Denn Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn. (Philipper 1,21)
Es gibt Menschen, die wachsen in schweren und ausgesprochen schwierigen Zeiten über sich hinaus und berühren dann sozusagen den Himmel. Ein schöneres Bild ist mir jetzt nicht eingefallen, aber ich möchte es Ihnen auch gern erklären: Ich begleite zurzeit Herrn O. Kennengelernt haben wir uns im vergangenen Jahr, irgendwann im Sommer. Er rief mich an, wollte nur reden, hat er gesagt und klang etwas atemlos dabei.
Als Pfarrerin ist man dann aber auch auf alles vorbereitet. Wir haben uns getroffen und geredet. Viel geredet. Er hat erzählt und ich habe erst einmal zugehört, nachgefragt, mit ihm überlegt. Was war passiert? Er war ins Krankenhaus gekommen, weil es ihm nicht so gut ging und wurde auf den Kopf gestellt und gefunden hat man eine Tumorerkrankung. Wie Ärzte dann so sind, hatten die auch schon einen Plan im Kopf, wie es für ihn weitergehen könne. Diese und jene Therapie wollten sie mit ihm machen, er solle gleich da bleiben und sich ganz in ihre Hände begeben.
Und er? Er wirkte auf mich zunächst grummelig, dann auch unsicher und vor allem abwehrend. Das alles wollte er gar nicht. Es war alles zu viel und vielleicht war es ja auch der Wille Gottes, dass er das jetzt aushalten müsse. Wir haben viel geredet, das tun wir noch immer, und wir schreiben uns jetzt auch. Und wenn ich ihm jetzt begegne oder von ihm lese, dann geht mein Herz auf.
Herr O. hat sich eingelassen – eingelassen auf alle Therapien, die die Ärzte für ihn bereithalten. Und Herr O. hat losgelassen – er hat alle seine Sorgen und Nöte losgelassen, sie auf Gott geworfen. Das war jetzt nichts, was über Nacht ging. Es hat Zeit gebraucht und war wahrscheinlich auch nicht nur einfach. Aber ich glaube, die meiste Zeit ist es wirklich so. Er sagt mir immer wieder, dass ihn mindestens zwei Texte jetzt begleiten: Das Lied „Befiehl du deine Wege“ (Evangelisches Gesangbuch Nr. 361) und der Bibelvers „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch“ (1. Petrus 5,7).
Und Herr O. ist in dieser Zeit gewachsen. Aufrecht steht er nun vor einem, strahlt mich immer an, wenn wir uns sehen, wir teilen viel miteinander und ich lerne von ihm. Lerne das Lassen, das Loslassen meiner Sorgen – gelingt mir noch nicht immer – und das absolute Vertrauen auf Gott. Darin ist er mir Vorbild: er muss nicht mehr machen, er lässt Gott machen und vertraut darauf, dass es gut wird. Gut wird, egal, wie es ausgeht.
Und in diesem Vertrauen, finde ich, berührt er jetzt schon ein bisschen den Himmel. Und ein bisschen fühlt er sich auch schon wie ihm Himmel, oder im Paradies, denn – und das bringt ein richtiges Leuchten in sein Gesicht: seit er alles in Gottes Hand gelegt hat, bekommt er viel geschenkt. Es sei unglaublich, was ihm alles passiert.
Ein Mensch zwischen Himmel und Erde, ganz in Gottes Hand. Ein Mensch wie Sie und ich, einer von uns. Nicht herausragend und doch besonders.
Warum ich Ihnen diese Geschichte erzähle? Weil er ein bisschen etwas von Paulus hat, finde ich jedenfalls. Auch Paulus scheint in einer ausweglosen Situation, auch ihm sind die Hände gebunden und auch er setzt sein ganzes Vertrauen auf Gott. Aber hören Sie selbst, aus dem Brief des Paulus an die Philipper, im 1. Kapitel, die Verse 12-21:
Ich lasse euch aber wissen, Brüder und Schwestern: Wie es um mich steht, das ist zur größeren Förderung des Evangeliums geschehen. Denn dass ich meine Fesseln für Christus trage, das ist im ganzen Prätorium und bei allen andern offenbar geworden, und die meisten Brüder in dem Herrn haben durch meine Gefangenschaft Zuversicht gewonnen und sind umso kühner geworden, das Wort zu reden ohne Scheu.
Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber auch in guter Absicht: diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege; jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft.
Was tut’s aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber. Aber ich werde mich auch weiterhin freuen; denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi, wie ich sehnlich erwarte und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn.
Starke Sätze, die Paulus da an seine Gemeinde schreibt, in einer Situation, die manchen verzweifeln lassen würde. Denn Paulus sitzt ja nicht aus Spaß im Gefängnis. Vermutlich hat man ihn wegen seines Glaubens festgenommen, vielleicht hat er die damals geforderte Ehrbezeugung dem Kaiser gegenüber verweigert, vielleicht hatte es auch andere Gründe.
Tatsache ist, dass er mit allem rechnen muss. Freigelassen zu werden – das wäre schön; weiter festzusitzen – das wäre vielleicht auszuhalten, da er ja offensichtlich Kontakte nach draußen pflegen durfte; oder aber auch das Ganze mit seinem Leben zu bezahlen, also hingerichtet zu werden.
Aber egal, was passiert: Paulus hat keine Angst! Er freut sich daran, dass das Evangelium weiter verkündigt wird und da sind ihm die Motive auch völlig gleichgültig, also ob es einer für sich selbst tut, um gut dazustehen, irgendwelche Lorbeeren zu ernten oder ihn zu ärgern – oder um Christi willen. Hauptsache, so verstehe ich Paulus, Hauptsache, das Evangelium wird lauter verkündigt.
Aber das wirklich Entscheidende in seiner Situation: Er fühlt sich getragen. Paulus spürt, weiß oder setzt voraus, dass seine Gemeinde ihn im Gebet trägt, und er spürt den Beistand Gottes. Und ich glaube, deshalb ist es ihm auch möglich, ganz entspannt dort gefangen zu sitzen, nicht zu wissen, wie es weiter geht, ob er noch einmal mit dem Leben davon kommt oder eben nicht. Ja, Paulus geht so weit, dass er sogar sagen kann: Denn Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn. Sterben als Gewinn deshalb, weil er dann seinem Herrn ganz nah ist.
Auch Paulus, ein Mensch zwischen Himmel und Erde, dem Himmel ganz nah, ganz in Gottes Hand.
Und genau da sind sich mein Herr O. und Paulus ähnlich – und da war es mir wichtig, mal jemanden als Vorbild zu nehmen, der nicht so gewaltig daherkommt, wie es Paulus sonst tut, weil man dann vielleicht denkt: das schafft man ja nie. Nein, Herr O. ist wie wir und wie Paulus und eben doch besonders.
Aber er und Paulus: Sie setzen alles auf Gott. Sie setzen ihr ganzes Vertrauen auf ihn und gehen davon aus, dass er es wohl machen wird. Dass er einen Plan für sie hat und dass der gut ist, auch wenn sie es nicht durchschauen. Der Herr löset die Gefangenen – diesen Vers aus Psalm 147 hat Herr O. mir die Tage noch geschickt, um zu bekräftigen, welche Kraft, welche Wohltaten er erlebt, seit er sich ganz auf Gott verlässt, einlässt, ihm vertraut.
Auch ihm wird Leid zur Freude. Seine Therapien, sie schwächen ihn und trotzdem erlebt er durch das ganze Drumherum, durch die Menschen, die sich kümmern, durch seine Familie so viel Rückhalt und so viel Geschenk, dass er eben wachsen kann.
Wie es ausgehen wird für ihn? Das weiß er so wenig wie Paulus, aber ich bin sicher, auch er würde den Satz von Paulus sagen können:
Denn Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn.
Ich möchte gern noch leben, Herr O. will das auch, das hat er mir gesagt – und Sie alle, hoffe ich, auch, aber ich will das Vertrauen lernen, will lernen von Herrn O. und von Paulus, dass ich alle Sorge auf Gott werfen darf, dass er sich für mich sorgt, dass ich im Leben und im Sterben ihm vertrauen kann, denn er lässt mich nicht los.
Amen.
Friederike Seeliger
Liebe Frau Seeliger, ihr Beitrag hat mich zutiefst berührt, danke. Soviel Gottvertrauen in so einer Situation ist ein Geschenk und ich hoffe, das mir das auch geschenkt wird, sollte es mir mal wirklich schlecht gehen. Um soviel kleiner sind meine kleinen Probleme des Alltags und ich werde mich zukünftig gerne an ihren Beitrag erinnern und Gottvertrauen haben. Hoffentlich gelingt es mir.
Liebe Frau Raßmann, vielen Dank für Ihren Kommentar. Es geht mir so ähnlich wie Ihnen. Auch ich hoffe und bete, dass ich immer so vertrauensvoll nach vorne schauen kann und werde wie Herr O.es tut. Und in der Tat gehe auch ich oft ganz demütig nach meiner Arbeit nach Hause weil ich spüre, wie gut es mir eigentlich geht. Gott behüte Sie, Friederike Seeliger.
Liebe Friederike.
ich befinde mich selbst in einer auswegslosen Situation durch Krankheit. Dieser Beitrag über Herrn O. hat mich sehr berührt und zeigt mir, wie sehr Herr O. durch Vertrauen auf Gott und auch auf die Ärzte seine Ängste verloren hat und voller Mut in die Zukunft blickt, egal, was passiert. Das ist sehr schön, solche positiven Beispiele auch einmal zu erfahren, gerade in unserer heutigen Welt. Ich danke Dir für diesen Sonntagsbeitrag, der mir sehr gut gefallen hat. Es ist schön und tröstlich zu lesen, dass es Menschen gibt, die ihre anfängliche Hoffnungslosigkeit doch noch in positive Gedanken umlenken können, dadurch dass sie von Gott u n d der Familie und den Menschen um sie herum getragen werden. Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag!
Liebe Frau Frommhold-Sperling, von Herzen wünsche ich Ihnen viele Menschen an die Seite, die Sie begleiten, stärken und stützen und einfach auch mit aushalten, was Sie erleben und vielleicht auch erleiden müssen. Gott behüte Sie. Friederike Seeliger
Liebe Friederike, danke für diese schönen und gehaltvollen Worte!
LG Anke
Danke Dir! Liebe Grüße, Friederike.