War Jesus eigentlich „souverän“? Der Mann, der am Kreuz endet, weil er den Mund nicht halten konnte? Der nicht besonnen genug war, sich aus der Schusslinie zu ziehen, als schon klar war, wie es enden würde mit einem, den man „Fresser und Weinsäufer“ und einen Verschwender schimpfte? Der seine Wut nicht zügeln konnte und die Tische der Geldwechsler zertrümmerte – viel gebracht hat es ihm dann nicht: der Wiederaufbau des Establishments ging reibungslos vonstatten, kaum dass er ihnen den Rücken gekehrt hat.
Ob sie über ihn gespottet haben, als er weg war? Darüber, wie emotional er doch war? Wie wenig er sich im Griff hat? Der war doch so gar nicht geeignet als Führungskraft!
Solche Gedanken zu Weihnachten – fragen Sie sich vielleicht? Ja – denn mit dem ersten Schrei des Krippenkindes in der schäbigen Unterkunft am Ende der Welt war es klar: ein Souverän wird der nicht! Nur konsequent ist diese Geburtsgeschichte also für ihn, der alles andere als unangreifbar und unberührbar war. Ein Baby, zum Anfassen nah, ein Mann, den das Elend der Welt so berührt, dass er sich einlässt auf ein Engagement, das ihn das Leben kosten wird.
Vielleicht ist es der normale Weihnachtsstress einer Pfarrerin, die vielen Sitzungen, Termine zum Jahresende, die an den Nerven zerren. Vielleicht ist es auch etwas Persönliches in den „mittleren Jahren“. Auf jeden Fall merke ich: ich bin dünnhäutig geworden.
Und deshalb beschäftigt mich die Frage nach dem Wert und dem Sinn der „Souveränität“. Ich kann ihnen nur schwer folgen: Menschen, die ihre Gefühle „souverän“ im Griff haben, die „cool“ alle Herausforderungen meistern und nichts davon preisgeben, was sie wirklich bewegt. Die fast immer „wohlüberlegt“ handeln, denen zu deutlich geäußerte Affekte eher peinlich sind und die mitleidige Blicke auf so impulsive Gestalten werfen, wie ich eine bin. Solche Begegnungen, ob in der Stadt oder in der Kirche, machen mich dann oft selbst hilflos und wütend und so ganz und gar unsouverän und verletzlich.
Aber vielleicht bin ich ja auch allzu ungerecht. Wie gut, dass nun bald Weihnachten ist: Geburt des Königs aller Könige, Sohn eines Gottes, der souverän genug war, sich der Welt offen zu zeigen in seiner echten Menschlichkeit.
Anke Augustin