Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen. (Jesaja 12,5)
Vor ungefähr drei Wochen war ich auf einer Hochzeit eingeladen. Schon lang war sie geplant, es war mittlerweile der dritte Termin, der ausgeguckt war. Dieses Mal aber durften wir endlich feiern. Im Vorfeld hatte Esther mich mal angeschrieben, ob ich nicht einen schönen Text zur Dankbarkeit hätte, der zu einer Hochzeit passt. Ich habe etwas geschickt, das aber passte wohl nicht, dann kam die Mitteilung: Alles gut! Wir haben etwas gefunden.
Und dann saß ich da an diesem Samstag in der Kirche, genoss es, „nur“ mitzufeiern und keine Aufgaben zu haben, und konzentrierte mich ganz auf diesen Gottesdienst. Der katholische Kollege war persönlich und sehr freundlich, und als wir kurz vor Schluss bei den Fürbitten und Wünschen angekommen waren, musste ich doch arg schlucken.
Familie und Freunde gingen dann nach vorne – jetzt kommen sicher lauter liebe Wünsche für das Paar, dachte ich – doch die erste Fürbitte holte das ganze Elend dieser Welt in die Kirche. Von sozialer Ungerechtigkeit war die Rede, von Krankheiten, die man heilen könne, es aber wegen mangelndem Geld nicht tat usw. Ganz trübsinnig wurde mir ums Herz, und auch die folgenden Fürbitten – bis auf eine – beschäftigten sich nicht mit der Liebe und dem Brautpaar, sondern mit dem Elend dieser Welt. Dann, nach der Ansage des katholischen Pfarrers, wurden endlich auch liebevolle Wünsche für das Brautpaar geäußert.
Ich war ganz erschlagen. Und Esther und Vitali taten mir irgendwie leid. So viel Elend war plötzlich mit in diesem Gottesdienstraum, wenngleich wir anschließend, bei der Kollekte für die Welthungerhilfe für Ostafrika, auch etwas tun konnten gegen diese Missstände.
Als wir dann später alle zusammensaßen, wir uns bei diversen Spielen kennenlernen konnten, ich kannte außer dem Brautpaar niemanden dort, saß mir Esthers Vater gegenüber. Und ich weiß nicht, wie ich darauf kam, jedenfalls konnte ich mich nicht bremsen und sagte, wie schrecklich ich all die Fürbitten gefunden hatte, dass ich Esther und Vitali auch mal nur Schönes gegönnt hätte und dass alles doch auch so seine Zeit habe. Da schaute mich der Vater etwas erschrocken an: „Meine Fürbitte auch?“
Oh je! Ich brauche wohl wirklich bald eine Brille. Ich hatte ziemlich weit hinten gesessen, ihn nicht wiedererkannt. „Naja,“ habe ich gesagt, „die erste Fürbitte hat mich schon so ins Elend gezogen, da habe ich etwas abgeschaltet bei den folgenden.“ – „Das war meine Frau!“ Na super. Ich lasse wirklich keinen Fettnapf aus.
Später sprach Esther mich natürlich auf diese Geschichte an. „Du hast meinem Vater…“ Ja, hatte ich. Und wie es ihre Art ist, hat sie mich freundlich angelächelt und gesagt: „Mieke, ich wollte das so. Weißt du, uns geht es so gut! Ich will nicht, dass wir die anderen vergessen. Ich möchte, dass wir dankbar sind, dass wir das hier“ – und sie wies mit ihrer Hand und ihren Augen in den Raum um uns herum – wertschätzen!“
Ja, so ist Esther! Und wahrscheinlich ist Vitali auch so, ihn kenne ich nicht so gut. Esther denkt an andere. Esther ist Ärztin geworden und sie ist es aus Berufung. Sie mag es zu helfen, sie hat ein offenes Ohr für die Nöte der anderen, ihr muss man nicht alles sagen, vieles sieht und spürt sie ganz von allein; und sie ist ein positiver und sehr dankbarer und gläubiger Mensch.
Vieles bei der Vorbereitung für ihre eigene Hochzeit hat sie aus der Hand gegeben, die Vorbereitung für den Gottesdienst nicht. Der war ihr sehr wichtig, dabei war es ihr ja auch ein Herzensanliegen, zu danken. Gott zu danken. Für alles. Für wirklich alles, was sie hat und ihr möglich ist. Esther ist eine Besondere. Eine, die mich gelegentlich auf etwas stupst. Im Buch des Propheten Jesaja, im 12. Kapitel, gibt es einen Text, besser einen Psalm, in dem es um Dankbarkeit geht:
Zu der Zeit wirst du sagen: Ich danke dir, HERR! Du bist zornig gewesen über mich. Möge dein Zorn sich abkehren, dass du mich tröstest. Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der Herr ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Brunnen des Heils.
Und ihr werdet sagen zu der Zeit: Danket dem HERRN, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist! Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen. Solches sei kund in allen Landen! Jauchze und rühme, die du wohnst auf Zion; denn der Heilige Israels ist groß bei dir! (Jesaja 12,1-6)
Ja, auch hier läuft einem der Mund über vor lauter Dank, und dieser Mensch greift auf lauter gute Erfahrungen mit Gott zurück. Bei Gott fühlt er sich sicher und geborgen; Angst, Furcht, die kennt er nicht; weiß sich in Gottes Nähe – von ihm erwartet er sein Heil; er ist sich sicher, dass Gott tröstet. Und weil er so gute Erfahrungen mit Gott gemacht hat, wünscht er sich, dass alle miteinstimmen in seinen Lobgesang. Das, so spüre ich, kann ich sofort. Und muss gleich an Esthers Hochzeit denken.
Doch, sie hat ja recht. Was ist es uns gut gegangen an diesem Samstag. Wir hatten alle viel Freude miteinander, das Essen war ausgezeichnet und der Gottesdienst… eines der gesungenen Lieder hat noch tagelang in mir weitergesummt. Und überhaupt: Mir ist schon so viel Schönes und Gutes in meinem Leben zuteilgeworden, ich bin sicher, allen fällt etwas ein – schon so oft hatte ich das Gefühl, dass Gott seine Hände schützend über mich gehalten hat, ja, wie oft erlebe ich im Krankenhaus, dass Gott eingegriffen hat oder eingreift, Leben rettet, heilt, Wunden verbinden lässt…
Da ist so viel Grund zu loben und zu danken, vom täglichen Brot angefangen, über die Sonne und mittlerweile ja auch über den Regen, dass ich sagen möchte: Ja, wir jubeln alle mit, nicht nur Esther und ich sind dankbar, wir alle sind es. Und wir jubeln hier ja auch. Bei fast jedem Lied, das wir singen…
Dabei: unser Psalm beginnt gar nicht nur mit – ich sag es jetzt mal salopp – normalen dankenswerten Dingen, nein, der Mensch hier beginnt damit, dass er für Gottes Zorn über sich dankt. Das ist doch mal eine Hausnummer! Dabei, auch das kann ich irgendwie verstehen. Manchmal tut‘s ja auch gut, wenn einer zornig ist über einen. Erstens: Ich oder die Sache ist dem anderen so wichtig, dass er mit diesen starken Gefühlen reagiert. Zweitens: Im günstigsten Fall bringt mich diese Reaktion zum Nachdenken und vielleicht auch zum Umlenken.
Zorn ist oft nicht leise. So kommt alles auf den Tisch, beide Seiten müssen nun damit umgehen, und wenn es richtig gut läuft: kann wieder reiner Tisch gemacht werden. Und wenn ich richtig Mist gebaut habe und das auch noch einsehe, dann kann ich den Zorn sogar annehmen und er stellt für mich so etwas wie Sühne da – und ich kann wieder ganz neu beginnen.
Und unser Beter? Er hat schon Erfahrung, auch damit gute Erfahrung. Nach dem Zorn kommt Trost, darauf hofft er und macht damit deutlich, was ich gerade gesagt habe, es gibt einen neuen Anfang. Und auch das gilt: Es gibt einen guten Zorn, der nicht ins Unendliche läuft, sondern sein Maß kennt. Und wo am Ende die Liebe und der Trost siegen. Ja, ich mag einstimmen. Und Sie vielleicht auch:
Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen.
Friederike Seeliger