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Dankbarkeit

Ich bin so… antriebslos, hat er gesagt, als er nach seinen Untersuchungen völlig geschafft in meinem Büro sitzt. Weißt Du, ich habe so gar keine Lust mehr… zu nichts… eigentlich noch nicht einmal zum Wegfahren. Und während er das sagt, schaut er mich ganz traurig an. Du kennst mich doch. Sonst mache ich doch auch mal ein paar Witzchen, schreibe etwas Lustiges, aber nichts. Geht nicht. Ich weiß nicht…

Beide schauen wir betröppelt aus der Wäsche, so hätte es meine Großmutter formuliert. Beide hängen wir unseren Gedanken nach, schweigen gemeinsam. Und dann sage ich, ja, das geht mir auch so. Alles ist im Moment irgendwie anders. Die Zeit rast ohne das wirklich etwas passiert. Ich fühle mich auch sehr angestrengt im Moment, die Zeit ist schwer.

Dass es auch Dir so geht?! – Das tröstet mich ein bisschen, höre ich.

Ja, ich glaube, es geht vielen im Moment so. Das Leben ist anstrengend geworden, alles, was man macht und plant, will überlegt sein, nichts ist mehr selbstverständlich. Vieles macht richtig Mühe, weil es unter neuen Bedingungen geschieht. Die Leichtigkeit fehlt. Das Unbeschwerte und auch manche Freude.

In meinem Losungskalender für junge Leute, der auf meinem Schreibtisch liegt, auch wenn ich nicht mehr ganz jung bin, findet sich zwei Tage später folgender Spruch, so als wenn Gott ahnen würde, wie es uns bzw. mir geht:

Sich freuen heißt Ausschau halten nach Gelegenheiten zur Dankbarkeit.

Diese Weisheit stammt von Karl Barth. Sie hilft, finde ich. Weil sie mich auffordert und nicht einfach den Gegebenheiten überlässt. Weil sie mich in Aktion ruft und nicht passiv alles ertragen lässt. Ausschau soll ich halten, aktiv wahrnehmen, was es alles zu entdecken gibt, nicht nur das Schwere und Drückende sehen.

Als ich mich darauf einlasse, verändert sich etwas. Es ist, als öffneten sich Türen oder auch Fenster. Die Welt wird wieder bunter. Und freundlicher. Und fröhlicher.

Plötzlich ploppen Situationen auf, die mich wirklich dankbar sein lassen.

Da war tatsächlich dieser Regen, der mich so gefreut hat. Die Natur hat – für mich hörbar – aufgeatmet.

Da sind diese Mengen an Stachelbeeren und Johannisbeeren, die ich pflücken konnte, die Gläser mit Marmelade und die Flaschen mit dem Sirup, die mich einfach freuen und schmecken.

Da waren die Gummibärchen, mit denen mein Mann mich überrascht hat, das Lob, das mich unerwartet getroffen hat.

Und während ich so in Gedanken an die vergangenen Tage denke, spüre ich, dass ich meinen Blick wieder weit machen möchte, die Dankbarkeit bei allem Schweren nicht vergessen möchte.

Friederike Seeliger