Dieser Beitrag wurde 2.657 mal aufgerufen

Eine lebendige Quelle, die nie versiegt

Ich weiß, dass du der Brunn der Gnad und ewge Quelle bist. (Paul Gerhardt, EG 324)

Die Ferienzeit ist da – für viele eine Zeit, um mal auszuspannen, Zeit zu verreisen, Zeit, um neue Kraft zu schöpfen. „Kraft schöpfen“ – in diesen Worten steckt eine alte Erfahrung: Wenn man erschöpft und durstig ist, vielleicht nach einem langen Fußmarsch, da gibt es wohl nichts Köstlicheres als einen tiefen Brunnen, an dem man rastet und aus dem man frisches Wasser schöpfen kann. Den Durst gestillt, die Füße gekühlt, so kommt auch langsam die Kraft zurück und man kann den Weg fortsetzen. Vielleicht stoßen Sie ja in ihrem Urlaub auf einen schönen Brunnen, wenn Sie in den Bergen wandern sind?

Brunnen gibt es bei uns ja leider immer seltener. Wir müssen uns nicht mehr auf den Weg machen, uns anstrengen, wenn wir Wasser brauchen. Wir drehen nur noch den Wasserhahn auf. Wenn wir dann aber doch mal vor einem Brunnen stehen, sind wir meist skeptisch, ob es sich tatsächlich um Trinkwasser handelt, wenn kein Schild uns besonders darauf hinweist. Sauberes, klares Wasser ist kostbar geworden.

Früher war ein Brunnen der wichtigste und zentrale Ort im Dorf. An ihm fand das Leben statt. Das ist bis heute noch so in Ländern, in denen das lebenspendende Element Wasser ein knappes und wertvolles Gut ist. Am Brunnen kommen Menschen und Tiere zusammen. Sie stillen ihren Durst und man begegnet einander, tauscht Neuigkeiten aus, tätigt wichtige Geschäfte, ja manchmal schmiedet man sogar Heiratspläne. Davon erzählen auch noch einige Geschichten der Bibel.

Für die Menschen damals lag es nahe, das Bild der Quelle frischen Wassers, das für das Leben steht, auch mit Gott in Verbindung zu bringen.

Ich will nur einige Beispiele aus den Psalmen nennen: Bei Gott ist die Quelle des Lebens (Psalm 36). Er lässt Quellen und Bäche hervorbrechen (Psalm 74). Wie ein Hirte führt er uns zum frischen Wasser (Psalm 23).

Was diese alten Psalmlieder besingen setzte sich aber auch weiter fort in den späteren Kirchenliedern. So heißt es z.B. in einem Choral von Paul Gerhardt: Ich weiß, dass du der Brunn der Gnad und ewge Quelle bist.

Hier wird der Brunnen sogar zu einem Bild für Gott selbst.

Der Brunnen ein Bild für Gott. So stelle ich ihn mir vor: Er ist aus schweren Steinen gemauert, tief ins Erdreich hinein gegraben. Und wenn man hineinschaut, kann man kaum den mit Wasser gefüllten Boden sehen, so dunkel und tief ist der Schacht. Doch wenn das Licht in einem bestimmten Winkel steht, dann kann ich sogar mein Spiegelbild weit unten auf der Wasseroberfläche erkennen.

Der Brunnen ist wie Gott: lebenspendend und erhaltend, aber auch tief, manchmal dunkel und unergründlich. In den Dürrezeiten unseres Lebens, da fühlen wir uns wie ausgelaugt und vom Lebensquell abgeschnitten. Wir sehnen uns nach Zuwendung, Wertschätzung und Liebe. Wir dürsten nach dem, was unser Leben erfüllt, was unsere Seele erquickt. Wir suchen nach einem Brunnen, der unserem Leben wieder Tiefe gibt. Gott ist die tiefste Quelle des Lebens.

Bei Gott, an seinem Brunnenrand können wir rasten, aufatmen, eine Pause machen, von all den täglichen Ansprüchen, Anforderungen und auch den eigenen Selbstüberforderungen.

Vielleicht beginnen wir ein Gespräch und schauen hinab auf die ruhige, glitzernde Oberfläche des Wassers. Je länger und tiefer wir in das Wasser schauen, umso mehr kann es sein, dass wir uns selbst erkennen und vielleicht auch die Antworten auf all unsere Fragen. Wir sehen uns als die, die wir in Gottes Augen sind: seine geliebten Geschöpfe. Wir müssen nicht erst etwas aus uns machen, bei ihm dürfen wir einfach sein, wie wir sind. Denn Gott, der uns das Leben geschenkt hat, kennt uns besser als jeder andere. Aus ihm strömt uns zu, was uns am Leben erhält und neue Kraft gibt.

Nicht nur für die Ferienzeit, auch im Alltag wünsche ich Ihnen immer wieder Gelegenheiten, sich an diesen Brunnenrand zu setzen und Kraft zu schöpfen aus der lebendigen Quelle, die nie versiegt.

Susanne Gutjahr-Maurer