Dieser Beitrag wurde 1.833 mal aufgerufen

Worte, die wörtlich wahr sind – oder gar nicht

Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. (Matthäus 18,20)

Es gibt Worte, die sagt man so dahin, man hält sie für richtig, aber ohne viel darüber nachzudenken, man kennt sie einfach. Manchmal haben Konfirmanden mich bei solchen Antworten ertappt, und dann konnte es sein, dass einer fragte: „In echt?“ Und er meinte damit: „Wie wörtlich nimmst du das, was du uns da sagst? Wie wörtlich nimmst du beispielsweise den Satz, den du gerade vorgelesen hast? Ist Jesus WIRKLICH unter uns?“

Jugendliche haben einfach ein Gespür dafür, dass es Worte gibt, die man wörtlich nehmen muss, oder sie sind nichts wert. Und sie sehen und hören bei uns Erwachsenen nur zu gut, wie oft wir sagen: „Ja, das glaube ich, aber manchmal fällt es mir auch schwer, das zu glauben. Denn dann denke ich, wenn er wirklich hier wäre, dann müsste doch so vieles anders sein. Und vor allem bei mir müsste sich doch etwas ändern.“ Es gibt Sätze, die kann man nur wörtlich nehmen. Oder was würden Sie von einem Jungen halten, der zu seinem Mädchen sagt: „Ich liebe dich, aber nimm das bitte nicht wörtlich!“

Der Schweizer Pfarrer Kurt Marti erzählt eine Geschichte von einem, der die Worte des Abendmahls verblüffend wörtlich genommen hat: An einem Sonntag in seinem Gottesdienst sieht er einen vor sich in der ersten Bank sitzen, den er noch nie hier gesehen hat. Seltsam fremd wirkt er in der Gemeinde. Ein wenig abgerissen sieht er aus, aber gleichzeitig auf eine Weise auch würdevoll. Nein, er stört nicht. Der Pfarrer hatte da schon seine Befürchtungen.

Der Gottesdienst schließt mit dem Abendmahl. Und alle haben sich schon gesetzt, da tritt der Fremde vor. Der Pfarrer reicht ihm, wie allen anderen zuvor, ein Stück Brot. Er nimmt es, aber er bleibt stehen, geht nicht zur anderen Seite, wo der Vikar steht, der den Wein austeilt. Der Fremde bleibt stehen und sagt: „Noch mehr, alles!“ Leise flüstert ihm der Pfarrer zu: „Nachher, bei mir zu Hause.“ Aber der Fremde lächelt nur und schüttelt den Kopf, dann nimmt er sich selbst den Kelch, nimmt ihn in beide Hände und trinkt ihn aus. Dann faltet er die Hände und bleibt einen Moment stehen. Dann lächelt er dem Pfarrer freundlich zu und geht hinaus.

Ich weiß nicht, ob sich die Gemeinde nach dem Gottesdienst über diesen seltsamen Fremden aufgeregt hat. Der Pfarrer jedenfalls tat es nicht. Nein, dieser Mann hatte sich wirklich nicht über das Abendmahl lustig machen wollen. Er hatte wirklichen Hunger und wirklichen Durst. Aber einen ganz eigenen Hunger und ganz eigenen Durst. Einen, den man nicht bei Tisch im Pfarrhaus oder im Gemeindesaal stillen kann. Einen Hunger nicht auf irgendein Brot, sondern auf dieses Brot, von dem gesagt wird „Sehet und schmecket, wie freundlich der Herr ist“. Er hatte Hunger nach dem Brot, das ihn schmecken lässt: Einer ist da, der mich nicht verachtet – einer ist da, der mich nicht nach dem Misserfolg meines Lebens beurteilt.

Ach, was wissen wir schon über den, der daneben steht beim Abendmahl, über seinen ganz besonderen Hunger?

In der Auferstehungskirche steht im großen dreiteiligen Fenster der Feierkirche geschrieben: „Ich bin das Brot des Lebens.“ Haben wir solchen HUNGER danach, dass es uns um unser LEBEN geht?

Unser Herr hat den Fremden und uns an seinen Tisch geladen, damit wir hören dürfen was er selbst, Jesus, zu sagen hat – und damit wir es schmecken und sehen: „Ihm bin ich viel wert, mehr als sein Leben.“ Ja, er ist wirklich und wörtlich unter uns, mitten unter uns. Es gibt Worte, die sind WÖRTLICH WAHR oder sie sind gar nichts.

Pfarrer Götz-Otto Kreitz