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Umkehr heißt auch, die eigenen Maßstäbe zu überdenken

Sich nicht abhängen lassen, erfolgreich sein; gut dastehen – das sind doch hohe und hehre Lebensziele, oder!? Ziele, mit denen wir etwas aus unserem Leben machen und unsere Gaben nicht brachliegen lassen. Wer etwas aus sich macht, der hat doch zumindest die Chance, auch zum Gelingen in unserer Gesellschaft beizutragen.

Ich will die Gaben und den Ehrgeiz nicht kleinreden. Aber ich kenne auch die Kehrseite: Kinder und Jugendliche, die gute und sehr gute Noten nach Hause bringen und trotzdem gefragt werden, wer denn (noch) besser war. Ich kenne Ehrgeiz, der zum Neid wird, und Stolz, der im Hochmut endet und Menschen auf andere herab blicken lässt. Macht das am Ende nicht ärmer statt reicher?

Auch unter Christen kann das so sein. Das jedenfalls erzählt das Matthäusevangelium in seinem 18. Kapitel. Dort wollen es die Jünger Jesu ganz genau wissen: „Wer ist der Größte im Himmelreich?“ Ihre Frage ist verräterisch, denn sie entlarvt ihr Gottesbild: Gott ist für sie derjenige, der offen oder heimlich Noten vergibt, Bestenlisten festlegt und Ehrenplätze zuteilt. Aber stimmt das? Gibt es vor Gott wirklich größer und kleiner, wichtiger und unwichtiger, erfolgreich und erfolglos? Und welche Rolle spielt all das vor ihm?

Die Antwort Jesu ist eindeutig: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ Umkehren heißt hier sehr konkret: die eigenen Maßstäbe überdenken und zumindest relativieren, wenn nicht gar aufgeben, darauf verzichten, eine (vielleicht auch nur innerliche) Hierarchie im Blick auf den Wert von Menschen aufzustellen; nach Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Religion, Einkommen oder sozialer Stellung zu fragen, wenn es um die Wahrnehmung anderer geht. Vor Gott ist all das am Ende nicht wichtig.

Jesus macht es seinen Jüngern drastisch klar: er holt ein Kind herbei und führt ihnen so vor Augen, worum es geht. Sie wissen genau wie wir: auch wenn ein Kind manchmal großspurig daherkommen mag, bleibt es von der Zuwendung der Erwachsenen abhängig. Auch wenn es manchmal fordernd auftritt, bleibt es oft genug ein Bittsteller. Auch wenn es selbstbewusst wirkt (was ja nur gut ist), bleibt es in höchstem Maße verletzlich. Auch wenn es stark und mutig sein will, wird es ohne Schutz schwer sein. Hätte Jesus in diesen Tagen vielleicht ein Flüchtlingskind in unsere Mitte gestellt?

Ich erfahre es als großen Zuspruch, vor Gott auch in diesem Sinne kindlich sein zu dürfen – auch die eigene Hilfe- und Schutzbedürftigkeit zu erkennen. Denn darin liegt die große Chance eines gelingenden Lebens, das auch mit den eigenen Schwächen fertig wird – und für alle Stärken dankbar ist, die wir auch für andere fruchtbar machen können.

Joachim Lauterjung