Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. (2. Timotheus 1,7)
Ich hatte mich so auf unseren Urlaub gefreut, geradezu darauf hin gefiebert hatte ich und plötzlich hat sich alles ganz falsch angefühlt, so als dürfe das Schöne gar nicht sein angesichts des Chaos, das nun in der Welt herrscht.
Als wir am 12. März in den Flieger steigen, ist die Welt zwar schon nicht mehr so ruhig wie sonst, aber für uns war sie noch in Ordnung – dachten wir. Als wir auf Fuerteventura landen, unser Gepäck im Mietwagen verstauen, das Flughafengelände verlassen und auf der Straße fahren, die vertrauten Lavahänge sehen, da stupse ich Frank an, lache und sage: Mensch, ich bin schon erholt! In mir war so viel Freude, so viel Lust die nächsten Tage zu genießen, so viel Dankbarkeit, dass wir weggekommen waren, unbeschreiblich.
Im Hotel an der Rezeption steht die Frau, die uns die letzten Jahre immer in Empfang genommen hat, alles schien wie immer, ruckzuck sind wir aufs Zimmer geeilt, ab in den Speisesaal und dann auch direkt an den Strand. Nur mal eben schauen, ob noch alles so ist wie gehabt. Laufen, gucken, ah, die Streifenhörnchen sind noch da, hier fehlt Sand, da ist jetzt mehr, ins Wasser springen, frei sein wie ein Fisch im Wasser…
Glück. Dankbarkeit. Auftanken. Als wir am nächsten Tag nachmittags nach Jandia fahren, ist die Stimmung um uns herum schon schlechter. Aus verschiedenen Lautsprechern tönt es uns entgegen: Zahlen gestiegen, weltweit Krise… Verkäuferinnen tragen Handschuhe, Unbeschwertheit ist nicht zu spüren. Wir gehen wieder. Fahren zurück ins Hotel.
Am nächsten Tag können wir noch einmal einen Zipfel vom Paradies ergattern. Wir fahren durchs Landesinnere auf die andere Seite, machen einen langen Spaziergang an der Küste entlang, haben kein Internet aber das Rauschen der Wellen, hören keine Nachrichten, genießen die Sonne, sind uns unseres Glückes voll bewusst.
Jetzt, im Nachhinein denke ich, wir haben uns etwas geklaut, haben noch genossen, während andere schon längst bangten, waren frei, während andere schon nicht mehr durften und doch war es genau der Tag, von dem wir noch am allerlängsten zehrten, denn mit aller Freiheit war am Sonntagmittag Schluss.
Spanischer Alarm – und ja, alles und alle sind in Alarmbereitschaft, nichts ist mehr, wie es eben noch war, niemand darf mehr raus, es sei denn, er oder sie hat triftige Gründe. Wir sind mitten hineingeraten. Ab sofort heißt es, dass wir das Hotel nicht mehr verlassen dürfen, lediglich auf dem hoteleigenen Außengelände dürfen wir um den Pool spazieren.
Dazwischen erreicht mich dann auch die Nachricht, dass ich, wenn ich wieder nach Hause komme, meine Schwester im Heim nicht mehr besuchen darf. Wie soll die das verstehen, überlege ich. Jemand, für den immer nur der Augenblick zählt, der ständig vom Vergessen heimgesucht wird, wird sie mich jetzt auch vergessen?!
Und ich spüre ganz deutlich, dass wirklich alles anders ist, dass das, was bisher getragen hat, nicht mehr funktioniert. Nichts von: in der Not rückt man zusammen, nichts von: ich halt dich mal fest, nehme dich mal in den Arm, sondern räumliche Entfernung ist angesagt, auf Abstand gehen.
Das ist mir besonders arg, als ich mich von dem alten Ehepaar verabschieden muss, das wir seit drei Jahren dort treffen. Sie reisen eher ab als geplant, die alte Dame beginnt zu weinen, als wir uns zum Abschied zu winken. Keiner von uns weiß, ob wir uns wiedersehen. Das kann man nie wissen, aber in dieser Situation ist uns besonders bewusst, dass es ein Abschied für immer sein kann.
Was aber seltsamerweise auch gilt, ist ein Satz meines Vaters, den er mal zu mir gesagt hat, als es mir arg schlecht ging: In Krisenzeiten hält man nicht auf einem Außenposten durch.
Das scheint nun wirklich eine Wahrheit zu sein, die gilt. Denn sofort ist in allen Medien von der großen Rückholaktion der Urlauber die Rede. Und noch etwas lerne ich in dieser Zeit: Auch wenn wir im Hotel alle eigentlich nichts miteinander zu tun haben, mittlerweile sogar aus fünf verschiedenen Hotels stammen, die alle in eins verlegt wurden: Alle versuchen sich irgendwie – meist mit dem nötigen räumlichen Abstand – zu helfen, Informationen werden weitergegeben, irgendwie wird doch einander beigestanden, so unreal sich alles anfühlt.
Ich bin wieder hier – regulär gelandet, kann das alles noch immer nicht begreifen. Versuche Kontaktmöglichkeiten zu finden, erfinderisch zu sein, das auf-mich-selbst-Geworfensein auch als solches zu erfassen, versuche, wie dieser Maulwurf Frederik, mich von den gesammelten schönen Eindrücken, Bildern, Erlebnissen zu ernähren, versuche wirklich zu lernen, dass alles seine Zeit hat,
dass dieser Schrecken gerade herrscht, er aber eben genau so vergänglich ist, wie auch alles andere, wie auch das Schöne, das ich erleben darf, ich versuche zu erkennen, dass es trotz dieses Schreckens auch immer noch Schönes gibt,
ich halte an dem Wissen fest, dass Liebe einen tragen kann, Gottes Liebe mich, meine Liebe aber auch die anderen;
und ich versuche mich immer wieder zu erden, Ruhe zu suchen in all dieser Aufregung, zu beten und Gott zu bitten.
Und das alles möchte ich in dem Vertrauen tun, dass Gott uns nicht gegeben hat den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Amen.
Friederike Seeliger
Auch diese Andacht von F.S spricht mich wieder sehr an! Mit solcher Art, über den Glauben nachzudenken, kann ich sehr viel anfangen ! Keine frommen Worthülsen oder verniedlichender Trost, sondern Kost auch für wache und kritische Christ*innen! Danke!