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Zuwendung ist das Wort der Stunde

Es soll also darum gehen, das, was ist, mit dem, was wir gewöhnt waren, in Verbindung zu bringen, zu betrachten und, wenn möglich, einzuschätzen. Also: Was „ist“ in der Zeit der Pandemie, der Corona-Krise?

Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern waren Feiertage wie noch nie. Die Kirchen waren leer. Aber es gab Gottesdienste. In den Fernsehsendern aus prominenten Kirchen und aus den Kirchen der Gemeinden mit gewohnten und ungewohnten Teilen, mit zusammengeschalteten Chorsängerinnen und Chorsängern, eingeblendeten Liedertexten und Predigten und liturgischen Teilen, die die Botschaft des Evangeliums mit der neuen Lage verknüpften.

Ich habe mehrere solcher Sendungen gesehen. Sie wahrscheinlich auch. Ich sehne mich nach einem Gottesdienst im Kirchenraum. Ich sehne mich nach gemeinsamem Hören, Gesang und Gebet.

Es gibt viele andere Formen von „Gottesdienst“ in diesen Tagen. Es gibt Pfarrer und Pfarrerinnen, die auf die Straße gehen, ein Instrument spielen und eine kurze Ansprache über Mikrofon und Lautsprecher zum Publikum bringen. Und das Publikum steht in gebotenem Abstand auf der Straße oder an den Fenstern, ist still, hört zu und ist dankbar für die Zuwendung. Vor dem Eingang zum Kirchenraum der Friedenskirche in Oberhausen-Sterkrade stand über die Ostertage ein Altartisch mit weißer Decke, Kerzen und Kreuz. Und der Gottesdienst wurde von dort aus, vor der Kirchentür gefeiert.

Und Zuwendung ist das Wort der Stunde. In der Ansprache des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier am Ostersamstag nach der Tagesschau war Zuwendung das zentrale Thema. Er dankte uns, der Gesellschaft und jedem einzelnen für die übergroße Achtsamkeit, Zuwendung und Hilfsbereitschaft, die allenthalten zu beobachten war und ist. Und das, was in der Gesellschaft stattfindet, gilt in besonderer Weise für die Hilfen, die die Gemeinden anbieten. Anrufe, von ehrenamtlichen Helfern ausgetragene Briefe und andere Informationen, die man im Briefkasten findet, ermuntern dazu, Bedürfnisse mitzuteilen. Das ist wunderbar zu erleben.

Ein Fazit: Die Internet-Auftritte beider Kirchen und der Gemeinden und die überwältigende Bereitschaft, dem „Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein!“ Geltung zu verschaffen, sind ein Zeichen dafür, dass das Evangelium nicht in Liturgie und Predigt begraben, sondern im Dienst am Nächsten lebendig ist.

Das ist neu und hebt sich vom Gewohnten ab. Die vorige Ausgabe des Gemeindespiegels, unseres Gemeindebriefs, hat sich mit dem Thema „Kreativität“ auseinandergesetzt. Kein Artikel dieses Gemeindespiegels hat das, was jetzt aktuell ist und was ich oben zu beschreiben versucht habe, zum Thema gemacht. Von „Kreativität“ war eher im „Innenraum“ der Kirche und der Gemeinde die Rede. Auch da ist Kreativität unverzichtbar. Aber muss sie nicht solche Formen annehmen, wie sie in Corona-Zeiten beobachtbar und erlebbar waren und sind?

In unserem Kirchenleben erinnert mich manches an Samuel Becketts Theaterstück „Warten auf Godot“. Das Warten der Personen auf dieser Bühne nimmt niemals ein Ende. So geht es mir mit den Reformationsgottesdiensten. Ich habe in meinem langen Leben schon viele dieser Gottesdienste erlebt. Immer war die Botschaft: Die Kirche ist nie „fertig“, sie ist immer eine Reformations-Kirche.

Ich habe allerdings nie die Fortsetzung dieses Votums erfahren, wohin konkret sich „die Kirche“, also wir, die Kirchen-Bürger, entwickeln oder entfalten soll und sollen. Wenn man sehr böse ist, kann man der Meinung sein, dass bei uns die Gefahr besteht, dass die Botschaft des Evangeliums: „Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein!“, dass diese Botschaft in unserem Bürger-Sein versickert.

Ein Beispiel dafür? Die „Welt“ sollten wir doch als „Schöpfung“ verstehen, die auf ungeheuer vielen Bereichen und durch ungeheuer viele Schutz-Aktionen erhalten werden muss. Sind wir dafür auf die Straße gegangen? Greta hat das für uns gemacht. Dafür sollten wir uns ein bisschen schämen. Nach dem Gottesdienst trinken wir noch ein Tässchen Kaffee, gehen dann nach Hause und genießen das wohl vorbereitete Sonntags-Mittagessen. Mit gutem, reinem Gewissen.

Ich sehne mich nach einem Gottesdienst im Kirchenraum mit anderen Menschen zusammen. Aber: Ich weiß, dass wir immer weniger werden. Ich weiß, dass immer mehr Kirchengebäude nicht mehr gebraucht werden. Ich weiß, dass ein Perspektivwechsel notwendig ist. Der aber betrifft nicht nur die Pfarrerinnen und Pfarrer und die Art und Weise, Gottesdienst zu feiern und „Werke“ zu tun, er betrifft uns alle. Nur wie?

Auf keinen Fall sollte die Botschaft verdünnt und common-sense-gerecht verdorben werden in Richtung „Ich bin so allein, Gott soll bei mir sein“. Wahrscheinlich ist es richtig, das Internet zu nutzen, dort mit der Botschaft präsent zu sein. Wir alle sollten verstehen, dass wir als Botschafter des Evangeliums erkennbar sein sollten. „Ihr seid das Salz der Erde.“ und „Ihr seid das Licht der Welt“. sagt Jesus im 5. Matthäus-Evangelium-Kapitel zu denen, die ihm nachfolgen (sollen). Also bleiben wir erkennbar im Dienst am Nächsten und im Dienst an der und für die Schöpfung. Wie? Das weiß ich nicht. Dafür gibt es auch kein Rezept, sondern nur Gelegenheiten.

Hans Erlinger

Ein Gedanke zu „Zuwendung ist das Wort der Stunde

  1. Sehr geehrter Herr Erlinger, ich lebe und wohne in Ihrer früheren Heimatgemeinde, war Presbyterin und bin, obwohl hochaltrig, immer noch aktiv am Gemeindeleben interessiert. Mein Wunsch ist, dass mehr Menschen ihre Fähigkeiten und Begabungen im Gemeindeleben einbringen und sich nicht „diskret“ zurückhalten. Vielen Dank auch für die immer wieder sehr guten und anregenden Artikel im Gemeindespiegel. – Bleiben Sie behütet und gesund.

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