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Wer um Trost bittet, macht sich verdächtig | Andächtiges zur Jahreslosung #2

Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. (Jesaja 66,13)

Wer nach Trost verlangt oder um Trost bittet, macht sich verdächtig: Er erweckt den Eindruck, dem Leben nicht gewachsen zu sein. „Selbst ist der Mann, selbst ist die Frau“ ist die Maxime unserer Welt – und wir haben gelernt, dass wir unser Leben anpacken, es gestalten dürfen und müssen.

Die Begriffsgeschichte des Trostes ist damit auch die Geschichte eines Niedergangs. Dieser begann damit, dass die Gemeinschaft der Menschen immer weniger betont und der Einzelne zum Hauptverantwortlichen für sein Seelenheil erklärt wurde. Genau diese Bewegung hat auch den Trostbegriff ergriffen: von der Beziehung zur Vereinzelung. Für den Trost sind mindestens zwei Personen notwendig: der zu Tröstende und der Tröster. Mehr und mehr wird aber heute betont, dass ein Mensch mit seinem Schmerz und Leid allein fertig werden muss.

Selbst am Grab steht man inzwischen lieber allein und bittet, von Beileidsbekundungen abzusehen. Abstand, nicht Beistand ist erwünscht.

Es scheint fast so, als ob wir uns davor fürchten, getröstet zu werden. Zwar dürften wir uns dann schwach zeigen, die Fassung verlieren, den Gefühlen freien Lauf lassen und unsere Angewiesenheit auf den Tröster aushalten und genießen. Aber genau dies passt nicht in das Bild des modernen „Selfmade-Menschen“.

Auf der anderen Seite bestätigen Alltagsbeobachtungen den Eindruck: wer jemanden tröstet, steht häufig im Verdacht, keine wirkliche Hilfe leisten zu können. Mancher Trost klingt sehr nach „Vertröstung“ und „billigem Trost“. Hilflose Versuche, tröstende Worte zu finden, verlieren sich in Floskeln wie: „Das wird schon wieder“, „das Leben geht weiter“, „Kopf hoch“. Das ist schnell dahin gesagt, hilft dem trostbedürftigen Menschen aber nicht wirklich. Vielmehr dient es eher dazu, dass der „Tröster“ sich von dem leidenden Mensch und dessen Situation distanziert.

Vertröstung versucht, das Leiden im Hier und Jetzt zu mindern, ohne seinen Ursachen nachzuspüren. Der Theologe und Religionspädagoge Fulbert Steffensky schreibt zum Thema Trost: „Menschen, die in Not sind, die Sorgen und Schmerzen aushalten müssen, brauchen Begleiter, die mit ihnen aushalten… Einen Menschen trösten heißt, ihn bedürftig sein zu lassen; ihn weinen zu lassen; ihn kleiner sein zu lassen als er ist.“

Auch die Freunde Hiobs erweisen sich in den Nöten, die Hiob getroffen haben, zunächst als sehr gute Tröster. Sie kommen zu Hiob, weichen nicht aus, meiden ihn nicht, sondern nähern sich ihrem Freund. Sie gehen nicht auf Distanz, fühlen sich ein in die Untröstlichkeit der Situation und begleiten ihn schweigend. leider ist diese emphatische Trosthaltung der Freunde nur eine Momentaufnahme. Als sie Hiob mit Worten helfen wollen verkommt ihr gutgemeinter Trost zu einem billigen Trost, zu Belehrung und schließlich zur Anschuldigung.

Spätestens hier stellt sich die Frage: Gibt es Trost heutzutage nicht mehr? Sind mit dem Niedergang des Begriffes Trost auch das Bewusstsein um seinen Inhalt und seine Praxis verlorengegangen? Braucht der moderne Mensch wirklich keinen Trost mehr? Kann er vielleicht gar nicht mehr getröstet werden – ist er „untröstlich“? Oder ist es anders: Müssen wir das Trösten wieder lernen?

Die Abwesenheit von Trost ist etwas Alltägliches, fast Banales. Interessant ist allerdings, wie leicht sie sich gedanklich korrigieren lässt. Im Grunde weiß jeder, wie man es besser macht. Es ist eine Frage des Takts. Formuliert hat das Freiherr von Knigge bereits im Jahr 1790: „Suche ihn (den Kummervollen) aufzurichten, zu trösten, mit Hoffnung zu erfüllen, Balsam in seine Wunde zu gießen, und wenn du seine Last nicht erleichtern kannst, so hilf wenigstens tragen und weine eine brüderliche Träne mit ihm.“

Trost ist also so etwas wie solidarische Zuwendung, die Leiden mindern soll, indem man sich auf den Leidenden konzentriert und nicht auf die Ursache des Leids. Es geht um den Menschen, der eine persönliche Not oder Schmerz erleidet. Dieser braucht die Nähe eines anderen Menschen, der ihn begleitet, aushält, ihm zuhört und mitgeht.

Trösten und Mitfühlen sind wesentliche Faktoren des menschlichen Zusammenlebens. Trost signalisiert: Ich sehe, dass es dir schlecht geht – ich möchte dir dabei helfen, deine Trauer zu bewältigen. Kinder, die in ihrem Kummer liebevoll angenommen und getröstet werden, wachsen mit dem Gefühl emotionaler Sicherheit auf und sind viel offener für die Bedürfnisse anderer.

Wenn jedoch nicht auf ihre Trauer eingegangen wird und diese immer wieder ignoriert oder kleingeredet wird, werden Kinder lernen, ihre Gefühle zu unterdrücken. Und diese fehlenden Gefühlsregungen werden sie in ihr Denken übernehmen und anderen Menschen ebenso gegenübertreten.

Wie entsteht Trost? Was sind die Voraussetzungen, damit wir trösten können?

Zum Trösten gehört die Fähigkeit zur Empathie, zum Mitfühlen. Mitgefühl ist eine zwischenmenschliche Emotion. Sie verschafft uns Wissen über den gefühlsmäßigen Zustand anderer Menschen, verbindet uns mit ihnen und veranlasst uns in der Regel, helfend oder tröstend einzugreifen. Mitfühlen und Trösten sind sowohl in der Beziehung zwischen zwei Menschen als auch im gesellschaftlichen Miteinander von immenser Bedeutung.

In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die Frage, wie sich die so genannte Empathiefähigkeit entwickelt. Verhaltensforscher weisen darauf hin, dass Trost suchende und tröstende Gebärden und Verhaltensweisen schon bei Primaten erkennbar sind. Der Heidelberger Theologe Rudolf Bohren schrieb: „Der Mensch ist auf Trost hin erschaffen. Das ist das Beste an ihm, dass er Trost braucht. Ein Mensch, der grundsätzlich ohne Trost leben könnte, wäre nicht liebenswürdig und wohl auch nicht lebensfähig.“

Wenn wir einen Menschen trösten, dann möchten wir gern sein Leid mindern oder den Ungetrösteten aufrichten. Aber das wird uns nicht immer gelingen, es ist vielleicht gar nicht das, was der Bedürftige braucht. Viel wichtiger scheint seine Erfahrung zu sein, dass er sich ernst genommen fühlt in seiner Not. Die Traurigkeit wird nicht verharmlost, die Not wird nicht kleingeredet, sondern ausgehalten und geteilt.

Trost ist kein „Trumpf, der in jeder Lage sticht“. Er ist nicht verfügbar. Er geschieht oder er geschieht nicht. Wenn etwas über ihn gesagt werden kann, dann in aller Zurückhaltung nur dieses eine: dass sein letztes Geheimnis Anwesenheit ist. Menschliche wie göttliche Anwesenheit und Begleitung durch finstere Täler und auf wüsten Wegstrecken. Hier gewinnt der biblische Gottesnamen „Ich bin da“ (2. Moses 3,14) und die dahinter verborgene Erfahrung existentielle Bedeutung.

„Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar… Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost was kommen mag“ – in diesem vielzitierten Gedicht von Dietrich Bonhoeffer wird deutlich, dass es einen Trost gibt, der der Realität nicht ausweicht, indem er vertröstet, sondern ihm mit aller Konsequenz und Gefasstheit gegenübertritt. Dabei wird ein wichtiger Zusammenhang deutlich: Trost und Trutz. Beide haben nicht nur sprachlich miteinander zu tun. Trost stärkt das Urvertrauen ins Leben. Wer getröstet ist, kann trutzig und selbstbewusst den Widrigkeiten des Lebens entgegentreten.

Fast immer beschäftigt man sich mit der Jahreslosung nur am Anfang des Jahres in einer Predigt, einer Andacht oder in einem Bibelkreis – eigentlich schade! Denn es handelt sich ja um einen Text, der im gesamten Jahresverlauf immer wieder und auf unterschiedliche Weise zu Gehör gebracht werden soll. Warum also die Jahreslosung nicht als Begleiter für das ganze Jahr betrachten und nach immer neuen und anderen Aspekten suchen?

Frank Wosniewski