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…und mitten im Leben der Tod

Wir sind betroffen, entsetzt und sprachlos. Wir verstehen nicht, wir begreifen nicht. 150 Menschen sind tot, 149 von ihnen mit in den Tod gerissen, weil der Co-Pilot mutmaßlich die Maschine bewusst zum Absturz gebracht hat, um seinem Leben ein Ende zu setzen. Es ist unfassbar. Zum Entsetzen und zur Betroffenheit kommt die Wut: der Selbstmörder ist zum Mörder von 149 Menschen geworden. Die Hinweise darauf verdichten sich. Unsagbares Leid ist über die Familien und Freunde der Opfer hereingebrochen und ihnen gilt unsere ganze Anteilnahme. Wer kann ihre Verzweiflung ermessen? Worte haben ihre Kraft verloren, noch ehe wir sie sagen. Mitten im Leben der Tod.

Wie viel Leben, wie viel Zukunft ist zerstört worden! Es ist und bleibt unfassbar. Und auch alle möglichen Erklärungen und Antworten für den Grund dieser Katastrophe und möglicherweise auch für den Selbstmord werden letztlich die Frage nach dem „Warum“ nicht beantworten und das Leid und die Trauer der Angehörigen und Freunde nicht schmälern können. Die Frage bleibt und wir werden lernen müssen, mit ihr zu leben.

Als Jesus am Kreuz seine Gottverlassenheit in die Nacht seiner Leiden hinausgeschrien hat: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?!!“, war er uns an keiner Stelle so nahe wie da. Das ist auch unser Schrei. In diesem Schrei ist alles enthalten, was es unter uns an Fragen, Klagen und Leid gibt. An Karfreitag ist Ostern weit.

Manchmal ein Leben lang weit. So ist es gut, dass es in dieser furchtbaren Situation Menschen gibt, die die Kraft finden, die Angehörigen der Opfer zu begleiten, die für sie da sind, mitweinen, mitklagen und mittragen, was nicht zu ertragen ist. So ist es gut, dass die Angehörigen eine so große Anteilnahme und Betroffenheit erfahren, auch wenn ihnen niemand den Schmerz und die Trauer nehmen kann.

Und auch wir selbst sind ja durch diese Katastrophe besonders berührt und bewegt, denn es hätte auch uns betreffen können, unsere Familie, unsere Freunde – jeder und jede von uns kennt jemanden, der gerade mit dem Flugzeug unterwegs ist, der darauf angewiesen ist, dass Verantwortliche auch verantwortlich handeln. Mit dieser Katastrophe steht uns erneut so erschreckend vor Augen, wie verletzlich unser Leben ist und dass nichts, aber auch gar nichts selbstverständlich ist. Leben und Tod sind nur Bruchteile von Sekunden voneinander entfernt. Eben noch fröhlich, in großer Erwartung und Freude, und dann die Angst, das Entsetzen, der Tod. Nichts ist mehr so, wie es war. Das Leben ist aus den Fugen geraten und niemand weiß, wie es überhaupt weiter gehen könnte.

So ist es vielen Menschen ein Bedürfnis, auch der eigenen Betroffenheit und Ohnmacht Ausdruck zu verleihen. Es ist wichtig innezuhalten, zu gedenken, sich der anderen zu vergewissern und sich der eigenen Verantwortung für das Miteinander bewusst zu werden – dass wir Verantwortung füreinander tragen müssen, wenn Leben möglich sein soll. Nur so werden wir unsere Betroffenheit und unsere Trauer wandeln können in ein Miteinander, das dem Leben dient.

Vor den Angehörigen der Opfer liegt ein unendlich langer Weg zurück ins Leben, ein lebenslanger Weg, ein Weg, den sie noch gar nicht sehen können und für den sie Menschen brauchen, die sie auch in Zukunft begleiten und ihnen nahe sind. Wie ist der Alltag zu bewältigen, die Leere, die Sinnlosigkeit, das Leben – ohne den Sohn, die Tochter, den Partner, die Eltern, die Freundin, den Freund? Unvorstellbar!

Unsere Sprachlosigkeit und unsere Hilflosigkeit, unsere Wut und unser Entsetzen können wir nur vor Gott bringen. So legen wir Gott die Toten der Flugzeugkatastrophe ans Herz, die mitten aus dem Leben gerissen wurden. Wir legen Gott die Familien und Angehörigen der Opfer ans Herz, dass er seine Hand bergend über sie halte und ihnen Menschen zur Seite stellt, die sie auf ihrem unvorstellbar schweren Weg begleiten. Wir legen Gott die Rettungskräfte, Helfer und die Begleiter der Angehörigen ans Herz, die weit über ihre körperlichen und seelischen Kräfte hinaus gefordert sind. Er möge ihnen die Kraft geben, dass sie ihre furchtbaren Erfahrungen und die Grenzen ihrer Möglichkeiten verarbeiten. Wir legen Gott auch die Familie des Co-Piloten ans Herz, der mutmaßlich ganz bewusst den Tod so vieler Menschen herbeigeführt hat. Eine unglaubliche Last liegt auf ihrer Seele. Mögen auch sie ihren Weg zurück ins Leben finden. Und auch uns selbst legen wir an Gottes Herz: mit unserer Trauer und unserem Entsetzen, mit unserer Sprach- und Hilflosigkeit, dass wir erkennen, wir sehr wir alle füreinander Verantwortung tragen und wie verletzlich unser aller Leben ist.

An den Karfreitagen des Lebens ist Ostern weit, sehr weit, auch wenn es Gott schon drei Tage später hat Ostern werden lassen.

Christoph Ecker