Beides erleben wir, erleben Menschen gleichzeitig: so sehr Kirche und Gemeinde zurzeit auch einen schweren Stand haben, steht Seelsorge vergleichsweise hoch im Kurs! Wo sich Schlimmes ereignet, wo die Not übergroß geworden ist, werden im öffentlichen Leben die Notfallseelsorge und die Telefonseelsorge, auch die Krankenhausseelsorge als wichtig und notwendig wahrgenommen.
Für das Herz gilt wie für die Seele: sie können für den ganzen Menschen stehen. Ein frohes oder schweres Herz meint einen frohen oder belasteten Menschen. Auch die Seele steht im biblischen Sinn für den ganzen Menschen, mit Haut und Haaren, seiner inneren und äußeren Verfassung, seinen sozialen Bezügen und seiner Lebensgeschichte.
Die Ursprungsworte im Alten wie im Neuen Testament bedeuten ja: „Atem, belebtes Wesen, Lebenskraft, Lebensmut.“ Und auch: „Kehle“ – also der Teil im Menschen, der zwischen Außen und Innen vermittelt, durch den wir Erlebtes flüssig und stärkend in uns aufnehmen – oder nur mit Mühen und Würgen schlucken und nicht so einfach verdauen. Es stimmt wohl: „Die Seele ist das Organ der Lebendigkeit und des Gottesbezugs“ (Eckhard Frick).
Im Krankenhaus, im Gesundheitswesen insgesamt, versinnbildlicht und schützt die Seele den ganzheitlichen Blick auf den Menschen, der zur Patientin, zum Patienten geworden ist; auch den komatösen, auch die dementiell veränderte und psychisch erkrankte.
Seelsorge kümmert sich um das Seelenheil – an der Grenze des Lebens; heute und hier – wenn körperliche und psychische, psychosomatische und spirituelle Belastungen mitunter unerträglich schwer auf der Seele liegen…
Oft begleiten wir Krankenhausseesorgerinnen und Krankenhausseelsorger Mitarbeitende unserer Häuser – sei es an verabredeten Orten oder „zwischen Tür und Angel“.
Gerne nehme ich Sie ein für paar Momente mit zu einer „Ortsbegehung“. Wir sind in der Huyssens-Stiftung, auf einer der onkologischen Abteilungen. Die Patientin, Anfang Fünfzig, beginnt zu realisieren, dass sie nur noch eine sehr begrenzte Lebenszeit vor sich hat. Sie wirkt verängstigt und verzweifelt. Was kann helfen, dass ein Kontakt entsteht, den sie als annehmbar und hoffentlich als für ihre Seele wohltuend erlebt!?
+ Empathie vermitteln, wohlwollend präsent sein; Signale des Mitgehens und der Sympathie zeigen; auf nur Angedeutetes eingehen und nachfragen; dabeibleiben, auch wenn es Kraft kostet.
+ Resonanz geben auf das, was geäußert wird und im Raum ist. Das gelebte Leben wertschätzen, auch das, was nicht gelungen oder offengeblieben ist. Nach Ressourcen fragen; nach dem, was wertvoll (gewesen und immer noch) ist und das Leben kostbar gemacht hat, nach Verbundenheit und dem, was tragen helfen könnte.
+ Geäußerte Schuldgefühle nicht weg reden. Die menschenfreundliche Botschaft des christlichen Glaubens anbieten, nicht formelhaft, sondern liebevoll und anschlussfähig. Dem gelebten Leben gerade dadurch Bedeutung und auch Hoffnung zusprechen.
+ Den uns überfordernden, den unlösbaren Fragen nicht aus dem Weg gehen: „Warum? Warum ich?“
Wenn das Leben eines Menschen durch einen Schicksalsschlag aus der Bahn geworfen ist, seine Seele aus dem Lot geraten ist – kann es manchmal gelingen, ihm ansatzweise ein „Nest“ bauen zu helfen… Manchmal kann so etwas wie „Begegnungsspiritualität“ entstehen. Wenn ein Mensch die Zuwendung und Anteilnahme des Gegenübers als heilsam erlebt, auch Selbstwert und innere Würde (stärker) zu spüren beginnt. Nicht selten äußern Ärzte: „Ein wirklich gutes Gespräch wirkt oft besser als ein Medikament.“
+ Dem leidenden Menschen Segen zusprechen und ihn der Sorge und Liebe Gottes anvertrauen, die erfahrbar werden gerade durch andere Menschen – und durch die Heilkraft der Musik.
Diese Ahnung ist auch unserer Patientin nahe gewesen: dass in Ausgangslagen, in denen sich Menschenseelen wie einem „großen, wilden Meer“ ausgeliefert fühlen, Gottes Möglichkeiten noch nicht erschöpft sind…
Uwe Matysik
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Diese „Ortsbegehung“ war der zweite von drei Predigtimpulsen im zentralen Reformationsgottesdienst „Beherzt und beseelt“, den der Kirchenkreis Essen am 31. Oktober 2024 in der Kreuzeskirche gefeiert hat. Ortsbegehung I („Unsere Studierendengemeinde“, von Vera von der Osten Sacken) ist hier im Blog bereits erschienen; Ortsbegehung III („In der Essener Innenstadt“, von Ulf Steidel) folgt als nächstes.