Lass diesen Kelch an mir vorübergehen. (Markus 14,36)
Oh nein, nicht das auch noch! Ich kann nicht mehr! Es reicht! Lass diesen Kelch an mir vorübergehen! – Diese Stoßseufzer lassen tiefe innere Not ahnen, verbunden mit dem Wunsch, davon verschont zu werden. Diese Worte sind uns durchaus vertraut und auch die damit einhergehenden Gefühle. Ursprünglich aber stammen sie aus dem Mund Jesu. Das verwundert vielleicht. Wir kennen Jesus als jemanden, bei dem viele Menschen Hilfe gesucht und gefunden haben. Hoffnung und Zukunft, das Leben hat er vielen geschenkt.
Nun ist sein Leben kurz vor dem Ende. Im Garten Gethsemane – nach dem Abschiedsmahl mit seinen Freunden und vor der Verhaftung – erleben wir ihn „am Boden“. Er weiß, dass er nicht mehr entkommen kann. Er beginnt zu beten, schüttet Gott sein Herz aus und fasst seine Angst in Worte: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen.“ Die Not, die Angst zerreißt ihn, darum legt er sie vor Gott ab. Vielleicht ist es das Letzte, was er angesichts der ausweglosen Situation tun kann. Und vielleicht ist genau dieses Gebet der erste Schritt zu einem neuen Weg.
Wie gut, dass Jesus diesen Weg gegangen ist, dass er Angst und Fragen kennt. Er wird nicht von uns erwarten, dass wir uns zusammenreißen. Er bietet einfach und still seine Nähe an. Er kann mit uns aushalten. Darum ist der Kelch nicht nur ein Sinnbild des Leidens, sondern auch des Lebens.
Ein Kelch steht fest auf seiner Basis – so wie wir fest mit beiden Beinen auf der Erde stehen. Seine Schale ist nach oben offen – so wie wir für Gott offen sein sollen. Der Kelch gibt uns ein Getränk zur Stärkung und Freude – so wie wir uns hingeben sollen, um das Leben in aller Fülle zu gewinnen.
Jesus war kein Superheld, nichts Menschliches war ihm fremd; und doch war er ganz offen für Gott. Er ließ sich anfüllen mit seiner Liebe und gab sie weiter an die Menschen in seiner Umgebung. Und auch unser Leben gleicht einem Kelch, gefüllt mit schönen und bitteren Stunden.
Der Kelch des Leidens kann zum Kelch des Lebens werden. Denn der, der tiefe Einsamkeit und Gottverlassenheit kennt, sagt: „Für dich vergossen. Ich erfülle dich mit neuem Leben und meiner Liebe. Ich durchdringe das Schwere und verwandle es.“
Und auch wir müssen keine Helden sein, sondern dürfen das Schwere ins Leben hineinnehmen im Vertrauen darauf, dass Gott uns auch durch schwierige Zeiten hindurch hilft. Jesus konnte am Ende des Gebetes sagen: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Ich wünsche uns Vertrauen und die Erfahrung von Geborgenheit in schwierigen Lebenslagen.
Karin Pahlke