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Seid Akteure des Glaubens – und nicht nur Zuschauer!

Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. (Matthäus 28,18-20)

Holsterhausen, ein Essener Stadtteil südwestlich der Innenstadt. Ich besuche eine junge Familie, die ihre Tochter taufen lassen möchte. Wir sprechen über einen möglichen Ablauf des Gottesdienstes. Meine Idee: Mag jemand von Ihnen einen Text aus der Bibel lesen?

Wir blättern in der Bibel und landen im Matthäusevangelium, Kapitel 28, Verse 16 bis 20. In der Lutherbibel steht fettgedruckt „Missionsbefehl“ darüber. Bei dieser Überschrift schreckt der Vater zurück: „Missionsbefehl“ – seine Stirn zieht sich in Falten – das hört sich streng an. Tatsächlich, so erkläre ich, ist die Überschrift erst später dazugekommen. Und vielleicht gibt diese Überschrift dem Text eine falsche Note. Deshalb lade ich Sie ein, diesen Text heute noch einmal neu zu entdecken.

Diese Verse, sie stehen am Ende der Geschichte Jesu von Nazareth. Berufung von Jüngern, Bergpredigt, Heilung, Kreuzigung und Auferstehung liegen hinter uns. Jesus begegnet seinen Jüngern erneut und spricht: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum geht hin und machet zu Jüngern alle Völker…“

Der Text prägte als „Missionsbefehl“ unsere heutigen Kirchen. Dabei geht es um das, was für die einen Irritation, für die anderen ein Hoffnungswort ist. Es geht um Mission, ein hoch komplexes Feld, das nach wie vor alte Zerrbilder hervorruft von gnadenlosen Kolonialherren und Glaubenseiferern, die über Leichen gehen. Mit seiner absoluten Formulierung ist der Missionsbefehl am Elend der christlichen Missionen nicht ganz unbeteiligt.

Und es gibt auch das Hoffnungswort „Mission“: selbstlose und bescheidene Pioniere, engagierte Zupacker, die sich um Leib und Seele kümmern. Von ihrem Gott Begeisterte, die leidenschaftlich zu ihm einladen. Die als Ärztinnen, Lehrer, Krankenschwestern, Bauern, Ingenieure Not lindern. Und mit Wort und Tat von der wichtigsten Erfahrung ihres Lebens berichten. In großer ökumenischer Überzeugung stellen der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog, der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) und die Weltweite Evangelische Allianz (WEA) fest (2011):

„Mission gehört zutiefst zum Wesen der Kirche. Darum ist es für jeden Christen und jede Christin unverzichtbar, Gottes Wort zu verkündigen und seinen/ihren Glauben in der Welt zu bezeugen. Es ist jedoch wichtig, dass dies im Einklang mit den Prinzipien des Evangeliums geschieht, in uneingeschränktem Respekt vor und Liebe zu allen Menschen.“

In diesem Sinn versuchen wir, den Text heute in einer anderen Tonart zu hören.

Es ist die Sendung Gottes, um die es hier geht. Wenn wir das auf den konkreten Dienst der Kirche beziehen, heißt das: Gott braucht seine Kirche, er braucht uns, Sie und mich, um sein Anliegen in der Welt sichtbar werden zu lassen. Indem wir:

Erstens: Wahrnehmungsfähig sind: Wer bist du? Wo kommst du her? Wer hat dich geprägt?

Zweitens: Hörfähig sind: Das kostet Mühe, weil wir meistens unsere eigenen Geschichten erzählen wollen. Zuhören zu können, ist vielleicht die elementarste Fähigkeit der Mission.

Drittens: Auskunftsfähig sind: Wir müssen lernen von unserer Hoffnung zu reden. Was ist denn unser einziger Trost im Leben und im Sterben? Wie sagen wir es unseren Kindern? Wie können wir mit den Menschen reden, die ihre Hoffnung in nationaler Selbstbestimmung sehen? Wie können wir mit denen reden, die alle Hoffnung auf die Kraft des Geldes setzen?

Liebe Schwestern und Brüder, Sie merken, da werden unsere Verse lebendig – da entsteht Resonanz, da beginnt etwas zu schwingen…

Ein Gedanke des Theologen Helmut Gollwitzer kommt mir in den Sinn: das Reich Gott ist nichts für Zuschauer! Wir können uns nicht hinsetzen und beobachten, wie das passiert, was Gott mit der Welt vorhat. Wir werden direkt angesprochen, wahrzunehmen, zuzuhören und Auskunft zu geben.

Leider endet das Evangelium mit diesen Versen. Es liegt an uns, wie wir diese Verse in unsere Zeit übersetzen. Schaut euch um in dieser Welt, nehmt wahr, was zu tun ist, sprecht mit den Menschen und zieht eure Schlüsse daraus. Nicht als Zuschauer, sondern als Akteure – so höre ich Gottes Stimme.

Die Sendung Gottes, die Mission – sie geschieht ja in unserer Stadt. Wenn die Bahnhofsmission einen wohnungslosen Jugendlichen zum Raum 58, einem kirchlichen Obdach für junge Menschen, begleitet. Wenn die Gefängnisseelsorge Menschen auch im Erleben schwerer Schuld nicht allein lässt. Wenn nach einem Verkehrsunfall auf der A40 eine Notfallseelsorgerin den schweren Weg zum Hausbesuch antritt. Wenn Bibel TV über das Medium „Fernsehen“ das Evangelium ins Gespräch bringt – und das seit 17 Jahren!

Angesichts der Herausforderungen unserer Welt stehen wir gemeinsam vor der Aufgabe, das Leben auf unserem Planeten für alle Menschen in Würde zu ermöglichen. Um dieser Mission gerecht zu werden, müssen wir nicht dasselbe glauben, aber gemeinsam handeln – jede und jeder mit den eigenen Fähigkeiten. Die Taufe mit Wasser auf den Namen des dreieinigen Gottes ist die Tradition, in der wir gelernt haben, unseren Glauben weiterzugeben. Die Mission Gottes jedoch ist vielfältig in ihren Formen und Wegen. In allem erwarten wir, dass Gott auch heute Glauben wecken will – manchmal auf sehr ungewohnten Wegen.

Um Gottes Willen gilt es, das Evangelium von seiner heilsamen Nähe in Jesus Christus in die unterschiedlichen Lebenswelten und sozialen Kontexte hineinzutragen und zu leben. Dorthin zu gehen, wo die Menschen leben, und mit ihnen das Evangelium und so auch die Kirche neu entdecken. Damit Gottes Gegenwart am Wohnort und im Urlaub, im Gottesdienst und im Krankenhaus, auf dem Pilgerweg und in den Milieus der jungen Erwachsenen erlebt werden kann. „Geht hin und machet zu Jüngern alle Völker!“ Die Kirchenferne ist es doch, die uns als Christen gemeinsam geistlich und geistig herausfordert.

An der Sendung, am Reich Gottes mitzuarbeiten, ist dabei keineswegs nur Aufgabe von Geistlichen, sei es im schwarzen Talar, im Bischofsgewand oder mit Regenbogenschal. An der Sendung Gottes mitzuarbeiten, ist ein Auftrag für alle Christen. Liebe Schwestern und Brüder, was gibt es Schöneres, als der Einladung Gottes zu folgen – und Gott ist so frei, dass er auf unsere Mitarbeit nicht verzichten will.

Amen und Halleluja!

Marion Greve

Predigt von Superintendentin Marion Greve im Ökumenischen Dankgottesdienst anlässlich des 17. Geburtstags des Fernsehsenders „Bibel TV“ am 28. September 2019 in der Essener Domkirche.