O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ist geboren: Freue, freue dich, o Christenheit! (Strophe 1: Johannes Daniel Falk 1816; Strophe 2 und 3: Heinrich Holzschuher 1829; Evangelisches Gesangbuch Nr. 44)
Viele freuen sich schon auf die kommenden Wochen. Endlich wieder Zeit, um die schönen Advents- und Weihnachtslieder zu singen. Zuhause, in der Kita, im Chor, im Gottesdienst… Andere stöhnen bereits jetzt: „Alle Jahre wieder“ dieselben Lieder, diese Dauerberieselung auf den Weihnachtsmärkten; ich kann es nicht mehr hören. Eins dieser Lieder hat einen besonderen Stand. Es ist aus den meisten Weihnachtsgottesdiensten nicht mehr wegzudenken. Landauf, landab wird es jedes Jahr gesungen: „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ist geboren: Freue, freue dich, o Christenheit!“
Merk-würdig: „gnadenbringende Weihnachtszeit!“
Da bringt jemand Gnade. Etwas, das wir mehr brauchen als alles andere. In unserer Gesellschaft beobachten wir einen gnadenlosen Umgang miteinander: Ein nicht ganz optimales Foto, eine unglückliche Bemerkung – und ein Shitstorm bricht los. Menschen werden erbarmungslos fertigmacht. Und wie sehr gehen wir mit uns selbst hart ins Gericht: „Wie siehst Du wiederaus! Zu dick, zu dünn, zu langweilig …“ – „Wie konnte Dir nur das passieren! Du bist einfach ein Versager…“
Gnadenlos rechnen wir mit uns ab. Erst recht, wenn wir eine fatale Entscheidung getroffen haben, oder etwas nicht gelungen ist, obwohl wir uns so viel Mühegegeben haben. Wie sehr bräuchten wir Gnade – und erleben sie oft nicht. Im Kontrast dazu steht die Botschaft vom Heiligenabend: gnadenbringende Weihnachtszeit! Gott rechnet nicht mit uns ab. Die Weihnachtszeit kündet von einem Gott, der in Jesus Christus Gnade bringt. Zuneigung, Wertschätzung, Liebe. „An Weihnachten ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen“ (Titus 2,11). Sie erscheint, weil wir Gnade dringend nötig haben. Weil wir Rettung brauchen. Auch davon singt „O du fröhliche“:
Merk-würdig: „Welt ging verloren“
Bei „verloren“ denke ich an meinen Schlüsselbund, den ich nicht finde; er ist nicht da, wo er hingehört. Oder mir kommt die letzte Fortbildung in den Sinn, wo einer der Teilnehmer oft ganz „verloren“ herumstand, weil er keinen Kontakt zu den anderen Kolleginnen und Kollegen aufbauen konnte. Und auch das fällt mir bei „verloren“ ein: Weihnachtsmarkt in Köln – Gewusel ohne Ende. Dann die Durchsage: „Die kleine Sabrina ist verloren gegangen“. Es folgte die Beschreibung von Größe, Kleidung und die Bitte, sich am Infostand zu melden, wenn jemand das Mädchen gesehen hat. Was für ein Fest, wenn die Eltern nach bangem Suchen ihre Tochter wieder in die Arme schließen können. Was hätte nicht alles passieren können… sie ist wieder da, gerettet.
Was verloren ist, muss gesucht und gefunden werden. Wenn jemand, ohne Kontakt, verloren für sich alleine herumsteht, dann muss jemand anderes kommen und ihn bzw. sie ansprechen – und denjenigen, diejenige wieder mithineinnehmen in die Gemeinschaft. Gott kommt an Weihnachten, um den Gesprächsfaden mit Ihnen und mir wiederaufzunehmen. Gott leidet darunter, dass Menschen den Kontakt zu ihm abgebrochen haben. Obwohl das doch unseren innersten Kern ausmacht: dass wir geschaffen sind, um in einer herzlichen, fröhlichen und verantwortlichen Beziehung mit Gott zu leben.
Aber wir glauben Gott nicht, dass er es gut meint. Misstrauen ist eingezogen, Menschen gehen auf Abstand zu Gott. Und stehen verloren herum. Sie sind nicht da, wo sie hingehören. Gott in seiner Liebe geht ihnen hinterher, sucht sie, nimmt neu Kontakt auf. Weihnachten ist die große Suchaktion Gottes. An Weihnachten ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen. „Sie erscheint, um uns selig zu machen, um uns zu retten“ (Titus 3, 4+5).
Merk-Würdig: „o du selige Weihnchtszeit“
„Selig“ ist das dritte merk-würdige Wort: „o du selige Weihnachtszeit!“ Man könnte auch sagen „glücklich“. Jesus kommt als Mensch, wird einer wie wir, damit wir Gott seine Liebe glauben. In einer seiner bekanntesten Rede sagt er (Matthäus 11,28): „Kommt her zu mir, alle, die ihr euch müht selig zu werden; bei mir findet euer Leben Erfüllung.“ Bei Jesus kommt die Sehnsucht nach Glück zur Ruhe. Durch Jesus sind wir endlich wieder da, wo wir hingehören. An Gottes Seite, in seine Nähe. Unser Schmerz über Misslungenes und fatale Fehlentscheidungen erfährt Trost. Bei Gott erfahren wir Gnade, Vergebung und können immer wieder neu anfangen.
Lars Linder