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Der Mensch denkt und Gott lenkt

„Naaa… was möchtest du denn mal werden?“ fragt die ältere Dame und tätschelt dem kleinen Jungen die Wange. „Lokomotivführer!“ strahlt er. So war das damals zu Zeiten von Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer. Anno 1960.

Ja, damals musste man sich bei der Berufswahl auch oft noch nach den Wünschen der Eltern richten. Heute ist der Traumberuf des Lokomotivführers mit einer viel umfangreicheren Ausbildung verbunden. Heute – im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung – ist die Welt viel kleiner geworden und die Auswahl der Berufe viel größer und komplexer.

Aber auch wenn man die Chance hat, die Ausbildung zu seinem Traumberuf machen zu können, stellt sich so manches Mal heraus, dass dies nicht die richtige Entscheidung war, weil die eigenen Fähigkeiten doch auf einem anderen Gebiet liegen. Dann kann man sich auch umentscheiden, ist letztendlich viel zufriedener und sagt dankbar: „Gut, dass Gott gelenkt hat!“

Mein größter Wunsch nach dem Abitur 1968 war es, Kinderpsychologie zu studieren. Leider hatten meine Eltern nicht die Mittel, um mir das Studium zu ermöglichen. Stattdessen musste ich – wie meine ältere Schwester – eine Ausbildung zur Auslandskorrespondentin in Englisch und Französisch machen. Ein Praktikum, das ich direkt nach dem Abitur bei einer großen Warenhauskette gemacht hatte, ließ mich hoffen, auch nach bestandener Prüfung bei derselben Firma einen guten Job zu bekommen. Doch dieser Traum hatte ein jähes Ende. Eine Sehnenscheidenentzündung am rechten Arm! Das geht gar nicht! Denn Stenografie und Schreibmaschine gehörten damals unbedingt zum Beruf der Auslandskorrespondentin. Was nun?

Gott war mir gnädig. Ich erhielt das Angebot, in derselben Schule als Lehrerin zu arbeiten. Ich nahm an, allerdings mit der Voraussetzung zusätzlich noch meinen Wirtschaftsübersetzer zu machen, um meinen zukünftigen Schülern mit mehr Wissen begegnen zu können. Fehlanzeige! Ich wurde sofort ins kalte Wasser geworfen, habe nie eine Weiterbildung machen dürfen und mir in nächtelanger Kleinarbeit wissenstechnisch immer selbst einen Vorsprung herausgearbeitet. Trotz der von mir empfundenen Defizite hatte ich Erfolg.

Viel später erst wurde mir klar: Gott hatte meine Fähigkeiten kombiniert. Und die Arbeit als Sprachlehrerin in Gruppenkursen, Firmenkursen und mit Privatschülern machte mir dann auch trotz äußerst ungünstiger Arbeitszeiten (morgens von 9 bis 13 Uhr – Pause – weiter von 16 bis 22 Uhr) so richtig Spaß. Doch als ich – beeinflusst durch die Komplimente eines Privatschülers – übermütig wurde und noch neben dem Beruf Romanistik und Pädagogik in Bochum studieren wollte, scheiterte ich kläglich. Den Lebensunterhalt zu verdienen im Vollzeitberuf und zu studieren – das ging total daneben.

Also zurück auf den Boden der Tatsachen und die Dinge nehmen, wie sie sind. Denn es ist tatsächlich so: Der Mensch denkt und Gott lenkt!

Nach drei Jahren Tätigkeit an einer Sprachschule tauchte plötzlich ein Mann in meinem Unterricht auf, der sehr, sehr aufmerksam zuhörte, fleißig lernte und sich offenbar in den Kopf gesetzt hatte, einen lebenslangen Vertrag mit seiner Englischlehrerin zu unterschreiben. 1975 wurde geheiratet, und damit begann ein neuer Lebensabschnitt als Ehefrau eines Einkäufers.

Wir bekamen zwei Kinder und meine Mutter musste gepflegt werden. 15 Jahre lang. Es war eine äußerst intensive, sehr verantwortungsvolle Phase meines Lebens mit 100prozentigem Einsatz, stets von einem schlechten Gewissen begleitet, weil ich nicht wusste, wem ich zuerst gerecht werden sollte. Ich fühlte mich jedoch nicht ausgefüllt. Ich liebe es, zu unterrichten. Deshalb begann ich im Freundeskreis Nachhilfeunterricht zu geben und engagierte mich auf Wunsch meiner Tochter Nina auch als Vorsitzende in der Elternpflegschaft in Ninas Klasse.

Von einem Nachhilfekurs in der Kirche wollte Gott allerdings nichts wissen. Und heute weiß ich auch, warum. Nicht das, was ich will, ist relevant, sondern Gottes Wille ist entscheidend. ER weiß, wo meine Fähigkeiten liegen und ER setzt sie dort ein, wo ER es für richtig hält. Seit ich in mich hineinhorche und von IHM leiten lasse, bin ich glücklich und zufrieden.

Loslassen eigener Vorstellungen, im Gebet auf Gottes Wort hören, flexibel sein und annehmen, was kommt. All das ist ein langer und oft schmerzhafter Entwicklungsprozess im Leben eines Menschen. Wer den Sinn darin erkennt, fühlt sich beschenkt.

Irene Hechtl