Meine Stärke und mein Lied ist Gott, er ist für mich zum Retter geworden. (Exodus 15,2)
Gott, meine Stärke, Gott, mein Retter. Das sind bekannte, oft gehörte, immer noch wertvolle Beschreibungen Gottes. Gott, mein Lied? Das ist neu. Gott, mein Gesang? „Also ich kann ja nicht singen. Bin schon in der Grundschule aus dem Chor geflogen. Treffe keinen Ton.“
Beim Singen ist es wichtig, sich aufzurichten, am Besten gar, sich hinzustellen: Frei dastehen, aufrecht zwischen Himmel und Erde. Beim Singen ist es wichtig, gut zu atmen: Tief in mich hinein strömt die Luft. Oder der Lebensodem – ein altes, sehr schönes Wort. Beim Singen kommt der Körper in Schwingungen: Töne kommen aus dem Mund, aus der Kehle, aus dem Herzen, vielleicht sogar aus der Seele. Singen heißt, gerade und frei zwischen Himmel und Erde zu stehen, den geschenkten Atem in mich aufzunehmen und ihn mit einer Melodie wieder in die Schöpfung zu schicken.
„Schön! Aber ich kann ja nicht singen.“ Man muss weder bei einer Castingshow dabei sein noch in klassischen Chören Bachchoräle darbieten – aber singen? Ich finde wirklich: Singen muss man einfach. Kleine Kinder tun das von selbst – und kaum werden wir älter, fängt das ärgerliche Vergleichen an und so mancher verstummt. Wie schade!
Singen, wenn ich mich freue: Vielleicht kann ich sogar dabei hüpfen oder tanzen – vielleicht summe ich leise vor mich hin. Aber die Welt ist an manchen Tagen zu schön, um nicht gelobt zu werden.
Singen, wenn ich mich ärgere: Keine sanften Töne, sondern am liebsten laute, vielleicht von Bässen oder Schlagzeug begleitet. An manchen Tagen ist die Welt zu enttäuschend, um schweigend hingenommen zu werden.
Singen, wenn ich traurig bin: Vielleicht bleibt mir der erste Ton noch in der Kehle stecken, aber dann kommen Melodien – manchmal klagend, manchmal anklagend. An manchen Tagen ist die Welt so trostlos, dass ich sie einfach nicht still ertrage.
Singen, wenn ich Angst habe: Gegen Dunkelheiten singen. Und Unausweichlichkeiten. Vielleicht kann ich euch nicht ändern – aber ich kann gegen euch ansingen.
Und ich singe, weil ich verliebt bin, weil ich mich auf meine Enkelkinder freue, weil mir eine Melodie nicht aus dem Sinn geht, weil ich mich erinnere – weil ich bin.
„Nein wirklich, ich kann nicht singen. Ich höre ja gerne zu, aber mehr ist nicht drin.“ Und doch bist auch Du als Gottes geliebtes Kind zwischen Himmel und Erde. Und darfst aufrecht da sein. Du darfst Lebensodem in Dich aufnehmen, immer wieder, ganz von allein, ganz selbstverständlich und bist so mit Gott verbunden. Und Dein Körper klingt wieder in Gottes Schöpfungsmelodie.
All das ist Singen. Ist ein Lebenslied. All das gibt Kraft und rettet aus so mancher Not. Also hab nur Mut: Singe laut – die Welt ist so groß!
Heidrun Viehweg