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Ein preußischer Protestant als Dombaumeister in Köln

Er entstammt einer evangelischen Familie mit zwölf Kindern. Er ist das vierte gewesen: Ernst Friedrich Zwirner. Er kam am 28. September 1802 in Jakobswalde, Landkreis Cosel in Oberschlesien, Nähe Gleiwitz, heute Gliwice, zur Welt. Sein Vater Ernst Friedrich Traugott war Hütteninspektor und Polizeidistriktkommissar. Seine Mutter Eleonore Helene Marianne Augustini hat zwölf Kinder großgezogen. Von 1816 bis 1819 besuchte er das Gymnasium in Brieg. Hieran schloss sich eine Ausbildung an der Bauschule in Breslau an. Nach einjähriger Militärzeit war er in Breslau als Vermessungskondukteur tätig.

Und jetzt kommt der erste Karriereschritt: Fünf Jahre lang studierte er an der von Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) gegründeten Bauakademie in Berlin und an der Friedrich-Wilhelm-Universität. Schinkel wird auf Zwirner aufmerksam und machte ihn zu einem Hilfsarbeiter. Sein erster architektonischer Wirkungsort ist Kolberg an der Ostsee, wo er das Rathaus nach Schinkels Entwürfen baut. Als er sein Studium mit Examen zum Landbaumeister beendet hatte, entstand nach seinen Plänen 1832 bis 1834 das Hauptgebäude der Universität Halle-Wittenberg.

Und jetzt kommt der zweite, wichtigste Karriereschritt: Köln. Der währte bis zu seinem zu frühen Ende seines Lebens. Mit 31 Jahren übernahm er als Nachfolger Friedrich Adolf Ahlerts am 14. August 1833 die Leitung der Arbeiten am Dom. Dem waren Bedenken voran gegangen. Würde er als Protestant im katholischen Köln Schwierigkeiten haben? Beworben hatte er sich um diese Tätigkeit nicht. Doch der Reiz dieser anspruchsvollen Tätigkeit und der Einfluss seines Lehrers Schinkel haben ihn motiviert. Er trat die Reise mit seiner jungen Frau Agnes Lehmann nach Köln an. Köln war seine staatliche Hauptaufgabe.

Für private Nebenaufgaben fand Zwirner später dennoch Zeit. In Remagen wollte ein Adliger sich verewigen. Franz Egon von Fürstenberg-Stammheim (1797-1859) wollte die Kirche aus dem 14. Jahrhundert durch einen Neubau ersetzen. Er gewann den inzwischen bekannten Baumeister Zwirner, der zwischen 1839 und 1843 die Apollinariskirche neogotisch errichtete, dessen innere Wandflächen von Vertretern des Nazarener-Stils ausgemalt worden sind.

In der vom Mittelalter begeisterten Zeit der Romantik ist der Kölner Dom zum Nationaldenkmal, ja zum Symbol für die nationale Einheit Deutschlands geworden. Seine Fertigstellung wurde zu einem nationalen Muss. Man hatte 1814 bis 1816 die mittelalterlichen Originalbaupläne gefunden. Viele prominente Persönlichkeiten wie Sulpiz Boisserée (1783-1854) und Joseph Görres u.a. haben beharrlich jahrelang dafür geworben.

Als Goethe das Straßburger Münster besichtig hatte, wird er von seiner bisherigen Kritik an der Gotik bekehrt. „Das ist deutsche Baukunst, unsere Baukunst!“ Ähnlich Friedrich Schlegel. 1840/41 wurde ein „Dombau-Verein Köln“ gegründet, dessen Ziel es war, den Dom zu erhalten und nach den alten Plänen fortzubauen und zu vollenden. Am 12. Januar 1842 ordnete der „Romantiker“ auf dem Königsthron Preußens, Friedrich Wilhelm IV. (er regierte von 1840 bis 1861), die Vollendung des Doms an. Bereits am 4. September 1842 legten der protestantische preußische König und der Koadjutor und spätere Erzbischof Johannes von Geissel den Grundstein zum Südportal und damit für den Weiterbau des Doms.

Dem Geheimen Regierungsrat Joseph von Eichendorf (1788-1857) wurde zunächst das Dezernat „Bau und Reparaturen am Dom zu Köln“ übertragen. Seit 1833 leitet Zwirner die Restaurierungsarbeiten. Die Handwerker werden dazu nach mittelalterlichem Vorbild in der ausgebauten Dombauhütte ausgebildet. Er organisiert alles im großen Stil. Sein einstiger Lehrer und jetziger Vorgesetzter Karl Friedrich Schinkel gibt ihm die nötige Rückendeckung: „gründliche Herstellung und Erhaltung des Gegenwärtigen sei ohne Fortbau nicht möglich.“ Aber als Schinkel die Kosten für das Projekt überschlägt, 1830, ist der Schreck groß: 1.977.850 Taler!

Doch jetzt blicken wir ins „sparsame preußische Nähkästchen der Finanzen“. Als Zwirner 1833 nach Köln kommt, offeriert ihm Schinkel ein karges Programm zur Erhaltung. Doch Zwirner legt ihm ein anderes Programm vor und kann ihn überzeugen: Ausbauprojekt. Die Reinschrift des Plans liegt in demselben Jahr vor. Als der Kronprinz Friedrich Wilhelm 1833 Köln besucht und ihm Zwirner sein Renovierungs- und Ausbauprojekt vorlegt, ist er freudig überrascht und vielleicht auch begeistert. Denn die königliche Kostenvorstellung – 20 Millionen Taler – war immens. Zwirner legt 1834 einen neuen Plan vor, welcher vorsieht, die Querhaus-Fassade in Anlehnung an Boisserées Domwerk als Dreiportalanlage mit reicher Verzierung zu gestalten.

Schinkel war dagegen. Er wollte keine Ornamente und Verzierungen. Zwirner war dafür. Schüler contra Lehrer. Ein immer wiederkehrendes Problem. Die künstlerischen und finanziellen Planungen gaben gemeinsam den Ausschlag für Zwirners Pläne. Per Kabinettsorder beschließt 1842 der König Friedrich Wilhelm IV., wie gesagt, den Fortbau und die Vollendung des Doms. Er feiert den Dom als „ein Werk des Brudersinnes aller Deutschen“, deutscher Einigkeit und Kraft, die die „Fremdherrschaft“ Napoleons gebrochen und die Schmach des Vaterlandes beendet habe.

Zwirner hält auch eine beachtliche, aber andere Rede. Dabei blicken wir auf seine Kunsttheorie. Beim Fortbau des Doms gehe es vor allem darum, „die widerstrebende Materie zu besiegen und die neuere Steinmetzkunst in den Geist und Charakter der alten hineinzuführen“, das heißt: die alten Techniken müssen neu eingeübt werden. Die Bewältigung der Materie durch den Geist, so sahen auch die romantischen Zeitgenossen und Heinrich Heine das Mittelalter. Doch Zwirners Kunsttheorie trägt auch deutlich den idealistischen Charakter wie den seines Lehrers Schinkel. Was heißt das? Motive der Erhabenheit steigen im Tempel zur Ehre Gottes an. Große Gebäude sprengen das sinnliche Fassungsvermögen. Wenn wir vor dem gewaltigen Dom stehen, mit seinen 157,38 m hohen Türmen und den gewaltigen Portalen, ergreift uns ein erhabenes Gefühl.

Immanuel Kant, der preußische Philosoph aus Königsberg, der nie in Köln oder Rom gewesen ist, schreibt: „das rührende Wohlgefallen ist das Gefühl des Erhabenen – die Vernunft mag erfassen, was den Sinnen nicht erfassbar ist.“ Der rührige Preuße Karl Friedrich Schinkel liebte die Renaissance, die ihre Geburt in Italien hatte. Der Gotik war er im Gegensatz zu Zwirner abhold. Die Erhabenheit ist jedoch für beide Architekten ein zentrales Thema ihrer Baukunst. Schinkel sagt: „Nur für den, der das Ewige schon in sich trägt, nicht aber für den bloß sinnlichen Menschen, kann vermittels der Kunst das Ewige und Göttliche dargestellt werden.“ Anbetung und Verehrung des Allmächtigen sind Bestimmungen des Gotteshauses schon beim Eintritt. Das ist für Zwirner und Schinkel wesentlich.

Beide Architekten waren ungeheure Arbeiter. Beiden sind nur etwa 60 Lebensjahre vergönnt gewesen. Seit 1842 wird unter Zwirners Leitung der Kölner Dom weitergebaut. Viele Fakten der Baugeschichte müssen wir uns hier ersparen. Doch nicht ein grundlegendes Faktum. Darauf hat die Dombaumeisterin und Professorin Barbara Schock-Werner (von 1999-2012) energisch verwiesen. Zwirner war der neuen Technik des Walz-Eisens gegenüber sehr aufgeschlossen. Als es um den Bau des Dachstuhls ging, pochten die Verfechter des traditionellen Holzbaumittels beharrlich auf diesen. Zwirner kämpfte hartnäckig und erfolgreich darum, dass die Dachstuhlträger aus Gusseisen zu fertigen seien. Er hat den Kampf gewonnen und damit im ZweitenWeltkrieg den Abbrand des Doms verhindert. Das war vor der ersten Dombaumeisterin wenig bekannt und betont worden.

Ein weiteres Verdienst dieser rührigen Dombaumeisterin führe ich hier an: den Streit um das Richter-Fenster.

Das wunderschöne Südportal Zwirners ist 1855 fertiggestellt worden. Unruhige Zeiten gingen diesem Datum aufgrund der revolutionären Unruhen 1848 ff. voran. Dennoch feierte man vom 14. bis 17. August 1848 die 600 Jahr-Feier der Grundsteinlegung. „Unter Gottes Beistand“ sind schon Zweidrittel der Arbeiten geleistet worden in den letzten Jahren seit 1842; und mit verdoppelten Kräften wird die große Lücke zwischen Hochchor und Türmen ausgefüllt werden – so Zwirner.

Dieses herrliche Südportal bekam in unserer Zeit neue Relevanz. Die Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner und der Dompropst bestanden die Auseinandersetzung mit Kardinal Meisner. Worum ging es? Das Südquerhausfenster sollte vom in Köln lebenden Künstler Gerhard Richter neu gestaltet werden aus unendlich vielen kleine Farbquadraten. Der Kardinal fand diese Kunst „entartet“ und wollte es unterbinden. Wie Zwirner den Kampf gegen die Traditionalisten, bestand Schock-Werner diesen Kampf. Das hat sie mit Stolz betont.

Ein weiteres Bauwerk Zwirners ist zuhöchst erstaunlich: die jüdische Synagoge in der Glockengasse. Der evangelische Baumeister baut für die jüdische Gemeinde das Gotteshaus, die Synagoge. Das muss man sich heute einmal in Ruhe vorstellen!

Nach dem stetigen Anwachsen der ältesten deutschen jüdischen Gemeinde in Köln im 19. Jahrhundert war das bestehende Gotteshaus in der Glockengasse zu klein. Eine ungeheure Spende des Kölner jüdischen Bankiers Abraham Oppenheim in Höhe von 600.000 Talern ermöglichte der Gemeinde den Bau einer neuen Synagoge. Ernst Friedrich Zwirner entwarf einen Bau im Maurischen Stil, der nach vierjähriger Bauzeit im August 1861 eingeweiht werden konnte.

Die äußere und innere Gestaltung sollte an die Blütezeit der jüdischen Kultur während der Maurenherrschaft im südlichen Spanien, in Andalusien erinnern. Daher hatte das Gebäude orientalische Minarette auf dem Turm, der mit einer mit glänzenden Kupferplatten bedeckten Kuppel ausgerüstet war. Die Fassade war aus hellem Sandstein mit roten Querstreifen. Die Ornamentik im Innern war der Alhambra in Granada nachempfunden. Die Säulen, welche die Empore trugen, waren aus Gusseisen, dem neuen Material, in dem Zwirner auch den Dachstuhl des Doms hatte bauen lassen.

1861 ist sein Todesjahr gewesen. Einen Monat nach der Synagogen-Einweihung und gut ein halbes Jahr nach dem Tode seines königlichen Gönners und Freundes Friedrich Wilhelm IV., dem sogenannten „Romantiker auf dem Thron“, der sehr fromm gewesen ist, starb Ernst Friedrich Zwirner mit erst 59 Jahren am 22. September 1861 infolge eines Herzschlags.

Sein Lehrer und Förderer Karl Friedrich Schinkel ist mit 60 Jahren schon 20 Jahre vorher, 1841, dem Tod erlegen. Der Kölner Dombaumeister Arnold Wolff, 1972 bis 1998, Vorgänger von Barbara Schock-Werner, hat 2008 den Briefwechsel von Sulpiz Boisserée mit Moller, Schinkel und Zwirner im Greven Verlag Köln herausgegeben und beschreibt in diesem hochinteressanten, kulturgeschichtlichen Buch die Freundschaften umfangreich und lebendig.

In der „Reichpogromnacht“ 1938 ging das herrliche Gebäude in der Glockengasse neben den anderen Synagogen in Köln in Flammen auf. Ein Kölner katholischer Christ, der Geistliche Gustav Meinertz, rettete die Torá-Schriftrolle vor dem Verbrennen in der schönen Synagoge. Diese fand in der nach dem Krieg wieder aufgebauten Synagoge in der Roonstraße einen Ehrenplatz in einer Glasvitrine.

Auf viele christliche und profane Gebäude Zwirners, die zu nennen wären, kann ich hier nicht eingehen. Wir blicken jetzt noch kurz auf sein Ende.

Unter riesiger Anteilnahme der Kölner Bevölkerung fand seine Bestattung auf dem Melaten-Friedhof (von „malade“, „krank“) statt, wo ab 1829 auch Protestanten begraben werden durften. Das schöne Ehrengrab mit Kopf-Medaillon wird „in Ehren“ gehalten (am 22. September 2011) war sein 150. Todestag). Ich zitiere zum Schluss den Text gr0ßen Grabsteins. An seiner Seite ist Jahrzehnte später seine Frau Agnes beigesetzt worden.

„Hier ruht an der Seite ihres Gatten unsere treue Mutter Frau Geh. Reg. u. Baurath Agnes Zwirner geb. Lehmann. Geb. Berlin 2. Nov. 1810 Gest. Köln 7. April 1893 1. Corinther 13.V.13.“

Ernst Friedrich Zwirner war der Großvater meiner Großmutter Agnes Engelhard, geborene Zwirner mütterlicherseits.

Eckhard Schendel