Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. (Johannes 20,21)
Plötzlich ist alles anders. Jetzt gibt es ein „Davor“ und ein „Danach“. Jetzt ist „Danach“.
Maria ist am Grab gewesen. Das Grab ist leer. Keine Erinnerung mehr greifbar an das, was einmal gewesen ist. Dann ist Jesus Maria begegnet, aber er ist da und doch nicht da. Unnahbar. Es ist anders als früher. Nichts ist mehr „beim Alten“. Abends treffen sich die Menschen, die Jesus ganz nah gewesen waren, hinter verschlossener Tür. Plötzlich ist Jesus wieder bei ihnen. Diesmal hören sie ganz deutlich einen Gruß und einen Auftrag. Jesus Christus spricht: „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden erlasst, dem sind sie erlassen; wem ihr sie behaltet, dem sind sie behalten.“
Was für eine Macht, was für eine Verantwortung, die Jesus da seinen Freunden überträgt! Und was für eine Aufgabe! Es geht ums Ganze: um Gerechtigkeit vor Gott. Der Auftrag trifft sie mitten ins Mark. Die Ereignisse der vergangenen Tage sitzen ihnen noch in den Knochen: Die Jünger haben das Unrecht, das Jesus angetan worden ist, hautnah mitbekommen. Jetzt haben sie es selber mit der Angst zu tun. Dieses Unrecht erschüttert sie zutiefst. In ihre Angst hinein hören sie: „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Johannes 20,21).
Friede sei mit euch! Wie sollten sie Frieden schließen trotz dem oder gerade mit dem, was da passiert ist? „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Der Spruch für den Monat April trifft mitten hinein in unsere Zeit um Ostern.
Mitten hinein auch in Ereignisse, die unser eigenes Leben gründlich auf den Kopf stellen. Manche Erlebnisse bleiben jahrelang oder sogar ein Leben lang in Erinnerung. Wenn wir zum Beispiel selbst Gewalt erleben oder miterleben mussten, fremde Menschen bei einem Einbruch in unserer Wohnung waren, wenn wir selbst oder Menschen, die uns nahe sind, durch einen Unfall schwer verletzt werden, oder wenn uns ein Mensch tief enttäuscht, dem wir vertraut hatten. Scherben aus Glas lassen sich zusammen kehren, Scherben der Seele lassen sich nicht so leicht weg fegen.
Auch für uns gibt es nach solchen Erlebnissen ein „Davor“ und ein „Danach“. Jetzt ist „Danach“. Verstehen können wir das, was „Dazwischen“ passiert ist oft erst mal gar nicht. Wie konnte jemand uns oder unseren Lieben so etwas antun? Die Entscheidung zu vergeben oder nicht zu vergeben ist uns überlassen, so wie Jesus sie seinen Jüngern übertragen hat. Sie ist und bleibt höchst persönlich. Niemand kann und darf sie uns abnehmen oder uns dafür bewerten.
Das „Danach“ kann sein wie ein dunkles Loch: „Ich fühle mich, als wäre ich lebendig begraben!“, hat es ein Mann formuliert. Das, was in diesem dunklen Loch passiert, ist das Entscheidende. Die Ostergeschichte der Bibel schenkt uns Hoffnung: denn Jesus überträgt seinen Jüngern nicht allein die Entscheidung Sünden zu vergeben oder zu belassen. Sondern: Jesus sagt vorab: „Empfangt den Heiligen Geist!“ Die Freunde Jesu bekommen ein Geschenk. Etwas Göttliches ist in ihnen drin, wie die Luft, die wir einatmen oder das Blut, das durch unsere Adern fließt.
Wenn sich Gott so tief und innig mit uns Menschen verbindet, dann bedeutet das: es muss nicht, aber es kann eine Verwandlung stattfinden. Mitten in der Dunkelheit. Nichts, das wir ganz alleine leisten können oder müssen. Eine Verwandlung, die uns geschenkt ist. Für die wir uns aber selbst bereit machen können: verschaffen wir uns Klarheit über das, was passiert ist. Ein erster Schritt kann sein, dass wir für uns aufschreiben, was da passiert ist und wie es uns jetzt gerade damit geht. Oder, dass wir uns einem anderen Menschen anvertrauen. Dass wir gut für uns sorgen und uns die Hilfe holen, die wir brauchen. Oder dass wir andere Menschen kennen lernen, die Ähnliches erlebt haben.
Grundlage dafür ist, dass wir uns selbst und unsere Gefühle und Bedürfnisse ernst nehmen. Denn bevor wir Frieden mit anderen Menschen schließen, schließen wir Frieden mit uns selbst. Für dieses Geschenk Gottes öffnen wir uns, in dem wir auf uns selbst hören und für unseren Frieden beten. Frieden bekommen wir nur geschenkt. Er ist der Nährboden für das zarte Pflänzchen, das Vergebung heißt.
Und die Verwandlung? Eine Verwandlung ist ganz persönlich. „Verwandlung“ kann heißen, dass wir in unserem Leben neue Prioritäten setzen: was ist mir wirklich wichtig? Welcher Mensch liegt mir am Herzen und wer weniger? Wofür setze ich meine Kraft und Zeit ein?
Es gibt Menschen, die sich gerade wegen ihrer Erlebnisse ehrenamtlich engagieren. Sie bringen ihre Erfahrungen aktiv ein, um andere in ähnlichen Situationen zu unterstützen. Es kann ein Geschenk sein, neue Fähigkeiten und Möglichkeiten an und für sich selbst zu entdecken und zu entwickeln. Lassen wir uns verwandeln! Ostern schenkt uns neue Hoffnung. Mit der österlichen Hoffnung wird das „Danach“, in dem wir jetzt leben, zum neuen „Davor“. Seien wir gespannt auf das Neue!
Alice Lorber