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Gemeinschaft von Frauen und Männern

Für die Kirche und die demokratische Gesellschaft gilt dasselbe Ziel: die Parität von Männern und Frauen (Grundgesetz, Artikel 3). Was viele, ich auch, nicht wussten: Die SPD-Frau Elisabeth Selbert hatte für dieses Ziel im Parlamentarischen Rat 1949 ungeheuer gekämpft. Das Interessante ist aber nun dabei: Frau Selbert hatte den SED-Entwurf für eine ostdeutsche Verfassung vom 14. November 1946 gefunden, in dem es hieß: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ (Näheres vgl. „Die wehrhafte Demokratie“, Zeitgeschichte Nr.2/2024, Seite 46f.).

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) bewegte sich seit Beendigung des Zweiten Weltkriegs in diese Richtung. Als Konfirmand im Evangelischen Johannesstift in Berlin-Spandau habe ich mich schon 1948 gewundert, dass die Leiterin der Evangelischen Frauenfachschule „Frau Vikarin Dr. Christine Bourbeck“ getitelt worden ist.

Jetzt ein kühner Sprung. Die evangelisch-reformatorische Kirche hat mit ihrer historisch-kritischen Bibelauslegung dem Apostel Paulus zur Wahrheit verholfen. Aber was soll das heißen:

ai gynáikes en tais ekklesíais sigátosan – mulieres in ecclesiis taceant – „Frauen sollen in den Gemeinden schweigen“ (1. Korinther 14,34b).

In der Ostkirche der Orthodoxie und in der Westkirche des Katholizismus beherzigten die Männer etwa zwei Jahrtausende lang diesen Imperativ des großen Apostel Paulus. In den reformatorischen Kirchen immerhin etwa 500 Jahre. Doch sie folgten alle einer Täuschung. Wie ist diese zu erklären? Alle sind einem Satz von Paulus, dass Frauen in den Gemeinden schweigen sollen, gefolgt, der gar nicht von dem Apostel stammt. Das ist jetzt unser erstes Thema.

I. Ich blicke im Folgenden genau auf Kapitel 14 des 1. Korintherbriefs, in welchem die oben zitierten folgenreichen Worte des Apostels Paulus stehen. Thema des Kapitels ist: Zungenrede und Prophetie. Ich zitiere die grundlegenden Verse 1 bis 4: „Trachtet nach der Liebe! Strebt nach Geistesgaben, besonders aber nach dem Prophezeien! Denn der Zungenredner redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, sondern er redet in seinem Geist Geheimnisse. Der Prophezeiende aber redet für Menschen Erbauung, Ermahnung und Zuspruch. Der Zungenredner erbaut sich selbst, der Prophet die Gemeinde.“

Paulus denkt also bei Prophetie nicht – wie wir denken könnten – an Weissagung von Zukünftigem, sondern predigtartig an Erbauung (oikodomé), das heißt Auferbauung, Zuspruch und Trost für die Gemeinde. Diese Verse enthalten schon den Konflikt, den Paulus in Korinth ausfechten muss. Die Liebe (agápe) muss der Weg und das Ziel, muss die Basis von allem sein, was in der Gemeinde geschieht (vgl. Kapitel 13, Vers 1).

Die Glossolalie (Zungenreden, ekstatisches Reden in fremden Sprachen in der Urchristengemeinde) hat in Griechenland eine berühmte Tradition. In Delphi redet die Pythia, die von der Gottheit inspiriert ist, Worte, die sie selbst nicht versteht. Die Priester müssen ihr Gestammel dolmetschen. Die Pythia redet voll des Gottes Apollon zu den Menschen, die Rat beim Orakel von Delphi suchen.

Auch der Glossolale oder die Glossolalin ist zunächst Gott zugewandt. Erst durch Vermittlung eines Menschen, das heißt eines Übersetzers, reden die Glossolalen zur Gemeinde. Die Zungenredner reden nämlich in Geheimnissen (mystéria, Kapitel 14, Vers 2). Paulus kritisiert das sehr.

In seiner Kritik holt er weit aus. „Es gibt viele Arten von Sprache in dieser Welt und nichts ist ohne Sprache“ (Vers 10). Und jetzt kommt es: „Wenn ich die Bedeutung von Sprache nicht kenne, dann werde ich dem Redenden Barbar sein, und der Redende wird für mich Barbar sein (Vers 11). Barbaren sind seit Homer die Fremden, Ausländer, die nicht Griechisch sprechen. Griechen können sie nicht verstehen und umgekehrt auch nicht. Sehr aktuell!

Vers 12ff.: „So auch bei euch… Wer also in Zungen redet, der bete, dass er es auch auslegen könne… Wenn du Gott lobst im Geist, wie soll der, der die Stellung des Laien („Unkundiger“ bei Luther, griechisch: idiótes) innehat, das Amen auf dein Gebet sprechen? Er weiß ja nicht, was er sagt.“

Und jetzt kommt der Apostel in Hochform: „In der Gemeinde will ich lieber fünf Worte mit meinem Verstand reden, um auch andere [gleichsam die Barbaren, Ergänzung von mir] zu unterweisen, als unzählige Worte in Zungenrede (Vers 19).

1978 nahm sich der Kenner der Pfingst- und charismatischen Kirchen, Professor Walter. J. Hollenweger (gest. 2016) in seinem Büchlein „Konflikt in Korinth und Memoiren eines alten Mannes“, Kaiser-Verlag, unserer Frage an. Hier hat Hollenweger ein „narratives Kabinettstück“ abgeliefert zu unserem Kapitel. Seine Lehrmeister sind Professor Jörg Theißen, Heidelberg, und Professor Hans Conzelmann, Göttingen und Zürich, gewesen.

Es gilt nun aber einen Grundsatz des Paulus aus Kapitel 11 zu beachten. Dort geht es um die Bekleidung des Hauptes der Frauen in der Gemeinde und in der Öffentlichkeit (Verse 1 bis 16). Doch schon in Vers 5 sagt er: „Eine Frau, die betet und prophezeit.  Über das Prophezeien haben wir oben gesprochen. Doch da gibt es eine Frau mit Namen Chlóe (vgl. 1. Korinther 1,11). Wer den Zusatz „die rote“ erfunden hat, weiß ich nicht.

Über diese Glossolalin ärgert sich der Apostel. Sie ist offenbar die Anführerin einer glossolalischen Gruppe in der korinthischen Gemeinde; wir haben darüber berichtet. Doch trotz seines Ärgers ist Paulus weit davon entfernt, der Chlóe den Mund zu verbieten. Glossolalen und Propheten oder Prophetinnen mögen nur zur Erbauung der Gemeinde reden (vgl. Kapitel 14, Vers 36c). Doch dann kommen die Sätze, die den Verlauf der Darlegung regelrecht stören.

„Wie in allen Gemeinden sollen die Frauen schweigen in der Gemeindeversammlung (1. Korinther 14,34a).

Das ist eine Interpolation, das heißt eine Einfügung in den Text aus späterer Zeit. Eine der wichtigsten Erkenntnisse der historisch-kritischen und feministischen Bibelforschung. Dieser sogenannte Apostelgrundsatz vom Schweigen der Frauen hatte eine Jahrtausende-Nachwirkung, wie wir hörten.

Etwa 500 Jahre nach Martin Luthers Tod 1546 begann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 in der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) eine neue Zeit. Die Teilnahme von Frauen am kirchlichen Leben auf allen Ebenen wurde in einer bis dahin nicht erlebten Weise Wirklichkeit. 1978 bis 1988 gab es sogar eine Dekade der „Solidarität der Kirchen mit den Frauen“, vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) in Genf ausgerufen, von den alten Kirchen selbstredend nicht mitgetragen. Die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche ist zum Synodalthema geworden. Irgendwie toll, wunderbar.

Aber der Weg der Frau als Theologin bis zur Ordination ist weiterhin steinig gewesen. Die Frauen-Ordination und die ungehinderte Ausübung des Pfarrerinnenberufs hat sich inzwischen in allen Landeskirchen der EKD durchgesetzt. Die beiden alten Kirchen sind noch meilenweit davon entfernt. In der EKD sind 2024 von insgesamt 19.942 aktiven Pfarrern 7.859 Pfarrerinnen. Die Prozente bis zu 50 Prozent kann sich jeder selbst ausrechnen. In vielen Landeskirchen sind Frauenreferate eingerichtet worden. Einige Landeskirchen haben in ihre Kirchenordnungen Gleichstellungsartikel nach Artikel 3 des Grundgesetzes aufgenommen und beschlossen. Halleluja!I

II. In einem zweiten Teil mache ich nun einen Riesensprung in die Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts zum Musiker-Ehepaar Clara (1819-1896) und Robert Schumann (1810-1856). Sie glauben es nicht! Clara hatte eine sklavische Kindheit. Der Vater Friedrich Wiek war es, der sie, die Hochbegabte, versklavt hat. Nach der Scheidung hatte er sich ausbedungen, sie mit dem fünften Lebensjahr „zu besitzen“, wie er sich ausdrückte.

Der superehrgeizige Klavier-Vater Wiek nahm der kleinen Clara mit einem musikalischen Ausbildungszweig nach dem anderen, Violine neben Klavier, Komposition- und Kontrapunktausbildung bei Leipziger Koryphäen, die verdiente Kindheit, wie bei Mozart!

Die fünfzehnjährige Clara lässt die musikalische Welt in Leipzig mit einem phänomenalen Werk für Klavier und Orchester a-Moll erstaunen. Ein Kritiker schreibt:

„Hier wird man überrascht, der Laie, der Kenner oder Virtuos in gleicher Weise und von dem Werke angezogen… nie würde man dem Gedanken Raum geben, es sei von einer Dame geschrieben“ [und gespielt, Ergänzung von mir].

Wer es kennenlernen möchte, dem empfehle ich YouTube anzuklicken: Clara Schumann, Klavierkonzert a-Moll, eine besonders gute Aufnahme, wie ich meine: Israel Camerata Jerusalem Orchestra; Dirigentin Keren Kargalitzky; Pianistin Michal Tal. Und noch eine Empfehlung: Robert Geck, Uni Dortmund: Robert Schumann, Mensch und Musiker der Romantik. Biografie, Verlag Siedler, München 2010.

Claras Rettung war die Liebe: der Robert. Ich zitiere in diesem Zusammenhang aus Wikipedia, 2008:

„Ende 1835 kamen sich Schumann und Clara näher, ein Umstand, der dem überfürsorglichen Vater nicht verborgen blieb. Er unternahm in der Folgezeit alles, um jeden Kontakt zwischen den frisch Verliebten zu unterbinden. Nichts war mehr möglich, kein Treffen, selten Briefe, die unter geradezu konspirativen Umständen übermittelt wurden, Blicke nur aus der Entfernung. Die Härte des alten Wieck vergrößerte die Leidenschaft.

1840 (Robert war 30, Clara 21 Jahre alt, Ergänzung von mir) beendeten Robert und Clara die hoffnungslos erscheinende Situation mit einer Klage vor Gericht, die darauf gerichtet war, dass entweder der Vater der Ehe zustimmen oder von Amtswegen eine Einwilligung herbeigeführt werden sollte. Am 12. September 1840 heiratete das Paar aufgrund der Zustimmung des angerufenen Gerichts in der Dorfkirche von Schönefeld bei Leipzig.“

Das ist schon scharf! Die beiden schworen sich auf eine gleichberechtigte Künstler-Gemeinschaft ein: lebenslang. Das ist ihnen auch vergönnt gewesen. Aber tragischer Weise für nur 16 Ehejahre.

Die Intensität dieser begrenzten Zeit können wir uns kaum vorstellen. Allein acht Kindern hat Clara in diesen Jahren das Leben geschenkt und eine Fehlgeburt hatte sie; ich nenne nur die Namen der Kinder: Marie; Elise; Julie; Emil; Ludwig; Ferdinand; Eugenie; Fehlgeburt; Felix.

Jetzt zitiere ich kurz Martin Geck, 2010, Seite 162. Robert schreibt 1939: „Die Nachwelt soll uns ganz wie ein Herz und eine Seele betrachten.“ Dann heißt es weiter: es ging nicht ohne Schwierigkeiten ab. Schon in der zweiten Ehewoche beklagt sich Clara: „Es ist schlimm, dass mich Robert in seinem Zimmer hört, wenn ich spiele, daher ich auch die Morgenstunden, die schönsten, zu einem ernsten Studium nicht benutzen kann.“ Doch in der 45. Ehewoche (alles nach Tagebuch) fragt Robert Clärchen: „Gefälltst dir noch in der Ehe?“ „So ziemlich. Wir halten recht tapfer zusammen und wollen immer so.“

Das haben sie auch verwirklicht bis zum tragischen Tod von Robert Schumann im Jahre 1856 in Bonn-Endenich. Darüber berichte ich hier nicht und verweise auf Martin Geck.

Clara Schumanns ganzes Lebenskonzept brach damit ein. Sie verstummte fast, aber nicht für immer! Sie spielte und unterrichtete Klavier. Bis zu ihrem eigenen Tod 1896 entfaltete sie eine ungeheure musikalische Aktivität. Zu Johannes Brahms pflegte sie eine intensive Freundschaft.

Im Grab auf dem Alten Friedhof in Bonn sind Clara und Robert Schumann zur Ewigkeit vereint.

Eckhard Schendel