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Kirche und Kunst sind nicht zu trennen

Kirche und Kunst sind untrennbar miteinander verbunden. Woran liegt das? „Kirche“ gäbe es nicht ohne die Präsentation ihrer Botschaft in der Welt. Und das beginnt mit den Gebäuden. Welche Botschaft verkünden die großen gotischen Kathedralen? Und welche Nachricht will eine kleine barocke Dorfkirche vermitteln? Wie sprechen Ort, Gestalt und Raum unserer Apostelkirche zu uns, und wie die der Stiepeler Dorfkirche?

Der Kölner Dom als gotisches Beispiel macht mich klein. „Du bist“, sagt der Dom zu mir, „ein Christlein, ein unscheinbarer christlicher Wanderer und Sucher unter dem hohen Himmel eines gewaltigen Gottes. Komm in den Dom, hier bist du klein, aber sicher. Gott ist groß.“ Die kleine, hell ausgemalte barocke Dorfkirche im bayerischen Schwaben erzählt Geschichten. Setz dich und schau auf die Wände und an die Decke, da sind Geschichten, die du kennst und in denen du vorkommst. Das Sonnenlicht im Kirchenraum ist ein Symbol für Gottes behütende Klarheit. Fühl dich geborgen und schützend wahrgenommen.

Und was vermittelt uns unsere Apostelkirche? Es ist eine Kirche an der Straße, nicht weit vom Markt und der A 40. Daneben ist das Apostelhaus. Daneben ist ein Café. Daneben ist der Kunstraum der Notkirche. Unsere Apostelkirche ist eine Stadtteilkirche, eine einladende, eine „komm-herein-Kirche“ mit niedriger Schwelle, eigentlich eine Alltagskirche, die vermittelt, dass die Botschaft nichts ist ohne die Menschen im Stadtviertel, denen sie gebracht werden soll. Und auch der Kirchenraum ist bestimmt von diesem Gemeinschaftserlebnis. Der Raum ist quadratisch und nicht sehr groß, das Lese- und Predigtpult ist nah bei den Menschen. Die Kirche, so sehe ich das, ist eine Gemeinschaftskirche, eine Wort- und Hörkirche.

Die Stiepeler Dorfkirche südlich von Bochum ist uralt. Sie symbolisiert die Dauer des Christentums in unserer Region. Sie sagt uns, dass wir trotz aller Entwicklungen in unserer Zeit gewiss sein können, dass Gott auf dieser Welt gegenwärtig sein und bleiben wird. In Ehrfurcht fühlen wir uns denen verbunden, die über die Jahrhunderte hindurch hier auf Gottes Wort gehört haben. Und wir fühlen uns in dieser bergenden Tradition mit Gottes Wort verbunden.

Kirchen – und zum Beispiel auch die Museen von Daniel Liebeskind – sind Ausdruck der Botschaft, für die sie „stehen“. Kirchen-Gebäude und -Räume sind niemals stumm. Kunstvoll und mächtig formen sie unsere Einstellung zu der Botschaft, für die sie „stehen“. Ohne dass wir das merken.

Und wie sieht es aus mit der Botschaft des Evangeliums in der (bildenden) Kunst, in der Malerei und der Bildhauerei?

Wie oft mag wohl die Kreuzigung gemalt worden sein? Oder die Geburt Christi? Oder das letzte Abendmahl? Wie oft können wir irgendwo in der Welt den Apostel Paulus betrachten? Oder einen der Heiligen? Jeder von uns kennt Kunstwerke, die eine gewaltige Ausdruckskraft haben, von Rembrandt, von Michelangelo, von Botticelli oder von Leonardo da Vinci. Der Vater, der in Rembrandts Bild den verlorenen Sohn hält, hat Vater- und Mutterhände. Michelangelos Pieta in der Peterskirche in Rom zeigt eine junge Mutter Maria mit ihrem toten, fast nackten Sohn auf dem Schoß. Eine Skulptur unendlicher Trauer und großen Stolzes über diesen Sohn. Ein Skandal bei der Enthüllung.

Die Engel von Botticelli sind Mädchen oder Kinder mit Flügeln, die die Botschaft in unsere Nachbarschaft versetzen. Und das Abendmahl von Leonardo zeigt uns die ganz Einsamkeit Jesu in der Mitte seiner Jünger und die Dramatik der Beunruhigung bei den Jüngern selbst über die Ankündigung, dass einer von ihnen Jesus verraten wird. „Herr, bin ich´s?“, fragen die Jünger in Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion. Und die Antwort durch den und in dem Choral, der sich an die Frage anschließt: „Ich bin`s, ich sollte büßen an Händen und an Füßen gebunden in der Höll.“ Das ist Kirche und Kunst.

Kirche und Kunst sind nicht zu trennen. Die Architektur, die Formung und Interpretation von Gebäuden, gehört zur bildenden Kunst wie Malerei und Grafik. All diese Künste drücken auf ihre Weise Verständnisweisen des Evangeliums aus, Auslegungen der Botschaft, die die Menschen in ihrem Alltag erreichen soll. Ohne diese Kunst um das Evangelium herum wäre die Welt, wären wir, unendlich ärmer.

Hans Erlinger