschen schaut: Gut, dass es dich gibt.
Monika Elsner ist unterwegs in Kray