Unverwundbar sein – keine Schwäche zeigen. Es ist diese Haltung, die gegenwärtig Regierende wie Putin, Erdogan und Trump demonstrieren. Eine Konzentration auf vermeintliche Stärke und Macht, auf Verteidigung, Mauern und Grenzen. Nur ja keine Schwäche zeigen, keine Unsicherheit zugeben.
Diese Haltung der vermeintlichen Unverwundbarkeit ist es, die mich in diesem Jahr im Zugehen auf das Osterfest beschäftigt. Ein Fest, das darin seine lebensspendende Kraft findet, dass es die Verletzlichkeit, das Leiden, die wunden Punkte im Leben, nicht ausblendet.
Die Leidensgeschichte Jesu Christi, wie sie in den Evangelien erzählt wird, stellt die Verwundbarkeit in den Mittelpunkt. Sieben Wochen lang, von Aschermittwoch bis zum Ostersonntagmorgen, erinnern wir Christinnen und Christen diesen schweren Weg Jesu. Die einzelnen Stationen erzählen davon, dass Gott um unsere Verletzlichkeit, um unsere Erfahrungen von Krankheit, von Tod und Abschied weiß. Mehr noch: Er hat all unsere menschlichen Grenzerfahrungen selbst erlebt. Er steht an unserer Seite und weint mit uns, wenn wir traurig sind.
Gottes Stärke liegt nicht in der Unverwundbarkeit, sondern in der Annahme von Ohnmacht und Schwäche. Er ist ein Gott, der mit-leidet, dem Schmerzen nicht fremd sind. Diesem verwundbaren Gott – dem kann ich glauben. Er nimmt meine eigenen Todeserfahrungen ernst. Ihn weiß ich an meiner Seite, wenn ich tieftraurig und fassungslos vor dem viel zu frühen Tod eines lieben Kollegen stehe – oder wenn Verzweiflung mich zu ersticken droht und ich mich wie tot fühle.
Der verwundbare Gott – was für ein heilsames Gegenbild zur vermeintlichen Stärke und Machtdemonstration vieler Regierender unserer Zeit.
Mit diesem verwundbaren Gott wage ich mich Schritt für Schritt auf Ostern zu, denn mich beeindruckt, wie Gott dennoch aufgestanden ist für das Leben. Sein Sohn Jesus Christus hat über alle Schranken hinweg gelebt: Mit den Menschen gegessen, mit denen sonst niemand aß. Er ist zu denen gegangen, die von allen anderen längst abgeschrieben waren. Er hat mit ihnen gelacht, geweint und sie einbezogen. Heute würden wir sagen: integriert. So hat Jesus den Tod mitten im Leben besiegt. Aber es lag nicht an ihm allein. Denn die Menschen ließen sich von ihm anstecken, erzählten weiter von ihm. Nicht nur von dem, wie er lebte, sondern davon wie er auferstanden ist. Mit Jesu Auferstehung hat Gott den Menschen gezeigt, dass Hoffnung auf ihn niemals vergeblich ist.
Diejenigen, die Jesus begegneten, spürten intensive Momente eines neuen Lebens. Mitten in der eigenen Verwundbarkeit eine Art Vorgeschmack, auf das, was möglich ist. Ein Vorgeschmack, der neugierig macht und hoffen lässt auf das, was am Ende des Lebens einmal kommen wird.
Diesem Gott, der „dennoch“ auferstanden ist für das Leben – dem will ich glauben. An Gott glauben, das ist hoffen. Hoffen darauf, dass mein Leben Sinn ergibt – mit all meinem Schmerz. Und ich auferstehe und meine Wunden heilen. Mit Gottes Hilfe.
Marion Greve